JAKOB BURCKHARDT
Mit I Abbildung auf Tafel i vor dem Titel Von WILHELM WAETZOLDT
Wer in den elyseischen Gefilden nach Jakob Burckhardt Umschau halten
dürfte, würde ihm schwerlich unter den Scharen disputierender Gelehrter, gewiß
nicht im Kreise seiner kunsthistorischen Fachgenossen begegnen, vielleicht
ihn aber in der Gegend antreffen, wo Gottfried Keller und Arnold Boecklin
beim Weine sitzen. Dem Dichter und dem Maler zugesellt, genießt er dort das
wunderbare Schauspiel ,,dem Geist der Menschheit erkennend nachzugehen".
In der Sehnsucht nach dieser Erkenntnis klingen Burckhardts weltgeschichtliche
Betrachtungen ergreifend aus. Solch edle Sehnsucht, die des Glücks und Un-
glücks völlig vergessen läßt, gibt Burckhardts Wesen das gedämpfte Leuchten
und auch die heitere Resignation.
Jakob Burckhardt war ein Kind der vita contemplativa, ein Betrachter
der Dinge, aber welch ein Betrachter! Um frei betrachten zu können, hielt
er sich — nicht ohne Egoismus — alles vom Leibe, was ihn in die Händel dieser
Welt hätte verwickeln können, verzichtete er freiwillig auf vieles, was anderen
Glück bedeutet. Wie persönlich empfunden ist doch das Lob des Eremitenwesens
und der selbstgewählten Einsamkeit im 9. Abschnitt seiner „Zeit Constantins".
Einem Dichter — dem jungen Paul Heyse — rief Burckhardt 1848 die Verse zu :
Du entsage! Gib Dein Sinnen
ganz dem Schönen; bettelarm —
doch im Herzen göttlich warm —
zieh getrosten Muts von hinnen.
In Burckhardts äußerem Dasein verband sich eine höhere asketische Hal-
tung des Lebens anmutig mit bemessener Hingebung an ein feines Epikuräertum.
Vor der Gefahr, in der Einsamkeit seines Baseler Gehäuses, aus dem er sich
auch nicht nach Berlin auf Rankes Lehrstuhl hatte locken lassen, zum Sonder-
ling und Eigenbrödler des Geistes zu werden, schützte Burckhardt die Univer-
salität seiner Anlagen. Er gehörte zu den von ihm so geliebten allseitigen, helle-
nischen Menschen. Burckhardts Universalität ist nicht so sehr die des Wissens,
die den Polyhistor ausmacht, als vielmehr eine Universalität der Liebe, das
Kennzeichen des Dilettanten in dem Sinne, wie Goethe und Burckhardt das
Wort faßten. Ein Blick in das Verzeichnis der etwa 170 in den Jahren 1844—1892
gehaltenen Vorträge Burckhardts genügt, um einen Begriff zu geben von der
Weite seines geistigen Horizonts, der Mannigfaltigkeit und Ursprünglichkeit
seiner Fragestellungen. Von Pythagoras bis Napoleon I., von griechischer Koch-
kunst bis zu den Briefen der Frau von Sevigny, von Demetrius, dem Städte-
gründer, bis zu Rembrandt schweifen diese „Anregungen zur geschichtlichen
Betrachtung der Welt".
Aber auch Universalität des wissenschaftlichen Interesses würde Burckhardts
Werk nicht lebendig erhalten, wenn er nicht noch eine dritte Grundkraft besessen
hätte: Ursprünglichkeit. „Originalität muß man haben, nicht danach streben"
sagt Burckhardt einmal selbst, als er von der geistigen Pest der Originalitäts-
1 Jahrbuch der Kunstwissenschaft 1923.
Mit I Abbildung auf Tafel i vor dem Titel Von WILHELM WAETZOLDT
Wer in den elyseischen Gefilden nach Jakob Burckhardt Umschau halten
dürfte, würde ihm schwerlich unter den Scharen disputierender Gelehrter, gewiß
nicht im Kreise seiner kunsthistorischen Fachgenossen begegnen, vielleicht
ihn aber in der Gegend antreffen, wo Gottfried Keller und Arnold Boecklin
beim Weine sitzen. Dem Dichter und dem Maler zugesellt, genießt er dort das
wunderbare Schauspiel ,,dem Geist der Menschheit erkennend nachzugehen".
In der Sehnsucht nach dieser Erkenntnis klingen Burckhardts weltgeschichtliche
Betrachtungen ergreifend aus. Solch edle Sehnsucht, die des Glücks und Un-
glücks völlig vergessen läßt, gibt Burckhardts Wesen das gedämpfte Leuchten
und auch die heitere Resignation.
Jakob Burckhardt war ein Kind der vita contemplativa, ein Betrachter
der Dinge, aber welch ein Betrachter! Um frei betrachten zu können, hielt
er sich — nicht ohne Egoismus — alles vom Leibe, was ihn in die Händel dieser
Welt hätte verwickeln können, verzichtete er freiwillig auf vieles, was anderen
Glück bedeutet. Wie persönlich empfunden ist doch das Lob des Eremitenwesens
und der selbstgewählten Einsamkeit im 9. Abschnitt seiner „Zeit Constantins".
Einem Dichter — dem jungen Paul Heyse — rief Burckhardt 1848 die Verse zu :
Du entsage! Gib Dein Sinnen
ganz dem Schönen; bettelarm —
doch im Herzen göttlich warm —
zieh getrosten Muts von hinnen.
In Burckhardts äußerem Dasein verband sich eine höhere asketische Hal-
tung des Lebens anmutig mit bemessener Hingebung an ein feines Epikuräertum.
Vor der Gefahr, in der Einsamkeit seines Baseler Gehäuses, aus dem er sich
auch nicht nach Berlin auf Rankes Lehrstuhl hatte locken lassen, zum Sonder-
ling und Eigenbrödler des Geistes zu werden, schützte Burckhardt die Univer-
salität seiner Anlagen. Er gehörte zu den von ihm so geliebten allseitigen, helle-
nischen Menschen. Burckhardts Universalität ist nicht so sehr die des Wissens,
die den Polyhistor ausmacht, als vielmehr eine Universalität der Liebe, das
Kennzeichen des Dilettanten in dem Sinne, wie Goethe und Burckhardt das
Wort faßten. Ein Blick in das Verzeichnis der etwa 170 in den Jahren 1844—1892
gehaltenen Vorträge Burckhardts genügt, um einen Begriff zu geben von der
Weite seines geistigen Horizonts, der Mannigfaltigkeit und Ursprünglichkeit
seiner Fragestellungen. Von Pythagoras bis Napoleon I., von griechischer Koch-
kunst bis zu den Briefen der Frau von Sevigny, von Demetrius, dem Städte-
gründer, bis zu Rembrandt schweifen diese „Anregungen zur geschichtlichen
Betrachtung der Welt".
Aber auch Universalität des wissenschaftlichen Interesses würde Burckhardts
Werk nicht lebendig erhalten, wenn er nicht noch eine dritte Grundkraft besessen
hätte: Ursprünglichkeit. „Originalität muß man haben, nicht danach streben"
sagt Burckhardt einmal selbst, als er von der geistigen Pest der Originalitäts-
1 Jahrbuch der Kunstwissenschaft 1923.