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Otto Benndorf.
Das Ende des Krieges nehmen schliesslich die beiden Gruppen der flüchtenden Auswanderer und des ab-
ziehenden Siegers voraus. Oben das gemeine Volk mit dem bepackten Esel, der schon in assyrischen
Reliefs typisch ist für den Auszug aus der eroberten Stadt. Unten Helena in ihrem vornehmen Reitstuhl1
auf dem weiblichen Maulthiere, wie Ismene auf der Arrvata ttwaoc, in reizvoller Gruppirung mit dem
schützend folgenden Menelaos: so zwar von dem üblichen Typus der attischen Kunst wie von Polygnot
völlig abweichend und bisher durch keine analoge Darstellung bestätigt, aber als Helena doch nicht blos
durch die wie ein musikalisches Motiv sich wiederholende Gestalt sondern durch den nothwendigen
Zusammenhang der Sache gesichert; denn welche Iliupersis würde ihrer Idee gerecht ohne Wieder-
gewinnung der Helena?
139. Krater von Akragas der Sammlung Stoddart.
Die erhaltenen Denkmäler, welche sich auf den troischen Krieg beziehen, sind mit verschwindenden
Ausnahmen Einzelbilder. Aus der epischen Erzählung greifen sie eine verhältnissmässig kleine Zahl von
Situationen heraus, welche der Gestaltung formelle Reize versprachen oder die künstlerische Phantasie
durch ihren ideellen Gehalt anzogen. Diese Situationen geben sie meist ohne Beiwerk in wenigen Figuren,
die das Wesentliche aussprechen, so dass die dichterische Idee oftmals auf die kürzeste Formel gebracht
scheint. Wo die Darstellungen ausführlicher sind, binden sie sich nicht ängstlich an örtliche und zeitliche
Einheit, aber die Stelle, welche sie in der geschichtlichen Abfolge des Sagenstoffes einnehmen, ist in der
Regel nur durch die Deutlichkeit, mit der sie sich selbst erklären, seltener zusätzlich durch eingeflochtene
Beziehungen auf Vorausliegendes oder Zukünftiges bezeichnet.
Wie sich der Fries einer langen Halle zu bescheidenen Zimmergemälden verhält, so tritt jetzt diesen
troischen Einzelbildern eine umfassende Gesammtdarstellung des troischen Krieges gegenüber und mit
der räumlichen Grösse scheint sich die gegensätzliche Eigenart der letzteren zu steigern.
In dieser Eigenart liegt zunächst eine gewisse Lockerung der Composition und der Mangel einer
symmetrischen Anlage begründet. In der langen Flucht hebt sich zwar die Stadtbelagerung durch ihre
Scenerie formell als eine Mitte heraus und als Mitte ist sie nicht nur durch tieferes Relief und gedrängtere
Gruppirungen sondern auch durch eine gewisse Sinnschwere der Darlegung betont. Durch eine starke Ver-
schiebung ist indessen die Bedeutung dieses Centrums wieder geschwächt und die entstandene Gliederung
markirt sich überhaupt so schwach und ist auch in dem Baue der beiden Seitentheile nur so leise weiter-
geführt, dass sie auf Entfernungen, in denen man die Wand ganz übersah, nicht eigentlich dem Auge noch
eindrücklich werden konnte sondern mehr wie ein Verhältniss von Zeitgrössen empfunden wurde, wenn
1 Einer ctoipäßr), Hermann-Blümner, Griechische Privatalterthümer, S.481, und Heydemann, Fünftes Halle'sches Winckel-
mannsprogramm, S. 30. Genau entspricht der Reitstuhl, in welchem Dionysos in einem rothfigurigen Vasengemälde des schönen
Stils (Berlin, Nr. 2334) auf einem Maulthiere sitzt, auch derjenige des Hephaistos im Hochzeitsstreifen der Francoisvase, Wiener
Vorlegeblätter 1888, Taf. II. Vgl. die Eselsänfte in einem ägyptischen Relief aus dem alten Reiche, Lepsius, Denkmäler II, 43 a,
und Layard, Monuments of Niniveh, pl. 82, und die heute in Kleinasien gebräuchliche Vorrichtung, Fellows, Asia minor, S. 291. —
Eine merkwürdige Auszugsscene zeigt das Bruchstück einer schwarzfigurigen Vase von Deffeneh, Flinders Petrie, Tanis, part II,
pl. XXIX 4: eine anscheinend unbekleidete weibliche Gestalt, welche rittlings auf einem reich gesattelten und geschmückten,
langsam nach rechts ausschreitenden Pferde sitzt, dessen Zügel sie in den Händen-hält; vorausgehend und nach ihr zurück-
blickend ein bärtiger Mann mit Lanze; unter dem Pferde ein wie traurig mitschleichender Hund und über dem Pferde ein weg-
fliegender Vogel. — Studniczka erinnert an ein seltsames Relief in Neapel (Museo Borbonico XIV, ii; Bötticher, Baumcultus
der Hellenen, Fig. 21), in welchem ein nackter Jüngling mit Torgues und ein halbbekleidetes Mädchen, das eine Fackel hält,
zusammen auf einem Pferde reiten.
Otto Benndorf.
Das Ende des Krieges nehmen schliesslich die beiden Gruppen der flüchtenden Auswanderer und des ab-
ziehenden Siegers voraus. Oben das gemeine Volk mit dem bepackten Esel, der schon in assyrischen
Reliefs typisch ist für den Auszug aus der eroberten Stadt. Unten Helena in ihrem vornehmen Reitstuhl1
auf dem weiblichen Maulthiere, wie Ismene auf der Arrvata ttwaoc, in reizvoller Gruppirung mit dem
schützend folgenden Menelaos: so zwar von dem üblichen Typus der attischen Kunst wie von Polygnot
völlig abweichend und bisher durch keine analoge Darstellung bestätigt, aber als Helena doch nicht blos
durch die wie ein musikalisches Motiv sich wiederholende Gestalt sondern durch den nothwendigen
Zusammenhang der Sache gesichert; denn welche Iliupersis würde ihrer Idee gerecht ohne Wieder-
gewinnung der Helena?
139. Krater von Akragas der Sammlung Stoddart.
Die erhaltenen Denkmäler, welche sich auf den troischen Krieg beziehen, sind mit verschwindenden
Ausnahmen Einzelbilder. Aus der epischen Erzählung greifen sie eine verhältnissmässig kleine Zahl von
Situationen heraus, welche der Gestaltung formelle Reize versprachen oder die künstlerische Phantasie
durch ihren ideellen Gehalt anzogen. Diese Situationen geben sie meist ohne Beiwerk in wenigen Figuren,
die das Wesentliche aussprechen, so dass die dichterische Idee oftmals auf die kürzeste Formel gebracht
scheint. Wo die Darstellungen ausführlicher sind, binden sie sich nicht ängstlich an örtliche und zeitliche
Einheit, aber die Stelle, welche sie in der geschichtlichen Abfolge des Sagenstoffes einnehmen, ist in der
Regel nur durch die Deutlichkeit, mit der sie sich selbst erklären, seltener zusätzlich durch eingeflochtene
Beziehungen auf Vorausliegendes oder Zukünftiges bezeichnet.
Wie sich der Fries einer langen Halle zu bescheidenen Zimmergemälden verhält, so tritt jetzt diesen
troischen Einzelbildern eine umfassende Gesammtdarstellung des troischen Krieges gegenüber und mit
der räumlichen Grösse scheint sich die gegensätzliche Eigenart der letzteren zu steigern.
In dieser Eigenart liegt zunächst eine gewisse Lockerung der Composition und der Mangel einer
symmetrischen Anlage begründet. In der langen Flucht hebt sich zwar die Stadtbelagerung durch ihre
Scenerie formell als eine Mitte heraus und als Mitte ist sie nicht nur durch tieferes Relief und gedrängtere
Gruppirungen sondern auch durch eine gewisse Sinnschwere der Darlegung betont. Durch eine starke Ver-
schiebung ist indessen die Bedeutung dieses Centrums wieder geschwächt und die entstandene Gliederung
markirt sich überhaupt so schwach und ist auch in dem Baue der beiden Seitentheile nur so leise weiter-
geführt, dass sie auf Entfernungen, in denen man die Wand ganz übersah, nicht eigentlich dem Auge noch
eindrücklich werden konnte sondern mehr wie ein Verhältniss von Zeitgrössen empfunden wurde, wenn
1 Einer ctoipäßr), Hermann-Blümner, Griechische Privatalterthümer, S.481, und Heydemann, Fünftes Halle'sches Winckel-
mannsprogramm, S. 30. Genau entspricht der Reitstuhl, in welchem Dionysos in einem rothfigurigen Vasengemälde des schönen
Stils (Berlin, Nr. 2334) auf einem Maulthiere sitzt, auch derjenige des Hephaistos im Hochzeitsstreifen der Francoisvase, Wiener
Vorlegeblätter 1888, Taf. II. Vgl. die Eselsänfte in einem ägyptischen Relief aus dem alten Reiche, Lepsius, Denkmäler II, 43 a,
und Layard, Monuments of Niniveh, pl. 82, und die heute in Kleinasien gebräuchliche Vorrichtung, Fellows, Asia minor, S. 291. —
Eine merkwürdige Auszugsscene zeigt das Bruchstück einer schwarzfigurigen Vase von Deffeneh, Flinders Petrie, Tanis, part II,
pl. XXIX 4: eine anscheinend unbekleidete weibliche Gestalt, welche rittlings auf einem reich gesattelten und geschmückten,
langsam nach rechts ausschreitenden Pferde sitzt, dessen Zügel sie in den Händen-hält; vorausgehend und nach ihr zurück-
blickend ein bärtiger Mann mit Lanze; unter dem Pferde ein wie traurig mitschleichender Hund und über dem Pferde ein weg-
fliegender Vogel. — Studniczka erinnert an ein seltsames Relief in Neapel (Museo Borbonico XIV, ii; Bötticher, Baumcultus
der Hellenen, Fig. 21), in welchem ein nackter Jüngling mit Torgues und ein halbbekleidetes Mädchen, das eine Fackel hält,
zusammen auf einem Pferde reiten.