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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 14.1893

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I. Theil: Abhandlungen
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Wickhoff, Franz: Die Ornamente eines altchristlichen Codex der Hofbibliothek
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https://doi.org/10.11588/diglit.5885#0235
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2 12 Franz Wickhoff.

Die Titelblätter der Codices, die mit historischen Bildern geschmückt wurden, haben wir als
Scheiben kennen gelernt, die von einem plastisch gedachten Rahmen umgeben sind. Waren es im
Codex Rossanensis verschiedenfarbige runde Blättchen, die, schuppenartig übereinander geschichtet,
zwischen sich verschlingende Bänder geordnet, den Rahmen bildeten, so legte sich um die blaue silber-
schimmernde Schriftscheibe, die im Wiener Dioscorides den Titel trug, ein schwerer Kranz aus edlem
Metalle. Von den beiden in unserem Codex enthaltenen Handschriften hat nur das Evangeliarium ein
Titelblatt (Taf. XVI). Sein Zeichner hätte es analog dem Dioscorides gestalten können, da er schon beim
Zierblatte den Kranz geschickt, anstatt ihn plastisch heraustreten zu lassen, zu einem Flachornamente
umgestaltet hatte. Er zog, um Einförmigkeit zu vermeiden, ein anderes Motiv vor. Er bildete zunächst
einen Holzrahmen nach, der aus acht flachen schmalen Latten zusammengesetzt war. Es entstand so ein
äusserer und ein innerer Rahmen, die einen Raum von etwa einem Centimeter Breite zwischen sich
Hessen. Wo sich die Latten des äusseren Rahmens treffen, wo die des inneren sich schneiden und wieder

wo sie auf den Latten des äusseren Rahmens auf-
liegen, sind sie durch kleine Metallnägel unter sich
verbunden. Es ist damit ein Lattengerüste hergestellt,
leicht und zierlich aber doch fest genug, um einem
daraufgespannten Gewebe Halt zu geben. Doch schien
das rechteckige Mittelfeld noch weiterer Stützen zu
bedürfen, weshalb etwa einen halben Centimeter von
dem inneren Rahmen entfernt nochmals vier schmälere
Latten eingesetzt wurden, die ebenfalls an ihren Kreu-
zungsstellen und dort, wo sie den inneren Rand trafen,
mit kleinen Metallnägeln befestigt wurden. Jetzt erst
wurde unter dieses Rahmenwerk ein buntes Tuch, ein
Teppich, gespannt, dessen mehrfache Bordüren sich
gefällig in den Zwischenräumen des Lattenwerkes ver-
theilten.

Dieses einfache Holzgerüste, das mit Zeug be-
spannt ist, entsprang keineswegs der Phantasie unseres
Zeichners; es ist im Gegentheile die Nachbildung jenes
Fensterverschlusses, der im Süden solange in Gebrauch
blieb, bis die Verglasung der Fenster vollständig durch-
gedrungen war. Nur an öffentlichen Gebäuden, wie an
der christlichen Basilica, hatte das spätere Alterthum
die Fenster mit dünnen gemusterten Alabasterplatten
geschlossen; wo aber dieser Aufwand nicht gemacht
wurde und man doch einen lichtdurchlassenden Ver-
schluss für nöthig hielt, dort bot das über einen Rahmen gespannte Tuch, die »impannata«, wie man es
später in Italien nannte, den einzigen Ersatz. Unser Zeichner hat also sein Motiv nicht von weit her holen
müssen sondern nach einem naheliegenden Vorbilde gegriffen. Und da es seiner technischen Ent-
stehung sowie seiner Bestimmung nach ein Flächenmuster bot, hat er sich sogar jede Umstilisirung er-
sparen können. Es war zudem in seiner Form eines Rechteckes ohne Aenderung in den Verhältnissen
zu verwenden und verlangte nichts weiter als eine Verkleinerung des Formates. Das mittlere Feld
unseres Fensterteppichs ist horizontal gestreift, so dass gelbe Bänder mit schmäleren rothen und blauen
wechseln. Die breiteren gelben Bänder tragen die weiss geschriebenen Worte des Titels, die blauen
und rothen Bänder Wellenlinien im Hundslauf. Solche der Breite nach gestreifte Stoffe sind das ein-
fachste, aus der Technik des Webstuhles sich von selbst ergebende Muster und bis auf den heutigen
Tag verwendet sie das Morgenland sowie das Abendland mit Vorliebe, wo helle Sonnenstrahlen ab-
geblendet werden sollen. Auch die äussere Bordüre zeigt ein bekanntes Textilmuster, aus sich schnei-

Fig. 20.
 
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