Die ältesten Medaillen und die Antike.
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Die Frage drängt sich von selbst auf: stehen diese merkwürdigen Medaillen der Carraresen ver-
einzelt da als gelegentlicher Einfall eines Stempelschneiders, der rasch wieder verschwindet, oder sind
Analogien zu ihnen vorhanden? Wie sind sie überhaupt aus dem Milieu ihrer Zeit, von dem sie sich
für uns so fremdartig abheben, zu erklären?
Auf die erste dieser Fragen hat Friedländer geantwortet, wenn auch nur zum Theile und fast
lediglich vom numismatischen Standpunkte aus, wie ihm denn überhaupt, auch in seinem so überaus
verdienstlichen Hauptwerke, Schulung und Blick für kunstgeschichtliche Fragen mangeln. Die zweite
Frage soll nach Möglichkeit, soweit es das noch sehr lückenhafte Material gestattet, im Schlusscapitel
erörtert werden.
Friedländer hat schon in der oben citirten kleinen Schrift auf eine Gruppe von Künstlern hin-
gewiesen, die in dem nahen Venedig thätig waren. Es ist die Familie der Sesto, die fast ein volles
Jahrhundert hindurch an der Zecca von San Marco
als Stempelschneider und Münzmeister (intajadori)
urkundlich nachzuweisen sind.1 Die ältesten Glieder
der Familie sind Jacomo, »intagliador alla moneda
de Veniesia«, dessen Grabschrift von 1404 in San
Stefano zu Venedig Palfer in einem handschriftlich
auf der Marciana bewahrten Inschriftenwerke copirt
hat, und Bernardo, der 1411 als Stempelschneider
für Goldmünzen in den Urkunden erscheint. Er hat
diesen wichtigen Posten gewiss schon viel länger
innegehabt, da seine beiden Söhne Lorenzo und
Marco bereits i3g4 als Stempelschneider für Silber-
münzen aufgeführt werden.2 Im XV. Jahrhundert werden uns noch Girolamo Sesto (gest. 1447) und
1454 Luca Sesto genannt, der seinen Sohn Bernardo 1483 als Hilfsarbeiter erhielt. Das ist die letzte
Notiz über diese Künstlerfamilie.
Die Sesto waren aber auch als Goldschmiede thätig und gesucht. Ihre Werke sind über Venetien
und Friaul zerstreut.3 Besonders die Thätigkeit des ältesten, Bernardo di Marco, erstreckte sich vom
Gebirge bis in die trevisanische Ebene. Zeugen davon das schöne, mit Namen und Jahreszahl bezeich-
nete4 Vortragekreuz in dem malerischen, thalsperrenden Gebirgsstädtchen Venzone sowie das leider
verschollene aber von dem trefflichen Federici5 genau beschriebene Kreuz in San Niccolö zu Treviso,
das laut einer noch vorhandenen Urkunde am 18. März 1417 den Meistern Bernardo, Marco und
Alessandro Sesto, Goldschmieden von Venedig, in Arbeit gegeben wurde. Dieser Alessandro scheint
gleichfalls ein Sohn des Bernardo gewesen zu sein; wir werden ihn sogleich näher kennen lernen.6
Von den drei Söhnen des alten Bernardo existiren nun drei medaillenartige Stücke, von grösstem
historischen Interesse, zumal da sie mit Namen und Jahreszahl bezeichnet sind. Durchaus geprägt,
1 Papadopoli, Alcune notizie sugli intagliatori della zecca di Venezia, Archivio Veneto XXXV, p. 272, wiederholt in
der Rivista Italiana di numismatica I (1888), p. 351 ff.
2 Am 29. September 1405, nach dem Falle der Scaliger, wird dem Marco Sesto die Anfertigung der Münzstempel
für Verona und Vicenza aufgetragen. Siehe den Wortlaut der Urkunde aus dem Capitolare delle broche bei Lazari, Monete
dei possedimcnti veneziani, Venezia 1851, p. 13g.
3 Siehe die freilich nicht ganz verlässliche Zusammenstellung bei Urbani de Gheltof, Les arts industriels ä Venise
Venedig 1885, p. 21 ff. — Auch das herrliche Vortragekreuz, der alte »penelo« der Scuola grande di San Teodora in Vene-
dig, jetzt im kunsthistorischen Hofmuseum in Wien, ist wohl ein Werk der Sesto, nahe verwandt dem im Tesoro der
Salute in Venedig bewahrten (abgebildet im Album von Objecten aus der Sammlung kunstindustrieller Gegenstände des
Allerh. Kaiserhauses. Arbeiten der Goldschmiede- und Steinschlifftechnik, erläutert von Dr. Albert Ilg, Wien 1895, Taf. IV
und V).
4 Bernardus de Marcho Sexto fecit 1421 (nicht 1402, wie irrthümlich bei Urbani, a.a.O., steht).
5 Memorie Trevigiane, Venezia i8o3, vol. I, 170 und 182.
' Woher Kunz bei Neumann, Verzeichniss der bekannten Kupfermünzen etc. V, 81, den Namen des Tiberio di Marco
Sesto hat, ist mir unerfindlich.
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Die Frage drängt sich von selbst auf: stehen diese merkwürdigen Medaillen der Carraresen ver-
einzelt da als gelegentlicher Einfall eines Stempelschneiders, der rasch wieder verschwindet, oder sind
Analogien zu ihnen vorhanden? Wie sind sie überhaupt aus dem Milieu ihrer Zeit, von dem sie sich
für uns so fremdartig abheben, zu erklären?
Auf die erste dieser Fragen hat Friedländer geantwortet, wenn auch nur zum Theile und fast
lediglich vom numismatischen Standpunkte aus, wie ihm denn überhaupt, auch in seinem so überaus
verdienstlichen Hauptwerke, Schulung und Blick für kunstgeschichtliche Fragen mangeln. Die zweite
Frage soll nach Möglichkeit, soweit es das noch sehr lückenhafte Material gestattet, im Schlusscapitel
erörtert werden.
Friedländer hat schon in der oben citirten kleinen Schrift auf eine Gruppe von Künstlern hin-
gewiesen, die in dem nahen Venedig thätig waren. Es ist die Familie der Sesto, die fast ein volles
Jahrhundert hindurch an der Zecca von San Marco
als Stempelschneider und Münzmeister (intajadori)
urkundlich nachzuweisen sind.1 Die ältesten Glieder
der Familie sind Jacomo, »intagliador alla moneda
de Veniesia«, dessen Grabschrift von 1404 in San
Stefano zu Venedig Palfer in einem handschriftlich
auf der Marciana bewahrten Inschriftenwerke copirt
hat, und Bernardo, der 1411 als Stempelschneider
für Goldmünzen in den Urkunden erscheint. Er hat
diesen wichtigen Posten gewiss schon viel länger
innegehabt, da seine beiden Söhne Lorenzo und
Marco bereits i3g4 als Stempelschneider für Silber-
münzen aufgeführt werden.2 Im XV. Jahrhundert werden uns noch Girolamo Sesto (gest. 1447) und
1454 Luca Sesto genannt, der seinen Sohn Bernardo 1483 als Hilfsarbeiter erhielt. Das ist die letzte
Notiz über diese Künstlerfamilie.
Die Sesto waren aber auch als Goldschmiede thätig und gesucht. Ihre Werke sind über Venetien
und Friaul zerstreut.3 Besonders die Thätigkeit des ältesten, Bernardo di Marco, erstreckte sich vom
Gebirge bis in die trevisanische Ebene. Zeugen davon das schöne, mit Namen und Jahreszahl bezeich-
nete4 Vortragekreuz in dem malerischen, thalsperrenden Gebirgsstädtchen Venzone sowie das leider
verschollene aber von dem trefflichen Federici5 genau beschriebene Kreuz in San Niccolö zu Treviso,
das laut einer noch vorhandenen Urkunde am 18. März 1417 den Meistern Bernardo, Marco und
Alessandro Sesto, Goldschmieden von Venedig, in Arbeit gegeben wurde. Dieser Alessandro scheint
gleichfalls ein Sohn des Bernardo gewesen zu sein; wir werden ihn sogleich näher kennen lernen.6
Von den drei Söhnen des alten Bernardo existiren nun drei medaillenartige Stücke, von grösstem
historischen Interesse, zumal da sie mit Namen und Jahreszahl bezeichnet sind. Durchaus geprägt,
1 Papadopoli, Alcune notizie sugli intagliatori della zecca di Venezia, Archivio Veneto XXXV, p. 272, wiederholt in
der Rivista Italiana di numismatica I (1888), p. 351 ff.
2 Am 29. September 1405, nach dem Falle der Scaliger, wird dem Marco Sesto die Anfertigung der Münzstempel
für Verona und Vicenza aufgetragen. Siehe den Wortlaut der Urkunde aus dem Capitolare delle broche bei Lazari, Monete
dei possedimcnti veneziani, Venezia 1851, p. 13g.
3 Siehe die freilich nicht ganz verlässliche Zusammenstellung bei Urbani de Gheltof, Les arts industriels ä Venise
Venedig 1885, p. 21 ff. — Auch das herrliche Vortragekreuz, der alte »penelo« der Scuola grande di San Teodora in Vene-
dig, jetzt im kunsthistorischen Hofmuseum in Wien, ist wohl ein Werk der Sesto, nahe verwandt dem im Tesoro der
Salute in Venedig bewahrten (abgebildet im Album von Objecten aus der Sammlung kunstindustrieller Gegenstände des
Allerh. Kaiserhauses. Arbeiten der Goldschmiede- und Steinschlifftechnik, erläutert von Dr. Albert Ilg, Wien 1895, Taf. IV
und V).
4 Bernardus de Marcho Sexto fecit 1421 (nicht 1402, wie irrthümlich bei Urbani, a.a.O., steht).
5 Memorie Trevigiane, Venezia i8o3, vol. I, 170 und 182.
' Woher Kunz bei Neumann, Verzeichniss der bekannten Kupfermünzen etc. V, 81, den Namen des Tiberio di Marco
Sesto hat, ist mir unerfindlich.