111/2.3—2.3.1
Textverwendungslehre (Pragmatik)
Warum die Gattung der Fabel erfunden worden ist, werde ich jetzt kurz darstellen. Weil der
rechtlose Sklave nicht zu sagen wagte, was er wollte, hat er seine eigenen Gefühle in das Gewand
von Fabeln gekleidet und sich der Schikane durch erdichtete Scherze entzogen.
39
Qui se laudari gaudet verbis subdolis,
sera dat poenas turpes paenitentia.
Cum de fenestra corvus raptum caseum
comesse vellet, celsa residens arbore,
vulpes hunc vidit, deinde sic coepit loqui:
O qui tuarum, corve, pennarum est nitor!
Quantum decoris corpore et vultu geris!
Si vocem haberes, nulla prior ales foret.
At ille stultus, dum vult vocem ostendere,
emisit ore caseum, quem celeriter
dolosa vulpes avidis rapuit dentibus.
Tum demum ingemuit corvi deceptus stupor.
(Phaedrus 1,13)
Wer sich darüber freut, daß er mit hinterlistigen Worten gelobt wird, zahlt schändliche Strafe in
später Reue. Als ein Rabe einen von einem Fenster gestohlenen Käse auffressen wollte, wobei er
auf einem hohen Baum saß, sah ihn ein Fuchs; darauf begann dieser so zu reden: „O wie schön ist
der Glanz deiner Federn, Rabe! Wieviel Schönheit hast du am Leib und im Gesicht! Wenn du eine
Stimme hättest, wäre dir kein Vogel überlegen.“ Doch jener Dummkopf verlor, während er seine
Stimme vorführen wollte, den Käse aus dem Schnabel, den der listige Fuchs mit gierigen Zähnen an
sich riß. Dann erst begann der aufgrund seiner Dummheit getäuschte Rabe zu jammern.
Aufgaben
1. Was erfährt man aus Text 38 über Zweck, Inhalt und Form der Fabel?
2. Gliedern Sie den Gedankengang der Fabel (Text 39)!
3. Welche Funktion hat der Vorspruch (Promythion) für die Aussage des Textes?
Eine Fabel schildert ein erfundenes Geschehen, um eine Einsicht zu vermitteln und
ein Fehlverhalten zu berichtigen. Die Träger der Handlung sind meist Tierfiguren, die
bestimmte menschliche Typen und Verhaltensweisen darstellen. Meistens will die
Fabel kein gutes oder richtiges Verhalten vorschreiben, sondern nur durch ein
abschreckendes Beispiel vor falschem Handeln warnen.
2.3.1 Epigramm
2.3 Poetische Klein formen
Das Epigramm hatte ursprünglich die Aufgabe, ein EreignisodereineSituation in Form
einer Inschrift oder Aufschrift festzuhalten. Gegenstände des römischen Epigramms
sind normalerweise die realen Dinge des Lebens. Der Umfang des Epigramms ist knapp.
Häufig besteht es aus lediglich zwei Versen. Das Versmaß ist in der Regel das Distichon
(Verknüpfung eines daktylischen Hexameters mit einem Pentameter).
40
Laudat, amat, cantat nostros mea Roma libellos,
meque sinus omnes, me manus omnis habet.
Ecce rubet quidam, pallet, stupet, oscitat, odit.
Hoc volo: nunc nobis carmina nostra placent.
(Martial 6, 60)
Es lobt, liebt, singt unsere Bücher mein Rom, und ich bin in allen Taschen, in jeder Hand. Doch da
wird einer rot, blaß, starrt, sperrt den Mund auf, haßt. Das will ich: jetzt gefallen uns unsere Verse.
161
Textverwendungslehre (Pragmatik)
Warum die Gattung der Fabel erfunden worden ist, werde ich jetzt kurz darstellen. Weil der
rechtlose Sklave nicht zu sagen wagte, was er wollte, hat er seine eigenen Gefühle in das Gewand
von Fabeln gekleidet und sich der Schikane durch erdichtete Scherze entzogen.
39
Qui se laudari gaudet verbis subdolis,
sera dat poenas turpes paenitentia.
Cum de fenestra corvus raptum caseum
comesse vellet, celsa residens arbore,
vulpes hunc vidit, deinde sic coepit loqui:
O qui tuarum, corve, pennarum est nitor!
Quantum decoris corpore et vultu geris!
Si vocem haberes, nulla prior ales foret.
At ille stultus, dum vult vocem ostendere,
emisit ore caseum, quem celeriter
dolosa vulpes avidis rapuit dentibus.
Tum demum ingemuit corvi deceptus stupor.
(Phaedrus 1,13)
Wer sich darüber freut, daß er mit hinterlistigen Worten gelobt wird, zahlt schändliche Strafe in
später Reue. Als ein Rabe einen von einem Fenster gestohlenen Käse auffressen wollte, wobei er
auf einem hohen Baum saß, sah ihn ein Fuchs; darauf begann dieser so zu reden: „O wie schön ist
der Glanz deiner Federn, Rabe! Wieviel Schönheit hast du am Leib und im Gesicht! Wenn du eine
Stimme hättest, wäre dir kein Vogel überlegen.“ Doch jener Dummkopf verlor, während er seine
Stimme vorführen wollte, den Käse aus dem Schnabel, den der listige Fuchs mit gierigen Zähnen an
sich riß. Dann erst begann der aufgrund seiner Dummheit getäuschte Rabe zu jammern.
Aufgaben
1. Was erfährt man aus Text 38 über Zweck, Inhalt und Form der Fabel?
2. Gliedern Sie den Gedankengang der Fabel (Text 39)!
3. Welche Funktion hat der Vorspruch (Promythion) für die Aussage des Textes?
Eine Fabel schildert ein erfundenes Geschehen, um eine Einsicht zu vermitteln und
ein Fehlverhalten zu berichtigen. Die Träger der Handlung sind meist Tierfiguren, die
bestimmte menschliche Typen und Verhaltensweisen darstellen. Meistens will die
Fabel kein gutes oder richtiges Verhalten vorschreiben, sondern nur durch ein
abschreckendes Beispiel vor falschem Handeln warnen.
2.3.1 Epigramm
2.3 Poetische Klein formen
Das Epigramm hatte ursprünglich die Aufgabe, ein EreignisodereineSituation in Form
einer Inschrift oder Aufschrift festzuhalten. Gegenstände des römischen Epigramms
sind normalerweise die realen Dinge des Lebens. Der Umfang des Epigramms ist knapp.
Häufig besteht es aus lediglich zwei Versen. Das Versmaß ist in der Regel das Distichon
(Verknüpfung eines daktylischen Hexameters mit einem Pentameter).
40
Laudat, amat, cantat nostros mea Roma libellos,
meque sinus omnes, me manus omnis habet.
Ecce rubet quidam, pallet, stupet, oscitat, odit.
Hoc volo: nunc nobis carmina nostra placent.
(Martial 6, 60)
Es lobt, liebt, singt unsere Bücher mein Rom, und ich bin in allen Taschen, in jeder Hand. Doch da
wird einer rot, blaß, starrt, sperrt den Mund auf, haßt. Das will ich: jetzt gefallen uns unsere Verse.
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