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Glücklich, Hans-Joachim; Nickel, Rainer; Petersen, Peter
Interpretatio: neue lateinische Textgrammatik (Band (1)): [Schülerhandbuch] — Freiburg, Würzburg: Verlg Ploetz, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.54656#0190
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Textverwendungslehre (Pragmatik)

111/2.6.7

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Historia vero testis temporum, lux veritatis, vita memoriae, magistra vitae,
nuntia vetustatis, qua voce alia nisi oratoris immortalitati commendatur?
(Cicero, De orat. 2, 36)
Die Geschichtsschreibung aber, die Zeugin der Zeiten, das Licht der Wahrheit, das Leben der
Erinnerung, die Lehrmeisterin des Lebens, die Verkünderin der Vergangenheit, durch welche
andere Stimme als durch die des rhetorisch Gebildeten wird ihr Unsterblichkeit verliehen?

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...et qui fecere et qui facta aliorum scripsere, multi laudantur. Ac mihi
quidem, tametsi haudquaquam par gloria sequitur scriptorem et auctorem
re rum, tarnen in primis arduum videtur res gestas scribere: primum, quod facta
dictis exsequenda sunt; dein, quia plerique, quae delicta reprehenderis, malevo-
lentia et invidia dicta putant, ubi de magna virtute atque gloria bonorum
memores, quae sibi quisque facilia factu putat, aequo animo accipit, supra ea
veluti ficta pro falsis ducit. (Sallust, Catil. 3, 1-2)
... Sowohl diejenigen, die etwas geleistet haben, als auch diejenigen, die die Leistungen anderer
beschrieben haben, werden vielfach gelobt. Doch scheint es mir besonders schwierig zu sein,
Geschichte zu schreiben, obwohl der Geschichtsschreiber keineswegs den gleichen Ruhm erntet wie
derjenige, der Geschichte macht: erstens, weil die Darstellung den Taten entsprechen muß;
zweitens, weil die meisten Leser glauben, daß man die Fehler, die man tadelt, aus Mißgunst und
Neid tadele; sobald man aber die große Tüchtigkeit und den Ruhm edler Männer erwähnt, nimmt
der Leser das gleichgültig auf, weil er es sich selbst ebenfalls zutraut; darüber hinaus hält der Leser
alles für erfunden und falsch.

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Hoc illud est praecipue in cognitione rerum salubre ac frugiferum, omnis te
exempli documenta in illustri posita monumento intueri; inde tibi tuaeque rei
publicae, quod imitere, capias, inde foedum inceptu, foedum exitu, quod vites.
(Livius, praef. 10)
Das ist bei der Betrachtung der Geschichte besonders heilsam und fruchtbar, daß man Dokumente
für alle möglichen Fälle in einer verständlichen Darstellung geschildert erhält und betrachten kann;
daraus kann man für sich und die Gesellschaft entnehmen, was man nachahmen und was man
meiden soll, da es schändlich beginnt und gräßlich endet.
Tiberii Gaique et Claudii ac Neronis res florentibus ipsis ob metum falsae,
postquam occiderant, recentibus odiis compositae sunt. Inde consilium mihi
pauca de Augusto et extrema tradere, mox Tiberii principatum et cetera, sine
ira et Studio, quorum causas procul habeo. (Tacitus, ann. 1,1)
Die Geschichte des Tiberius, des Gaius, des Claudius und des Nero ist, solange die Herrscher an der
Macht waren, aus Furcht falsch und, nachdem sie gestorben waren, noch unter dem Einfluß des
Hasses dargestellt worden. Daher habe ich beschlossen, kurz über Augustus’ letzte Tage, dann über
die Regierung des Tiberius und die folgenden Ereignisse zu berichten, ohne Zorn und Zuneigung,
wofür ich überhaupt keine Gründe habe.
Tacitus meint vor Beginn seiner eigentlichen Darstellung weiter ausholen und berichten zu müssen,
in welchem Zustand die Stadt Rom sich befand, wie die Moral des Heeres beschaffen war, wie es um
die Provinzen stand, was in der ganzen Welt gesund, was krank war ...
... ut non modo Casus eventusque rerum, qui plerumque fortuiti sunt, sed ratio
etiam causaeque noscantur. (Tacitus, ann. 1, 4)
... damit nicht nur die Ereignisse als solche und ihre Folgen, sondern auch ihr Zusammenhang und
ihre Ursachen erkannt werden.

Aufgaben
1. Was definiert Cicero als die höchste Pflicht der Geschichtsschreibung?
2. Welche Funktion räumt Cicero der Geschichtsschreibung ein?

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