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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 11.1925

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Heft 1 u. 2
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Hárnik, Jenö: Die triebhaft-affektiven Momente im Zeitgefühl: Vortrag, gehalten am 14. November 1922 in der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung
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https://doi.org/10.11588/diglit.36528#0061

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Die triebhaft-affektiven Momente im Zeitgefühl 4 g

da seine Mutter die Ansicht vertrat, den Kindern müsse man in jeder
Beziehung Freiheit gewähren. Sie begünstigte also die (ursprüngliche) Lust-
tendenz des Kindes. Heute, da in seinem Seelenleben zwangsneurotische
Reaktionsbildungen vorherrschen, gilt sie ihm dafür als unordentlich und
schmutzig. Dagegen hält er den Vater für einen ordentlichen, pflicht-
bewußten Menschend
*
Die Entstehung des Zeitgefühls auf der oralen Stufe der Libidoent-
wicklung gestattet nun, wenn wir die Bildung des Ich-Ideals durch Intro-
jektion (Freud) berücksichtigen, die zusammenfassende Formulierung:
Die „Zeit" ist im Unbewußten der introjizierte, d. h. der verschlungene
und dann zum Kote gewordene Vaterd
Ich möchte an dieser Stelle der fruchtbaren und aussichtsreichen
Forschungen Röheims^ gedenken, deren Resultate mich in der Über-
zeugung von der Richtigkeit der hier entwickelten Anschauung weitgehend
bekräftigen. Aus seinen, an Freuds Hypothese von der Urhorde an-
schließenden Gedankengängen möge das für uns Wichtige in Kürze wieder-
gegeben werden. Nach der Urtat hatten die Mitglieder der Brüderhorde
sich mit dem toten Urvater identifiziert. Sie erwarben ein Ich-Ideal, indem
sie ihn gefressen, d. h. introjiziert hatten. Dieser Vorgang hatte eine Reihe
entscheidender psychischer Veränderungen zur Folge, die der Entwicklung
zur menschlichen Gesellschaft den Anstoß gaben. Ebenso bedeutsame
Wirkungen sind von dem Kote ausgegangen, zu dem sich der gegessene
Vater in ihrem Innern verwandelt hat, beziehungsweise von der Entleerung
dieses Körperproduktes. Die materielle und speziell die wirtschaftliche
Kultur hat von diesen Vorgängen ihren Ausgang genommen.
Die Ausführungen Röheims gestatten uns, die klinisch-analytische
Auffassung der Zeitvorstellung mit einer Spekulation zu ergänzen, die uns
die Entwicklung derselben in der fernen Vergangenheit näher bringen
1) Dieser denkt auch über die Anforderungen der Reinlichkeit anders, wie folgende
Kindheitserinnerung beweist. Einmal wollte ihm, wie auch sonst oft, der Vater etwas
zeigen. Plötzlich wurde der Knabe durch Stuhldrang gestört, und mußte sich zurück-
ziehen. Da bemerkte der Vater, daß ein ordentlicher Mensch dies nur einmal am
Tage, und zwar zur selben Stunde, tut.
2) „Das Ich und das Es", Ges. Schriften, Bd. VI, S. 37g. — Vgl. auch Abraham,
op. cit., Einleitung.
g) „Nach dem Tode des Urvaters", Imago IX, Heft 1, und „Heiliges Geld in Mela-
nesien", Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse IX, Heft 3, ferner ein Vortrags-
zyklus in der Berliner Psychonalytischen Vereinigung 1922.
 
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