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Jahrbuch für Kunstwissenschaft — 1923

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Ring, Grete: Der Meister des verlorenen Sohnes, Jan Mandyn und Lenaert Kroes
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https://doi.org/10.11588/diglit.75025#0396

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DER MEISTERDES VERL 0RENEN
SOHNES, JAN MANDYN UND LENAERT
KROES Von GRETE RING
Mit 6 Abbildungen auf Tafel 95—97

Es ist nicht eben aktuell, sich mit Künstlern kleinerer und kleinster Ordnung
abzugeben. Stetig schwillt die Fülle monographischer Darstellungen der wenigen
Großen, ihr Schaffen wird von einem so dichten Forschungsnetz umsponnen,
daß kein noch so zufälliges Nebenwerk durch die Maschen schlüpfen kann,
ihre Persönlichkeit zeigt sich hin- und hergewendet, bis alle Schauseiten ab-
geleuchtet sind. Die Ursachen dieser Beschränkung liegen in Wahrheit nicht so
sehr in dem berechtigten Wunsch, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren,
als vielmehr in der praktischen Kalkulation, die nur noch dem Thema Papier
und Druck konzedieren kann, das geeignet scheint, weiteren Kreisen Interesse
abzuzwingen. Bei der Behandlung von Künstlern kleineren Wuchses stellt sich
dem Fernerstehenden allzuleicht die aufgewandte Mühe im umgekehrten Ver-
hältnis zur Bedeutung des Gegenstandes dar. Darüber wird ein Gesichtspunkt
immer mehr außer acht gelassen: daß, anstatt von vornherein ins Schwarze
zu zielen und zu versuchen, die Zentralgestalt des Meisters zu treffen, es auch
wohl angeht, das Zentrum zunächst mit einem Kranz von Pfeilen zu umspicken
und so das „Schwarze" allmählich von außen einzukreisen. Denn das sei fest-
gehalten: daß die Beschäftigung mit der Kunst der Kleineren nur dem
Maße ihre Berechtigung erweist, als sie dient, das Schaffen der Großen auf-
zuheilen.
Ich rechne danach auf Nachsicht, wenn ich eine Bildergruppe einführe,
die — ohne selbst von höchster Qualität zu sein — zu Hieronymus Bosch einer-
seits, zu Pieter Aertsen und den Ausläufern des Brueghelkreises andererseits
in deutlicher Beziehung steht.
In der Gemäldegalerie der Wiener Staatsmuseen hängt unter Nr. 773
eine Darstellung des „Verlorenen Sohnes", dem „Hendrik van Cleve" zuge-
schrieben (Abb. 1). Die Zuschreibung tauchte plötzlich und willkürlich auf,
nachdem in den alten Inventaren bis hinab ins 17. Jahrhundert das Bild auf den
Namen des „Langen Pier" (Pieter Aertsen) gegangen war. Die alte Bezeichnung
erweist sich als die fruchtbarere: von Hendrik van Cleve, einem Schüler und Mit-
arbeiter des Frans Floris, von dessen Verdiensten um die Vedutenmalerei van
Mander berichtet1), ist kein beglaubigtes Werk bewahrt, während der „Ver-
lorene Sohn" deutliche stilistische Verwandtschaft mit Aertsen aufweist. Glück*)
identifiziert denn auch den Schöpfer des „Verlorenen Sohnes" mit einem Künstler
dessen Lebenslauf sich mehrfach mit dem des Aertsen verschränkt: Jan Mandyn.
Nach van Mander3) wohnte Aertsen in Antwerpen „bei einem Wallonen namens
Mandyn". „Ich bin aber der Ansicht — fährt van Mander fort — daß es zwei

9 Van Mander, ed. Flörke 1906, 1 S. 237.

2) Jahrbuch der königl. Preuß. Kunstsammlungen XXV, 1904, S. 175.

3) Van Mander ed. Flörke 1, S. 331.

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