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Abb. iß. Trauernde Maria
Konstanz, Rosgartenmuseum


DER MEISTER VON ERISKIRCH
V O N
1ULIUS BAUM
Im Beginne des i5. Jahrhunderts erfährt das Lebensgefühl in Europa eine starke Ver-
jüngung und Erneuerung. Das mystische Ideal wird von einer rationalistischen
Wendung zum Irdischen abgelöst. Zeugnisse hierfür finden sich auf allen Gebieten.
Am unmittelbarsten spiegelt die bildende Kunst diese Wandlung. Mit Recht lassen die
Italiener um i/joo ein neues Zeitalter beginnen, die Epoche der Wiedergeburt des antiken
Lebensgefühles, hn Norden schneiden die Veränderungen nicht so tief ein, daß Ursache
bestände, das i5. Jahrhundert vom Mittelalter zu lösen; erst die Reformationszeitmacht
den Schnitt, doch spricht aus den Kunstwerken der Jahrzehnte um i/joo auch im Norden
ein gesteigertes Lebensgefühl, das zu der diesseitsfeindlichen Askese der Mystik in deut-
lichem Gegensätze steht. Freilich reicht die frische Kraft im Norden nicht weiter als zur
Freude am äußeren Schein der Dinge, zum Realismus, während der Süden zu einem auf die
Gesetzlichkeit aller Gestaltung sich gründenden Idealismus durchdringt. Vergleicht man
den Adam des Masaccio mit dem Adam des Jan van Eyck, so tritt der Gegensatz zwischen
südlicher Renaissance und nordischer Gotik unmittelbar in die Erscheinung.

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