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Dr. Friedrich Kenner.
Die Miniature ist sehr fein und frisch gemalt und lässt die dargestellte Dame, die in einem Alter
von etwa dreissig Jahren steht, bei aller Noblesse der Auffassung voll Heiterkeit und Lebenslust er-
scheinen. Ueber den Maler wage ich keine Vermuthung auszusprechen.
68. Carmagnola, Francesco Bussoni aus Carmagnola in der Markgrafschaft Saluzzo,
von niederem Herkommen, geboren um i3go, betrat als Waffenträger eines gemeinen Soldaten die kriegerische
Laufbahn, in der er durch Kühnheit und Ausdauer sehr bald die Führung eines Fähnleins, dann grösserer Truppen-
körper erlangte und nach neuen Erfolgen die Gunst des Herzogs Filippo Maria Visconti in so hohem Grade gewann,
dass ihn dieser mit einer Frau aus seinem Hause vermählte und auf wichtige Posten berief. Bald aber wurde
Francesco durch seine Neider und den grösseren Kriegs-
ruhm des Guido Torelli, der den König Alfonso zur See
'»^■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■l besiegt hatte, aus der Gunst des Herzogs verdrängt,
^2^^£^Ü^^y^2*^^^"^^5|^^^^^^^^^HH weshalb er dessen Dienste verliess und in jene der Re-
publik Venedig, als Anführer ihrer Armee im Kampfe
, ' ''Wu^BB^^M gegen die Visconti, eintrat. Als solcher entriss er seinem
ijpHWMfijer H -\ ü.' \"t~'' früheren Gönner zwar Verona und Brescia, gerieth
P|ßgHjE?F ^■"'^i^^rK^'-^V^iv'" aber mit dem Rathe in Zwiespalt über die weiteren
■V . .JpH^^^^^HH|| Actionen. Als er die von Mailand aus bedrängte Flotte
der Venezianer (auf dem Po) nicht hinlänglich unter-
stützte und die Gelegenheit versäumte, Cremona ein-
zunehmen, schöpfte der Rath den Verdacht eines
Einverständnisses mit Mailand, berief ihn nach Vene-
dig und Hess ihn als Verräther am 5. März 1422 ent-
haupten. Sein Vermögen, angeblich 200.000 Gold-
stücke, fiel der Republik anheim.
Zierliche Goldschrift in der Ecke links oben:
CARMAGNOLA. Brustbild rechts, im Dreiviertel-
profil, unbärtig, der Kopf etwas zurückgeneigt,
die seitwärts blickenden Augen und die Brauen
sowie das Haupthaar dunkelbraun, Nase gebogen
und spitz, die Oberlippe vortretend, das Kinn
klein; auf dem Kopfe ein weisses Tuch, darüber
ein hochrother Hut mit aufgestellter Krampe und
breitem Obertheil, an diesem ein graues vier-
eckiges Blatt mit feingemalter Schrift: Magco D.
fran0 car { magnola cap° nro | General.1 Das
Kettenhemd roth vorgestossen, mit weissem Hals-
Nr. 68. 0 '
streif, der Waffenrock auf der rechten Brustseite
hochroth mit drei Reihen Eisenhütchen, auf der
linken Seite blau, die Aermel grün, mit schmalen rothen doppelten Längsstreifen besetzt. Grund
schwarz. — Copist F. — Katalog Nr. 697.
Florenz 200. — Jovius II, p. 81, gleich. — Aliprando Capriolo, p. 41, und Totti, p. 63, gleich;
doch ist auf dem Blatte in der Hutkrämpe geschrieben: N. Capitan. | generale | di S. Marc. — Icono-
grafia Italiana (Loratelli) i836, Tom. III, ohne Tafelnummer.
Bramantino malte in den vaticanischen Stanzen zwei Fresken, in welchen verschiedene Bildnisse,
darunter auch jenes des Francesco »Carmignuola«, vorkamen. Als sie auf Befehl des Papstes Julius II.
herabgeschlagen werden sollten, um für die Gemälde Raffaels (Messe von Bolsena und Befreiung des
heil. Petrus) Platz zu schaffen, liess Letzterer jene Bildnisse durch seine Schüler copiren. Diese Copien
kamen nach Raffaels Tode in den Besitz des Giulio Romano, welcher sie später dem Bischof Giovio
zum Geschenke machte. Letzterer stellte sie in seiner Sammlung auf. Daher kamen, fügt Vasari bei,
nachmals viele derselben ans Tageslicht.2 Da unser Bild jenem bei Giovio vollkommen gleich ist, kann
über die Vorlage, d. i. eben eines jener Fresken des Bramantino, kein Zweifel sein.
1 »Magnifico D(on) Fran(ccsc)o Carmagnola cap(itan)o n(ost)ro generale.»
2 Vasari-Milanesi II, p. 492.
Dr. Friedrich Kenner.
Die Miniature ist sehr fein und frisch gemalt und lässt die dargestellte Dame, die in einem Alter
von etwa dreissig Jahren steht, bei aller Noblesse der Auffassung voll Heiterkeit und Lebenslust er-
scheinen. Ueber den Maler wage ich keine Vermuthung auszusprechen.
68. Carmagnola, Francesco Bussoni aus Carmagnola in der Markgrafschaft Saluzzo,
von niederem Herkommen, geboren um i3go, betrat als Waffenträger eines gemeinen Soldaten die kriegerische
Laufbahn, in der er durch Kühnheit und Ausdauer sehr bald die Führung eines Fähnleins, dann grösserer Truppen-
körper erlangte und nach neuen Erfolgen die Gunst des Herzogs Filippo Maria Visconti in so hohem Grade gewann,
dass ihn dieser mit einer Frau aus seinem Hause vermählte und auf wichtige Posten berief. Bald aber wurde
Francesco durch seine Neider und den grösseren Kriegs-
ruhm des Guido Torelli, der den König Alfonso zur See
'»^■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■l besiegt hatte, aus der Gunst des Herzogs verdrängt,
^2^^£^Ü^^y^2*^^^"^^5|^^^^^^^^^HH weshalb er dessen Dienste verliess und in jene der Re-
publik Venedig, als Anführer ihrer Armee im Kampfe
, ' ''Wu^BB^^M gegen die Visconti, eintrat. Als solcher entriss er seinem
ijpHWMfijer H -\ ü.' \"t~'' früheren Gönner zwar Verona und Brescia, gerieth
P|ßgHjE?F ^■"'^i^^rK^'-^V^iv'" aber mit dem Rathe in Zwiespalt über die weiteren
■V . .JpH^^^^^HH|| Actionen. Als er die von Mailand aus bedrängte Flotte
der Venezianer (auf dem Po) nicht hinlänglich unter-
stützte und die Gelegenheit versäumte, Cremona ein-
zunehmen, schöpfte der Rath den Verdacht eines
Einverständnisses mit Mailand, berief ihn nach Vene-
dig und Hess ihn als Verräther am 5. März 1422 ent-
haupten. Sein Vermögen, angeblich 200.000 Gold-
stücke, fiel der Republik anheim.
Zierliche Goldschrift in der Ecke links oben:
CARMAGNOLA. Brustbild rechts, im Dreiviertel-
profil, unbärtig, der Kopf etwas zurückgeneigt,
die seitwärts blickenden Augen und die Brauen
sowie das Haupthaar dunkelbraun, Nase gebogen
und spitz, die Oberlippe vortretend, das Kinn
klein; auf dem Kopfe ein weisses Tuch, darüber
ein hochrother Hut mit aufgestellter Krampe und
breitem Obertheil, an diesem ein graues vier-
eckiges Blatt mit feingemalter Schrift: Magco D.
fran0 car { magnola cap° nro | General.1 Das
Kettenhemd roth vorgestossen, mit weissem Hals-
Nr. 68. 0 '
streif, der Waffenrock auf der rechten Brustseite
hochroth mit drei Reihen Eisenhütchen, auf der
linken Seite blau, die Aermel grün, mit schmalen rothen doppelten Längsstreifen besetzt. Grund
schwarz. — Copist F. — Katalog Nr. 697.
Florenz 200. — Jovius II, p. 81, gleich. — Aliprando Capriolo, p. 41, und Totti, p. 63, gleich;
doch ist auf dem Blatte in der Hutkrämpe geschrieben: N. Capitan. | generale | di S. Marc. — Icono-
grafia Italiana (Loratelli) i836, Tom. III, ohne Tafelnummer.
Bramantino malte in den vaticanischen Stanzen zwei Fresken, in welchen verschiedene Bildnisse,
darunter auch jenes des Francesco »Carmignuola«, vorkamen. Als sie auf Befehl des Papstes Julius II.
herabgeschlagen werden sollten, um für die Gemälde Raffaels (Messe von Bolsena und Befreiung des
heil. Petrus) Platz zu schaffen, liess Letzterer jene Bildnisse durch seine Schüler copiren. Diese Copien
kamen nach Raffaels Tode in den Besitz des Giulio Romano, welcher sie später dem Bischof Giovio
zum Geschenke machte. Letzterer stellte sie in seiner Sammlung auf. Daher kamen, fügt Vasari bei,
nachmals viele derselben ans Tageslicht.2 Da unser Bild jenem bei Giovio vollkommen gleich ist, kann
über die Vorlage, d. i. eben eines jener Fresken des Bramantino, kein Zweifel sein.
1 »Magnifico D(on) Fran(ccsc)o Carmagnola cap(itan)o n(ost)ro generale.»
2 Vasari-Milanesi II, p. 492.