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Imdahl, Max; Nay, Ernst Wilhelm [Ill.]
Ernst Wilhelm Nay, Akkord in rot und blau: 1958 — Werkmonographien zur bildenden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek, Band 80: Stuttgart: Reclam, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.62589#0037
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Entscheidendere Bedeutung dagegen schien die reine
Farbe in dem für die Entwicklung der hermetischen
Malerei so wichtigen französischen Malerkreis um Ba-
zaine, Bissiere und Manessier zu gewinnen. Diese Maler
suchten die Struktur des spätkubistischen Bildes mit
jener mystischen Farbigkeit zu durchleuchten, die sie in
den romanischen und gotischen Glasfenstern der Kathe-
dralen bewundert hatten. Da leuchten die sparsam gra-
phisch bezeichneten Figuren und gegenständlichen Sze-
nerien durch die reine Macht der flächig ausgebreiteten,
durchlichteten Farbe in Jenseitiges hinüber. Manes-
sier hielt sich bis heute an diese entdeckte mystische
Qualität der Farbe. Bazaine, pantheistischer gestimmt,
suchte sie mit Farbform-Themen der großen Natur in
Einklang zu bringen. Erinnerungen an Sommer und
Nächte, an Felsen und Bäume, Erträgnisse eines ergrif-
fenen Schauens verwandeln sich ihm schon im Moment
des Sehens in Form- und Farbklänge, die sich dann im
Akt des Malens zu einem abgeschlossenen Klanggebilde
ausformen, das die Empfindungen und das Glück jenes
Schauens nachklingen läßt. Der späte Monet hatte diese
dichterisch ausdeutende Funktion der Farbe schon ge-
kannt. Bazaine löst sie noch weiter von den Bildern der
Natur ab, verselbständigt die Farbe, instrumentiert das
einmal im Schauen abgehobene Farbmotiv zu freien Ent-
faltungen — zögert aber dennoch, sich dem reinen Melos
der Farbe allein anzuvertrauen. Die mystische oder dich-
terisch ausdeutende Funktion der Farbe können wir bei
den eigentlichen Koloristen der „ecole de Paris“ immer
wieder antreffen, bei Serge Poliakoff oder bei Nicolas
de Stael. Ihre mystische Qualität hat in Amerika in den
eigentümlichen Lichtwänden Rothkos eine sonderbar in-
brünstige Verstärkung erfahren.
Jean Riopelle und um einiges später Sam Francis
haben es dann unternommen, die rhythmischen Fähigkei-
ten der reinen Farbe in all ihrer Leuchtkraft auszuspie-
len. Wieder stand der späte Monet der ,Nympheas‘ im
Hintergrund. So entstanden jene leuchtenden vibrierenden
farbigen Strukturen, mit denen Riopelle seine Fläche
dicht füllt, oder jene licht- und raumhaltigen, von farbi-

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