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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 11.1925

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Heft 1 u. 2
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Hárnik, Jenö: Die triebhaft-affektiven Momente im Zeitgefühl: Vortrag, gehalten am 14. November 1922 in der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung
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https://doi.org/10.11588/diglit.36528#0062
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Dr. J. Härnik

soll. Aus der kulturgeschichtlichen Perspektive gesehen, kann es dann
heißen: Zeit ist ein psychischer Abkömmling des aufgefressenen
und zum Kote gewordenen Urvaters. Für diese Betrachtungsweise
lassen sich einige Anhaltspunkte aus der Völkerpsychologie heranziehen.
Wenn wir im Sprachgebrauch den Ausdruck finden: „Die Zeit totschlagen",
was wie ein „sadistischer" Beitrag zum Zeitgefühl anmutet, so ist es jetzt
naheliegend, darin eine Spur der zur Wiederholung drängenden Urtat zu
sehen. Aus derselben unbewußten Sphäre sind wohl Ausdrücke wie „Zeit-
vertreib", die „Zeit vertreiben" geschöpft. Schon griechische Schriftsteller
des Altertums reden, wie wir, vom „Zahn der Zeit", offenbar infolge der
naheliegenden Gleichsetzung von C/zrontM mit Aro/zo^, der die eigenen
Kinder verschlungen hat und dann von Zeus entmannt und gestürzt
wurde. Die philologische Forschung erkannte neuerdings diese Gleich-
setzung als eine an die Lautähnlichkeit anknüpfende Spekulation der Spät-
zeit und hat sie, hauptsächlich aus sprachlichen Gründen, verworfen/ Trotz-
dem nimmt noch Was er für die Allegorie Partei, indem er meint, daß
„der Mythos vom Verschlingen der eigenen Kinder nicht schlecht paßt auf
die schaffende und wieder zerstörende Zeit". Ohne in diese Streitgkeit ein-
zugreifen, bemerken wir jedenfalls, daß diese Gleichsetzung, gleichwie ihre
offenkundige Bedeutsamkeit für das Denken der ausgehenden Antike, ihrer
guten, unbewußten Grundlage nicht entbehrt/
*
Unsere Zeitvorstellung läßt noch vielfache Spuren ihrer Genese er-
kennen. Sie scheint im Sinne unsererer prähistorischen Spekulation in
Vergangenheitsbeziehungen zu wurzeln und tritt als Repräsentant von Ver-
gangenem ins Bewußtsein. Nach Spielreins^ begrifflicher Unterscheidung
1) Die Angaben zu diesem Thema auf Grund folgender Darstellungen: Roschers
„Lexikon der Griechischen und Römischen Mythologie", Artikel Aronoi von Mayer.
Pauly-Wissowa: Realenzyklopädie der klassischen Altertumwissenschaft", Artikel
Chronos von Was er und Artikel Aronoj von Pohlenz.
2) Ein Abkömmling dieser mythologischen Vorstellungen ist eine allegorische
Darstellung aus der Schule von Rubens. Sie hat den Titel: „Die Zeit entführt die
Wahrheit" und stellt die Zeit als bärtigen alten Mann dar, mit Flügeln auf dem
Rücken und der Sense auf der Schulter, die sonst zu den Requisiten des Todes
gehört. — Das Gegenstück dazu findet sich in der Mithrastheologie, für welche es
eine Urpotenz gibt, die unendliche Zeit (Zroan a&arano), die mit Aronos gleich-
gesetzt und als löwenköpfiges Ungeheuer mit Menschengestalt dargestellt wird. Die
„totemistische" Herkunft dieser Verbildlichung darf wohl angenommen werden.
g) „Die Zeit im unterschwelligen Seelenleben", Imago IX, H. g.
 
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