Die Kopfzeichnungen zu Dürers Apostelbild
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Ebenso ist der rahmende Bart recht Ilan
gezeichnet, mit seichten Girlandenlinien,.die
mir ebenso fremdartig vorkommen wie die
charakterlosen Schattenlagen unter dem
Bart, durch die der Kopf eigentümlich isoliert
wird und wie im Leeren schwimmt. Wendet
man sich dem Gesicht zu, so ist wohl jeder ent¬
täuscht, daßgarso wenig von derStoßkraftder
plastischen Form, die das Salz der Dürerschen
Zeichnung ausmacht, hierzu merken ist, ja die
Modellierung der Schattenseite wirkt gerade¬
zu hilflos: bei großem Aufwand an Strichen
ein sehr geringer Formeffekt. Das Malerische
der Behandlung gibt an sich keinen Anlaß
zur Kritik, aber cs fehlt der Nerv, übrigens
sei auf ein auffallendes technisches Motiv
noch im besondern aufmerksam gemacht:
die Augenwimpern sind als Helligkeiten
aus dem dunkeln Grunde ausgespart.
Weitaus am eindrucksvollsten ist der Kopf
des Markus (L. 72). Der in der Erregung
geöffnete Mund, die weit aulgerissenen über¬
großen Augen werden ihre Wirkung nie
verfehlen. Man kann ruhig zugeben, der Ausdruck sei ein „geistigerer“ als beim
Markus des Gemäldes. Ob aber diese Überlegenheit der Zeichnung sich nicht dadurch
erklärt, daß im Gemälde nicht mehr alles so ist, wie es war? Es ist mir immer sonderbar
vorgekommen, wie der Kragen den Bart abschneidet, so daß es aussieht, als stecke dieser
im Kragen drin. Neuere Untersuchungen des Bildes, für die ich Herrn Generaldirektor
Dörnhöffer verpflichtet bin, haben zweifelsfrei ergeben, daß der Bart ursprünglich über
den blauen) Kragen wegging, aber, nur leicht aufgesetzt, von der blauen Grundfarbe
weggefressen worden ist. Der Kopf wirkte also offenbar etwas ff eier, weniger eingesteckt,
wenn er auch nie die Schlankheit der Zeichnung gehabt haben kann. Was im Gesicht
verändert worden ist, läßt sich einstweilen schwer beurteilen. Die Oberfläche zeigt
eigentümlich neue Sprungbildungen. Sicher neu ist das grelle Weiß der Glanzlichter
(„Fensterehen“) in den Augen, und der Mund hat wohl ursprünglich auch nicht das
„Fletschende“ gehabt wie jetzt. — Wenn nun auch die Zeichnung nach Seite des Ausdrucks
sympathischer ist, so stößt man doch auch hier wieder auf Stellen, die für Dürer äußerst
befremdend wirken. Aufs neue sind es die Haare, und zwar die Locken der rechten Kopf-
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Abb. A- Markus Berlin
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Ebenso ist der rahmende Bart recht Ilan
gezeichnet, mit seichten Girlandenlinien,.die
mir ebenso fremdartig vorkommen wie die
charakterlosen Schattenlagen unter dem
Bart, durch die der Kopf eigentümlich isoliert
wird und wie im Leeren schwimmt. Wendet
man sich dem Gesicht zu, so ist wohl jeder ent¬
täuscht, daßgarso wenig von derStoßkraftder
plastischen Form, die das Salz der Dürerschen
Zeichnung ausmacht, hierzu merken ist, ja die
Modellierung der Schattenseite wirkt gerade¬
zu hilflos: bei großem Aufwand an Strichen
ein sehr geringer Formeffekt. Das Malerische
der Behandlung gibt an sich keinen Anlaß
zur Kritik, aber cs fehlt der Nerv, übrigens
sei auf ein auffallendes technisches Motiv
noch im besondern aufmerksam gemacht:
die Augenwimpern sind als Helligkeiten
aus dem dunkeln Grunde ausgespart.
Weitaus am eindrucksvollsten ist der Kopf
des Markus (L. 72). Der in der Erregung
geöffnete Mund, die weit aulgerissenen über¬
großen Augen werden ihre Wirkung nie
verfehlen. Man kann ruhig zugeben, der Ausdruck sei ein „geistigerer“ als beim
Markus des Gemäldes. Ob aber diese Überlegenheit der Zeichnung sich nicht dadurch
erklärt, daß im Gemälde nicht mehr alles so ist, wie es war? Es ist mir immer sonderbar
vorgekommen, wie der Kragen den Bart abschneidet, so daß es aussieht, als stecke dieser
im Kragen drin. Neuere Untersuchungen des Bildes, für die ich Herrn Generaldirektor
Dörnhöffer verpflichtet bin, haben zweifelsfrei ergeben, daß der Bart ursprünglich über
den blauen) Kragen wegging, aber, nur leicht aufgesetzt, von der blauen Grundfarbe
weggefressen worden ist. Der Kopf wirkte also offenbar etwas ff eier, weniger eingesteckt,
wenn er auch nie die Schlankheit der Zeichnung gehabt haben kann. Was im Gesicht
verändert worden ist, läßt sich einstweilen schwer beurteilen. Die Oberfläche zeigt
eigentümlich neue Sprungbildungen. Sicher neu ist das grelle Weiß der Glanzlichter
(„Fensterehen“) in den Augen, und der Mund hat wohl ursprünglich auch nicht das
„Fletschende“ gehabt wie jetzt. — Wenn nun auch die Zeichnung nach Seite des Ausdrucks
sympathischer ist, so stößt man doch auch hier wieder auf Stellen, die für Dürer äußerst
befremdend wirken. Aufs neue sind es die Haare, und zwar die Locken der rechten Kopf-
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Abb. A- Markus Berlin