„Ick glaube, mein gutes Herrchen, Du betrügst Dich i
selbst. Tu liebst ihn bock. Wie hast Du früher für ibn
geschwärmt, alle kleinen 'Andenken von ihm aufbcwahrt,
in den Briesen den zu Hause nach jedem Wort über
Deinen Willi, jeder Nennung seines Namens gesucht.
Wie kann baS alles plötzlich auS und vergessen sein s"
„O Klara, daS ist cS ja auch nicht!" ries Hermine
fast angstvoll. „Ich habe ibn noch immer sehr, sehr gern.
Ich wüßte wirklich gar nichts an ihm auSzusctzen. Er
sah sehr fein und hübsch auS, als er vorhin hier stand,
und ich mußte mich zusammcnnchmcn, meinem Vorsätze
treu zu bleiben."
„Deinem Vorsätze?"
„Ja, ich habe mir'S neulich auf dem Sommcrball und
dann vorigen Montag aus unserem Diner, als nachher
getanzt wurde und es so reizend-vergnügt hier zuging,
fest vorgenommen: Du heiratest noch lange nicht, du
willst deine Jugend erst recht genießen, du willst tanzen,
lustig sein, dir die Cour machen lasten, cS ist doch gar
zu nett!"
„Wenn Du ihn reckt liebtest," sagte Klara mit tiefer
Empfindung, „hättest Du daS alles vergessen, als er um
Dich warb."
„Würdest Dir denn schon so bald heiraten mögen?"
fragte Hermine erstaunt.
Ein zartes Not breitete sich über Klaraö feines Gesicht,
sie blickte vor sich nieder und schwieg.
„Haben wir unS nicht volle Offenheit gelobt?" rief
Hermine ungeduldig.
Klara nickte und flüsterte: „Wenn der Rechte käme doch
wohl: aber ich würde jetzt nicht gern von Mama gehen,
sie ist zart und braucht mich wirklich zu sehr!"
„Der Rechte?"
„Bitte, bitte, keinen Namen — " angstvoll hob sie die
Hände, „keine 'Neckerei, ich crlrage cs nicht!"
„Nun gut, wir wissen beide, wen wir meinen, und ich
gebe Dir zu, er ist himmlisch elegant. Aber der Graf stcbt
ihm gleich, eS sind geradezu die Löwen der Gesellschaft."
„Herrche, ich bitte Dich, sollte Sclcki Dir im Kopf
stecken? Sollte er den guten Willi verdrängen? Ich
möchte cS nicht denken!"
„DaS brauchst Du auch nicht!" rief Hermine eifrig,
„aber zugebcn mußt Du, daß er interessant ist, interessant
und vornehm rind ganz besonders."
Klara war betroffen und zugleich besorgt um die
Freundin.
„Wir haben den Grasen heute, als ich mit Mama
spazieren ging, in den Anlagen gesehen, ohne daß er uns
bemerkte," erzählte sic, „seine schönen grauen Hunde sollten
inS Wasser und wollten nicht, da hat er sic unbarmherzig
mit der Reitpeitsche geschlagen, bat ihnen mit dem Halö-
bandc die Gurgel zugcdrückt, daß sic nicht heulen konnten,
und hat ihnen Fußtritte gegeben, cS war schrccklick anzu-
sehen und eine wahre Roheit: wer daS kann, ist kein guter
Mensch, und wenn er zehnmal Graf ist und für inter-
cssant gilt."
„Warum sollte er seine Hunde nicht züchtigen dürfen? '
Ich finde, ihm steht alles gut!"
„Und ich fürchte, armes Herrche, Du bist von äußer- j
lichcn Dmgcn verblendet, sichst mehr in ihm, alö da ist
und verleugnest Dein Herz vor Dir selbst."
Siebentes Kapitel.
„Sie haben recht, Graf," sagte Benno von Lüding-
hausen und nickte JanoS Sclcki zu, der ihm gegenüber faß.
Der Lieutenant lehnte, eine feine Cigarre rauchend,
in deni mit verschwenderischer Pracht PiSgestatteten Zimmer
des Ungarn im Sessel und fuhr fort. „Ich bin ganz Ihrer
Meinung, man muß für den Winter der Geselligkeit etwas
aufhelfcn. Ciniselli ist fort, cS wird stark herbstlich, und
so nett mitunter die kleinen Hausbällc und pflichtmäßigcn
Abfütterungen auch ausfallen, im Grunde ist doch eine
cntreprenirte Gesellschaft, in großen eleganten Räumen,
zwangloser und angenehmer." Er kraute "Mar, der seinen
langen Kopf ihm aufs Knie gelegt, das glatte Fell und
blickte sein Gegenüber gespannt an.
„Vermutlich werde ich den ganzen Winter hier bleiben,"
antwortete Sclcki. „Ich bin des ewigen Reisens müde,
man bandelt doch an und kennt sich allgemach hie und da
unter den Leuten aus. Aber wenn wir nicht halt selber
für unser bissel Vergnügen sorgen, schaut endlich nichts
Rechts dabei heraus. Bitt' Ihnen, Lüdinghausen, immer
Karten, Würfel, Pferdsgeschichten und damisches Trinken
ohne Durst, zuwider wird'S einem."
„Kein Vergnügen ohne die Damen!" lachte Lüding-
hausen, „das ist doch eigentlich unser beider Devise. Die
Geselligkeit wäre ja nicht zum Aushalten und geradezu
großartig langweilig, wenn man sich nicht eine kleine
iPoussage zulegte."
Auch der Graf lächelte und drehte seinen starken
Schnurrbart in die Höhe. „So ein bildsaubercS, gut
a»gezogenes Mädel —" er küßte die Fingerspitzen seiner
Hand — „ist zum Fressen herzig."
„Lassen -Lie uns also, lieber Sclcki, dem Gedanken
näber treten, eine Reihe von kleinen Bällen mir einander
zu entreprcmrcii. Es handelt sich nur um eine Liste der
Familien, die wir auffordcrn wollen, und da gehe ich nun
alö Offizier leider mit kolossal gebundener Marschroute."
Illustrirte Welt. 59
„Lassen'S mick ans mit Ihre Exeellenzen und grauen
Wackelbärtt»! FcsckcS, junges Volk wollen wir, und nur
bei die Leut' anklopfen, wo'S hübsche Töchter gibt."
„Das können Eie gut sagen, mein Berchrtester,
Ihnen als Fremdem und absolut frei stehendem Mann,
kann'S riesig einerlei sein, wer verletzt wird, welch ein
Skandälchen etwa anhebt, ja selbst, wie die Geschichte
ausfällt. Allein ick, bei mir ist eS leider anders."
„Aber sind's denn nicht auch ein unabhängiger Kavalier,
Baron Lüdinghausen?" fragie der Graf und streichelte
selbstgefällig seine glatt rasteten Wangen.
„'Na, man will sich doch vom Herrn General nicht
angrobsen lasten und die Carriüre schädigen. Ohne eine
gewiss« Rücksicht auf die übliche Form kommt unsereiner
nicht durch. Ich fürchte, die Sacke wird brenzlich für mich.
Ilm gescheitesten wär'S, wenn Sic Jbrcn Namen allein
unter so ein Ding von einer Liste oder Aufforderung
setzten. Ich null mich um nichts wegdrückcn, waS Mühe
verursacht, aber ich glaube, eS macht sich besser und wir
sind ungenirlcr, wenn Sic allein vergeben."
Der Graf war'ö zufrieden, in ihm lag nichts von Be-
denklichkeit, und sic sprachen nun mit einander durch, welche
Familien man auffordcrn solle. Da fiel der Name Ehler-
mann.
„DaS ist auch so ein Stein dcS AnsioßcS," warf
Lüdinghausen ackselzuckend bin.
„Aber da kann dock gar keine Red' sein, die Leut'
sehen unS bei sich, wissen zu leben, haben zwei nette
Madeln, die wird man doch nickt auslassen?"
Lüdinghausen sah in diesem Augenblicke sehr hochmütig
auS, er warf den Kopf in den Nacken und blieS blaue
Ringeln in die Lust. „Wenn Sic die älteste Ehlermann
unter die netten Mädckcn rechnen, wird Ihnen daö Fräulein
sehr dankbar sein. Ich glaube, ein so gütigcö Urteil ist
noch kciiiem Menschen cingcfallen."
„'Na, dann meine ich den sidclen Schneck, die andere."
„Auck an Fräulein Hermine kann ich nicht viel An-
ziehendes finden, sic ist ziemlich derb und mau merkt ihr
immer die zweite Gesellschaft an."
„Ach, gchcn'S, lasscn'S mich aus, daS Mädel ist fesch;
was thu' ick mit die Sentimentalen, ist nickt mein Gusto.
So ein kleiner GraShupf muß anköinmlick sein, lind
dann, bester Baron, weiß ich eine junge Dame Ihrer
Verehrung, die ohne die Busenfreundin, Hermine Ehler-
mann, kaum zu haben se'in würde."
Der Adjutant war bei deS andern Anspielung leicht
errötet, was seinem blonden Gesichte-nicht übel stand. Er
gab zu, daß die Gesellschaft schon gewisse Verpflichtungen
habe, den Kommerzienrat und seine Familie in ihren Kreis
aufzunehmcn, und Sclcki schrieb den Namen in die Liste.
Wenige Tage später wurde der von den beiden Herren
ersonnene Vorschlag in bester Form zu Papier gebracht,
in den betreffenden Häusern zur Unterschrift vorgclcgt und
sand, weil der Name deö Magnaten in großen Zügen dar-
unter stand und man den eleganten Lüdinghausen im
Hintergründe wußte, allerorten beifällige Ausnahme.
Niemand jubelte lauter als Hermine, die mit dem
Papier in ihres Vaters Zimmer gestürzt kam, in dem er
sich gerade zur Mittagsruhe anschicktc.
Zuerst schien eS, alö wolle der alte Herr ausfahren,
als er aber seinen Liebling so erfreut sah, schmunzelte er
und fragte, waö sie da GuleS bringe, sie sehe ja strahlend
vergnügt auS.
Die Tochter breitete ihre Liste vor ihm aus und zeigte
ihm die Unterschriften. „Lauter Namen auS der ersten
Gesellschaft, Vater, ein sehr feiner Kreis, natürlich müssen
wir teilnehmen!"
„Ich habe nichts dagegen, Kind, wie Du weißt, aber
Mutter wird nicht wollen."
„So gehen wir mir Dir. Ist vielleicht ebenso gut."
„Hast recht, ablehnen können wir natürlich nicht; ist
jedenfalls sehr ehrenvoll," sein ganzes Gesicht zeigte ge-
schmeicheltes Behagen, während er das Papier durchlaS.
„Jst's nct schön, goldiges Alterche," sagte Hcrnunc
halblaut und legte den Arni um des dicken Herrn Nacken,
„daß ich mich noch nicht verlobt hab'; dann wär'S mit
allen solchen reizenden Aufforderungen jetzt Essig."
„Ja, ja, mein Kind, das wäre cö wohl, aber Holz-
müller kann mir doch leid thun, und Deine Mutter weiß
auch nicht darüber wegzukommen. Die Geschichte war
bei uns eigentlich schon zu weit gediehen."
„Na, Väterche, ist ja noch nicht aller Tage Abend!
Im Grunde hab' ich ihn so gern wie immer; ich kann'S
aber nicht auShaltcn, wenn ich hinter Klara und dcr
dummen Puß, die allerwärtS hingehen und sich amüsiren,
zurückstehe. Gönne mir nur noch ein oder zwei Jährchen
meinen Spaß."
„Ist ja geschehen, Kind, und ich bin ja eigentlich auch
ganz zufrieden damit."
„Isidore steht sich auch gut dabei, allein wäre sie nie
recht vom Fleck gekommen, jetzt geht sic mit in die beste
Gesellschaft, und wer weiß, wie wir sie vielleicht noch an-
bringen."
Der Vater lachte: „Bist ein Tausendsassa mit Deinem
einschlägigen Kopf. Schade, daß Du nicht ein Junge ge-
worden, hättest in meine Fußstapfen treten und die Fabrik
noch mehr in die Höhe bringen können."
Bei den Damen dcS Obersten von Vrabcck sollte die
Aufforderung zu sechs cntrcprenirtei: Bällen im Laufe des
Winters lange nicht den Anklang finden wie im Hause
des Kommerzienrats.
Die Mutter lag erschöpft von einem gestrigen Souper,
daS ziemlich lange gedauert hatte, in ihrem Zimmer auf
der Chaiselongue. Klara ging leise ab und zu. Sie be-
aufsichtigte ihre jüngeren Geschwister, die — eS war
Mittwoch nachmittag —- nebenan im Eßzimmer arbeiteten,
bolle sich bei der Mutter Rat oder legte ihr kühlende
Umschläge auf die brennende Stirn. Schlafen wollte die
angegriffene Fran nicht, sic war heute morgen lange im
Bett geblieben, fühlte sich aber doch außer stände, aufrecht
zu sitzen und sich zu beschäftigen.
„Seid hübsch ruhig, liebe Jungen." sagte Klara zu
ibrcn Brüdern. „Venu Werner nnd Hermann anfangcn
zu zanken und sich prügeln, so mußt Du, Bruno, als nuscr
vernünftiger Acltester, sie zur Rübe bringen. Aber lieber
nicht mit puffen, da gibt eS sonst wieder Geschrei: er-
innere sic nur, daß sic ihrer guten Mutter zu Gefallen
sich vertragen müssen."
„Wir sollen auch immer MamaS wegen still sein,"
murrte der ungeduldige kleine Hermann. „Sie geht doch
in Gesellschaften, also ist sic nicht krank."
„Das verstehst Du nicht, Hermännchcn; frage nur
Onkel Doktor, ob Mama nicht Ruhe braucht, und schaden
wollt Ihr unscrcr lieben Muller doch gewiß nicht?"
Die drei Jungen versicherten einstimmig, daß sic daS
nicht wollten, nnd während der eifrige Bruno gleich wieder
in seine Arbeit vertieft war, balgten sich Werner und
Hermann, sowie die große Schwester inS andere Aimmcr
gegangcn war, erst leise, dann unter lautem Geschrei, um
ein Buch, daS beiden gehören sollte. DaS feine Sümmchen
Elscö, der die Brüder einen Puppenaufbau umgcstoßcn,
mischte sich jammernd in die zornigen Laute der Strei-
tenden.
„Geh nnr wieder zu ihnen, Klara," sagte Frau von
Brabeck malt, „sie machen cs zu arg, der Lärm ist mir
furchtbar."
Während Klara alle ihre UcbcrredungSkunsi aufwandte,
nm Frieden zn stiften, und endlich die Kinder wieder zur
R'nhc und au ihre Beschäftigung brachte, trat der Oberst
zil seiner Fran herein. Er hielt daS Zirkular mit der
Aufforderung zn den Bällen in der Hand und setzte sich
neben das Ruhebett.
Die Frau, der die Gegenwart dcS gestrengen Gatten
immer Zwang auserlegle, richtete sich mühsam ctivaS empor
und versuchte freundlich auSzusehcn. Er wirbelte seine»
gewichsten Schnurrbart unternehmend in eine weit ab-
stehende Spitze, waS er immer that, wenn er bei Laune
Ivar, nnd sagte: „Hier bringe ich etwas Gutes für die
Damen," dann las er die Aufforderung vor.
Fran von Brabeck seufzte, ihr ahnte, daß schwer davvn-
zukommcn sein würde, und sie fühlte sich doch bei dem
Gedanken an rege Geselligkeit und alle die Toilcttcnsorgen
zum Zusammcnbrechcn elend.
„Was meinst Du, Werner," wandte sie schüchtern auf
seinen triumphircndcn und zugleich fragenden Blick ein,
„sollten nicht in diesem ersten Winter die Privatgesell-
schaften für Klara genügen? Sie steht früh ans, um die
Schulkinder zu versorgen, sic nimmt sich deS Haushalts
an, bessert an ihrer und meiner Garderobe, ist also in
Anspruch genommen von anderen Dingen und vielleicht
manchmal ermüdet. Sie würde gewiß bereitwillig auf
diese sechs Bälle verzichten."
„ES ist aber nicht nötig, daß sic verzichtet und wie
eine 'Nonne lebt. Ich will, daß meine Tochter als Dame
auflritt, nnd nicht, daß sie in häuslichen Mühen verkommt.
'Aber Du hast ja leider.gar keinen Sinn für daS, was
nach außen »»spricht, für ein wenig Chic und höhere Dafciuö-
formcn. Diesem herabziehendcn Einfluß aus unser hühschcö
Kind muß ich mit dem größten Ernst cntgcgentrctcn."
„Du weißt, Werner, daß ich alles möglichst einfach
hcrzurichtcn strebe, nm Ausgaben zu sparen. Du er-
innerst mich beim Empfange jedes Monatsgcldcö daran,
daß wir uns cinzurichten haben. Ich sehe selbst, daß
em Hauswesen mit fünf Kindern viel kostet. Lewin wird
auch Ansprüche an Deine Kasse machen. Ich habe also,
wie ich damals mit Dir überlegt, gleich nach Klaras Heim-
kehr daö zweite Mädchen abgeschasft, natürlich kommt
nun aber manche Arbeit ans mich und, da ich nicht viel
mehr leiste, auf meine erwachsene Tochter."
„Immer diese Misöre der Alltäglichkeit, dies Auf-
wärmen alter Geschichten, nie ein heiterer, freier Flug der
Seele >" zürnte er. „Ich fürchte, Du machst auch auS
Klara eine grieögrämlichc Person und verdirbst ihr die
Jugend, wenn ich nicht für das Kind eintrcte. Hinter
Sclcki steht als Helfer und Vortänzer bei diesen Bällen
der Adjutant. Lüdinghausen sagte mir neulich, er habe
sich aus naheliegenden Gründen nicht mit unterschrieben,
sei aber für daö Zustandekommen lebhaft intercssirt. Nun
wirst Du mir zugebcn, daß er Klara auszcichnct, daß cs
einem verkappten ,Nein' ähnlich sehen würde, wenn wir
unsere Teilnahme versagten, lind derartig hemmend in
daö LebcnSglück Deines Kindcö cinzugreifcn, wird doch
selbst Deiner häuslichen Engherzigkeit, Deiner Einseitigkeit,
die der freundlichen Form nie Rechnung zu tragen ver-
mag, zu schwerwiegend fein?"
Die schwache Frau erzitterte unter diesen Anklagen.
selbst. Tu liebst ihn bock. Wie hast Du früher für ibn
geschwärmt, alle kleinen 'Andenken von ihm aufbcwahrt,
in den Briesen den zu Hause nach jedem Wort über
Deinen Willi, jeder Nennung seines Namens gesucht.
Wie kann baS alles plötzlich auS und vergessen sein s"
„O Klara, daS ist cS ja auch nicht!" ries Hermine
fast angstvoll. „Ich habe ibn noch immer sehr, sehr gern.
Ich wüßte wirklich gar nichts an ihm auSzusctzen. Er
sah sehr fein und hübsch auS, als er vorhin hier stand,
und ich mußte mich zusammcnnchmcn, meinem Vorsätze
treu zu bleiben."
„Deinem Vorsätze?"
„Ja, ich habe mir'S neulich auf dem Sommcrball und
dann vorigen Montag aus unserem Diner, als nachher
getanzt wurde und es so reizend-vergnügt hier zuging,
fest vorgenommen: Du heiratest noch lange nicht, du
willst deine Jugend erst recht genießen, du willst tanzen,
lustig sein, dir die Cour machen lasten, cS ist doch gar
zu nett!"
„Wenn Du ihn reckt liebtest," sagte Klara mit tiefer
Empfindung, „hättest Du daS alles vergessen, als er um
Dich warb."
„Würdest Dir denn schon so bald heiraten mögen?"
fragte Hermine erstaunt.
Ein zartes Not breitete sich über Klaraö feines Gesicht,
sie blickte vor sich nieder und schwieg.
„Haben wir unS nicht volle Offenheit gelobt?" rief
Hermine ungeduldig.
Klara nickte und flüsterte: „Wenn der Rechte käme doch
wohl: aber ich würde jetzt nicht gern von Mama gehen,
sie ist zart und braucht mich wirklich zu sehr!"
„Der Rechte?"
„Bitte, bitte, keinen Namen — " angstvoll hob sie die
Hände, „keine 'Neckerei, ich crlrage cs nicht!"
„Nun gut, wir wissen beide, wen wir meinen, und ich
gebe Dir zu, er ist himmlisch elegant. Aber der Graf stcbt
ihm gleich, eS sind geradezu die Löwen der Gesellschaft."
„Herrche, ich bitte Dich, sollte Sclcki Dir im Kopf
stecken? Sollte er den guten Willi verdrängen? Ich
möchte cS nicht denken!"
„DaS brauchst Du auch nicht!" rief Hermine eifrig,
„aber zugebcn mußt Du, daß er interessant ist, interessant
und vornehm rind ganz besonders."
Klara war betroffen und zugleich besorgt um die
Freundin.
„Wir haben den Grasen heute, als ich mit Mama
spazieren ging, in den Anlagen gesehen, ohne daß er uns
bemerkte," erzählte sic, „seine schönen grauen Hunde sollten
inS Wasser und wollten nicht, da hat er sic unbarmherzig
mit der Reitpeitsche geschlagen, bat ihnen mit dem Halö-
bandc die Gurgel zugcdrückt, daß sic nicht heulen konnten,
und hat ihnen Fußtritte gegeben, cS war schrccklick anzu-
sehen und eine wahre Roheit: wer daS kann, ist kein guter
Mensch, und wenn er zehnmal Graf ist und für inter-
cssant gilt."
„Warum sollte er seine Hunde nicht züchtigen dürfen? '
Ich finde, ihm steht alles gut!"
„Und ich fürchte, armes Herrche, Du bist von äußer- j
lichcn Dmgcn verblendet, sichst mehr in ihm, alö da ist
und verleugnest Dein Herz vor Dir selbst."
Siebentes Kapitel.
„Sie haben recht, Graf," sagte Benno von Lüding-
hausen und nickte JanoS Sclcki zu, der ihm gegenüber faß.
Der Lieutenant lehnte, eine feine Cigarre rauchend,
in deni mit verschwenderischer Pracht PiSgestatteten Zimmer
des Ungarn im Sessel und fuhr fort. „Ich bin ganz Ihrer
Meinung, man muß für den Winter der Geselligkeit etwas
aufhelfcn. Ciniselli ist fort, cS wird stark herbstlich, und
so nett mitunter die kleinen Hausbällc und pflichtmäßigcn
Abfütterungen auch ausfallen, im Grunde ist doch eine
cntreprenirte Gesellschaft, in großen eleganten Räumen,
zwangloser und angenehmer." Er kraute "Mar, der seinen
langen Kopf ihm aufs Knie gelegt, das glatte Fell und
blickte sein Gegenüber gespannt an.
„Vermutlich werde ich den ganzen Winter hier bleiben,"
antwortete Sclcki. „Ich bin des ewigen Reisens müde,
man bandelt doch an und kennt sich allgemach hie und da
unter den Leuten aus. Aber wenn wir nicht halt selber
für unser bissel Vergnügen sorgen, schaut endlich nichts
Rechts dabei heraus. Bitt' Ihnen, Lüdinghausen, immer
Karten, Würfel, Pferdsgeschichten und damisches Trinken
ohne Durst, zuwider wird'S einem."
„Kein Vergnügen ohne die Damen!" lachte Lüding-
hausen, „das ist doch eigentlich unser beider Devise. Die
Geselligkeit wäre ja nicht zum Aushalten und geradezu
großartig langweilig, wenn man sich nicht eine kleine
iPoussage zulegte."
Auch der Graf lächelte und drehte seinen starken
Schnurrbart in die Höhe. „So ein bildsaubercS, gut
a»gezogenes Mädel —" er küßte die Fingerspitzen seiner
Hand — „ist zum Fressen herzig."
„Lassen -Lie uns also, lieber Sclcki, dem Gedanken
näber treten, eine Reihe von kleinen Bällen mir einander
zu entreprcmrcii. Es handelt sich nur um eine Liste der
Familien, die wir auffordcrn wollen, und da gehe ich nun
alö Offizier leider mit kolossal gebundener Marschroute."
Illustrirte Welt. 59
„Lassen'S mick ans mit Ihre Exeellenzen und grauen
Wackelbärtt»! FcsckcS, junges Volk wollen wir, und nur
bei die Leut' anklopfen, wo'S hübsche Töchter gibt."
„Das können Eie gut sagen, mein Berchrtester,
Ihnen als Fremdem und absolut frei stehendem Mann,
kann'S riesig einerlei sein, wer verletzt wird, welch ein
Skandälchen etwa anhebt, ja selbst, wie die Geschichte
ausfällt. Allein ick, bei mir ist eS leider anders."
„Aber sind's denn nicht auch ein unabhängiger Kavalier,
Baron Lüdinghausen?" fragie der Graf und streichelte
selbstgefällig seine glatt rasteten Wangen.
„'Na, man will sich doch vom Herrn General nicht
angrobsen lasten und die Carriüre schädigen. Ohne eine
gewiss« Rücksicht auf die übliche Form kommt unsereiner
nicht durch. Ich fürchte, die Sacke wird brenzlich für mich.
Ilm gescheitesten wär'S, wenn Sic Jbrcn Namen allein
unter so ein Ding von einer Liste oder Aufforderung
setzten. Ich null mich um nichts wegdrückcn, waS Mühe
verursacht, aber ich glaube, eS macht sich besser und wir
sind ungenirlcr, wenn Sic allein vergeben."
Der Graf war'ö zufrieden, in ihm lag nichts von Be-
denklichkeit, und sic sprachen nun mit einander durch, welche
Familien man auffordcrn solle. Da fiel der Name Ehler-
mann.
„DaS ist auch so ein Stein dcS AnsioßcS," warf
Lüdinghausen ackselzuckend bin.
„Aber da kann dock gar keine Red' sein, die Leut'
sehen unS bei sich, wissen zu leben, haben zwei nette
Madeln, die wird man doch nickt auslassen?"
Lüdinghausen sah in diesem Augenblicke sehr hochmütig
auS, er warf den Kopf in den Nacken und blieS blaue
Ringeln in die Lust. „Wenn Sic die älteste Ehlermann
unter die netten Mädckcn rechnen, wird Ihnen daö Fräulein
sehr dankbar sein. Ich glaube, ein so gütigcö Urteil ist
noch kciiiem Menschen cingcfallen."
„'Na, dann meine ich den sidclen Schneck, die andere."
„Auck an Fräulein Hermine kann ich nicht viel An-
ziehendes finden, sic ist ziemlich derb und mau merkt ihr
immer die zweite Gesellschaft an."
„Ach, gchcn'S, lasscn'S mich aus, daS Mädel ist fesch;
was thu' ick mit die Sentimentalen, ist nickt mein Gusto.
So ein kleiner GraShupf muß anköinmlick sein, lind
dann, bester Baron, weiß ich eine junge Dame Ihrer
Verehrung, die ohne die Busenfreundin, Hermine Ehler-
mann, kaum zu haben se'in würde."
Der Adjutant war bei deS andern Anspielung leicht
errötet, was seinem blonden Gesichte-nicht übel stand. Er
gab zu, daß die Gesellschaft schon gewisse Verpflichtungen
habe, den Kommerzienrat und seine Familie in ihren Kreis
aufzunehmcn, und Sclcki schrieb den Namen in die Liste.
Wenige Tage später wurde der von den beiden Herren
ersonnene Vorschlag in bester Form zu Papier gebracht,
in den betreffenden Häusern zur Unterschrift vorgclcgt und
sand, weil der Name deö Magnaten in großen Zügen dar-
unter stand und man den eleganten Lüdinghausen im
Hintergründe wußte, allerorten beifällige Ausnahme.
Niemand jubelte lauter als Hermine, die mit dem
Papier in ihres Vaters Zimmer gestürzt kam, in dem er
sich gerade zur Mittagsruhe anschicktc.
Zuerst schien eS, alö wolle der alte Herr ausfahren,
als er aber seinen Liebling so erfreut sah, schmunzelte er
und fragte, waö sie da GuleS bringe, sie sehe ja strahlend
vergnügt auS.
Die Tochter breitete ihre Liste vor ihm aus und zeigte
ihm die Unterschriften. „Lauter Namen auS der ersten
Gesellschaft, Vater, ein sehr feiner Kreis, natürlich müssen
wir teilnehmen!"
„Ich habe nichts dagegen, Kind, wie Du weißt, aber
Mutter wird nicht wollen."
„So gehen wir mir Dir. Ist vielleicht ebenso gut."
„Hast recht, ablehnen können wir natürlich nicht; ist
jedenfalls sehr ehrenvoll," sein ganzes Gesicht zeigte ge-
schmeicheltes Behagen, während er das Papier durchlaS.
„Jst's nct schön, goldiges Alterche," sagte Hcrnunc
halblaut und legte den Arni um des dicken Herrn Nacken,
„daß ich mich noch nicht verlobt hab'; dann wär'S mit
allen solchen reizenden Aufforderungen jetzt Essig."
„Ja, ja, mein Kind, das wäre cö wohl, aber Holz-
müller kann mir doch leid thun, und Deine Mutter weiß
auch nicht darüber wegzukommen. Die Geschichte war
bei uns eigentlich schon zu weit gediehen."
„Na, Väterche, ist ja noch nicht aller Tage Abend!
Im Grunde hab' ich ihn so gern wie immer; ich kann'S
aber nicht auShaltcn, wenn ich hinter Klara und dcr
dummen Puß, die allerwärtS hingehen und sich amüsiren,
zurückstehe. Gönne mir nur noch ein oder zwei Jährchen
meinen Spaß."
„Ist ja geschehen, Kind, und ich bin ja eigentlich auch
ganz zufrieden damit."
„Isidore steht sich auch gut dabei, allein wäre sie nie
recht vom Fleck gekommen, jetzt geht sic mit in die beste
Gesellschaft, und wer weiß, wie wir sie vielleicht noch an-
bringen."
Der Vater lachte: „Bist ein Tausendsassa mit Deinem
einschlägigen Kopf. Schade, daß Du nicht ein Junge ge-
worden, hättest in meine Fußstapfen treten und die Fabrik
noch mehr in die Höhe bringen können."
Bei den Damen dcS Obersten von Vrabcck sollte die
Aufforderung zu sechs cntrcprenirtei: Bällen im Laufe des
Winters lange nicht den Anklang finden wie im Hause
des Kommerzienrats.
Die Mutter lag erschöpft von einem gestrigen Souper,
daS ziemlich lange gedauert hatte, in ihrem Zimmer auf
der Chaiselongue. Klara ging leise ab und zu. Sie be-
aufsichtigte ihre jüngeren Geschwister, die — eS war
Mittwoch nachmittag —- nebenan im Eßzimmer arbeiteten,
bolle sich bei der Mutter Rat oder legte ihr kühlende
Umschläge auf die brennende Stirn. Schlafen wollte die
angegriffene Fran nicht, sic war heute morgen lange im
Bett geblieben, fühlte sich aber doch außer stände, aufrecht
zu sitzen und sich zu beschäftigen.
„Seid hübsch ruhig, liebe Jungen." sagte Klara zu
ibrcn Brüdern. „Venu Werner nnd Hermann anfangcn
zu zanken und sich prügeln, so mußt Du, Bruno, als nuscr
vernünftiger Acltester, sie zur Rübe bringen. Aber lieber
nicht mit puffen, da gibt eS sonst wieder Geschrei: er-
innere sic nur, daß sic ihrer guten Mutter zu Gefallen
sich vertragen müssen."
„Wir sollen auch immer MamaS wegen still sein,"
murrte der ungeduldige kleine Hermann. „Sie geht doch
in Gesellschaften, also ist sic nicht krank."
„Das verstehst Du nicht, Hermännchcn; frage nur
Onkel Doktor, ob Mama nicht Ruhe braucht, und schaden
wollt Ihr unscrcr lieben Muller doch gewiß nicht?"
Die drei Jungen versicherten einstimmig, daß sic daS
nicht wollten, nnd während der eifrige Bruno gleich wieder
in seine Arbeit vertieft war, balgten sich Werner und
Hermann, sowie die große Schwester inS andere Aimmcr
gegangcn war, erst leise, dann unter lautem Geschrei, um
ein Buch, daS beiden gehören sollte. DaS feine Sümmchen
Elscö, der die Brüder einen Puppenaufbau umgcstoßcn,
mischte sich jammernd in die zornigen Laute der Strei-
tenden.
„Geh nnr wieder zu ihnen, Klara," sagte Frau von
Brabeck malt, „sie machen cs zu arg, der Lärm ist mir
furchtbar."
Während Klara alle ihre UcbcrredungSkunsi aufwandte,
nm Frieden zn stiften, und endlich die Kinder wieder zur
R'nhc und au ihre Beschäftigung brachte, trat der Oberst
zil seiner Fran herein. Er hielt daS Zirkular mit der
Aufforderung zn den Bällen in der Hand und setzte sich
neben das Ruhebett.
Die Frau, der die Gegenwart dcS gestrengen Gatten
immer Zwang auserlegle, richtete sich mühsam ctivaS empor
und versuchte freundlich auSzusehcn. Er wirbelte seine»
gewichsten Schnurrbart unternehmend in eine weit ab-
stehende Spitze, waS er immer that, wenn er bei Laune
Ivar, nnd sagte: „Hier bringe ich etwas Gutes für die
Damen," dann las er die Aufforderung vor.
Fran von Brabeck seufzte, ihr ahnte, daß schwer davvn-
zukommcn sein würde, und sie fühlte sich doch bei dem
Gedanken an rege Geselligkeit und alle die Toilcttcnsorgen
zum Zusammcnbrechcn elend.
„Was meinst Du, Werner," wandte sie schüchtern auf
seinen triumphircndcn und zugleich fragenden Blick ein,
„sollten nicht in diesem ersten Winter die Privatgesell-
schaften für Klara genügen? Sie steht früh ans, um die
Schulkinder zu versorgen, sic nimmt sich deS Haushalts
an, bessert an ihrer und meiner Garderobe, ist also in
Anspruch genommen von anderen Dingen und vielleicht
manchmal ermüdet. Sie würde gewiß bereitwillig auf
diese sechs Bälle verzichten."
„ES ist aber nicht nötig, daß sic verzichtet und wie
eine 'Nonne lebt. Ich will, daß meine Tochter als Dame
auflritt, nnd nicht, daß sie in häuslichen Mühen verkommt.
'Aber Du hast ja leider.gar keinen Sinn für daS, was
nach außen »»spricht, für ein wenig Chic und höhere Dafciuö-
formcn. Diesem herabziehendcn Einfluß aus unser hühschcö
Kind muß ich mit dem größten Ernst cntgcgentrctcn."
„Du weißt, Werner, daß ich alles möglichst einfach
hcrzurichtcn strebe, nm Ausgaben zu sparen. Du er-
innerst mich beim Empfange jedes Monatsgcldcö daran,
daß wir uns cinzurichten haben. Ich sehe selbst, daß
em Hauswesen mit fünf Kindern viel kostet. Lewin wird
auch Ansprüche an Deine Kasse machen. Ich habe also,
wie ich damals mit Dir überlegt, gleich nach Klaras Heim-
kehr daö zweite Mädchen abgeschasft, natürlich kommt
nun aber manche Arbeit ans mich und, da ich nicht viel
mehr leiste, auf meine erwachsene Tochter."
„Immer diese Misöre der Alltäglichkeit, dies Auf-
wärmen alter Geschichten, nie ein heiterer, freier Flug der
Seele >" zürnte er. „Ich fürchte, Du machst auch auS
Klara eine grieögrämlichc Person und verdirbst ihr die
Jugend, wenn ich nicht für das Kind eintrcte. Hinter
Sclcki steht als Helfer und Vortänzer bei diesen Bällen
der Adjutant. Lüdinghausen sagte mir neulich, er habe
sich aus naheliegenden Gründen nicht mit unterschrieben,
sei aber für daö Zustandekommen lebhaft intercssirt. Nun
wirst Du mir zugebcn, daß er Klara auszcichnct, daß cs
einem verkappten ,Nein' ähnlich sehen würde, wenn wir
unsere Teilnahme versagten, lind derartig hemmend in
daö LebcnSglück Deines Kindcö cinzugreifcn, wird doch
selbst Deiner häuslichen Engherzigkeit, Deiner Einseitigkeit,
die der freundlichen Form nie Rechnung zu tragen ver-
mag, zu schwerwiegend fein?"
Die schwache Frau erzitterte unter diesen Anklagen.