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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 20.1899

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
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Graeven, Hans: Ein Reliquienkästchen aus Pirano
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https://doi.org/10.11588/diglit.5730#0017
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Hans Graeven.

Oblongum, entspricht nicht den für unsere Kästchen verwendeten Platten und ihr Relief behandelt
einen christlichen Gegenstand.

Die rechte Hälfte zeigt Christus in der Mandorla, auf dem Regenbogen sitzend, die Füsse auf einem
geschnitzten Schemel ruhend; seine Linke stützt das Evangelienbuch aufs Knie, die Rechte ist im griechi-
schen Segensgestus erhoben. Die gleiche Darstellung des Herrn ist oft verwandt in Himmelfahrtsscenen,
wo die Mandorla von Engeln emporgetragen wird,1 oder auch der im Himmel thronende Christus er-
scheint in der freischwebenden Mandorla, zu
deren Seiten anbetende Engel stehen.2 Hier be-
rührt die Mandorla den Erdboden und über ihr
ragt eine Engelgruppe auf, zu der einige stili-
stisch nahverwandte Elfenbeinreliefs mit der
Geburt Christi eine genaue Parallele bieten
(Fig. 5).3 Auf der linken Seite der Londoner
Platte wird im Hintergrunde ein Gebäude sicht-
bar: ein hoher Unterbau aus Quadern trägt
eine Säulenhalle mit Giebeldächern und in die
hinter den Säulen liegende Wand sind Fenster
und eine geschlossene Thür eingezeichnet. Im
Vordergrunde steht eine hohe, langgestreckte
Gestalt, dem Erlöser nicht unähnlich, mit der
Rolle in der Linken, die Rechte ausstreckend
über drei kleine nackte Figuren, denen sie indess
nicht den Kopf zuwendet. Die ungeschickten,
täppischen Gesellen mit ihren rundlichen, vollen
Körperformen, mit ihren kleinen Köpfen, daran
das Haar gleich wie bei den Engeln in Kugeln
aufgelöst erscheint, sind offenbar Geschwister
der profanen Figuren unserer Kästchen (vgl.
besonders Taf. II und Fig. 3).

Zur Erklärung ist dem Londoner Relief
über den Giebeldächern eine Inschrift zugefügt, die aber durch Corruptelen entstellt ist: TOTE O
XC AHA Tö m HNECCEN TA OCTA.

Die Verderbnisse verrathen, ebenso wie bei einer Elfenbeinplatte des Bologneser Museums, auf
der die Bekleidung Aarons und seiner Söhne mit den Priestergewändern dargestellt ist,4 dass die Sculp-
turen keine Originalschöpfungen sind sondern Nachbildungen von Miniaturen, deren Beischriften
schlecht copirt sind oder bereits entstellt waren. Da sie mit rother Tinte geschrieben zu werden pfleg-

Fig..

Elfenbeinrelief des British Museum.

1 Zahlreiche Beispiele solcher Himmelfahrtsdarstellungen auf byzantinischen Denkmälern sind zusammengestellt von
Vöge, Eine deutsche Malerschule um die Wende des ersten Jahrtausends, Trier 1891, S. 269, Anm. 3.

2 Vgl. z. B. die Illustrationen des Utrechtpsalters, Latin Psalter in the University Library of Utrecht, produced in
facsimile, London 1875. Ueber die griechische Abstammung der Miniaturen s. Repertorium für Kunstw. XXI (1898), S. I ff.

3 Ein Exemplar dieses Reliefs war in der Sammlung Spitzer (Abb. Schlumberger, Nicephore Phocas, p. 233); ein
anderes befindet sich im British Museum (Photographie in der I. Serie meiner »Elfenbeinwerke« Nr. 44, darnach oben, Fig. 5).

4 Abgeb. Stuhlfauth, Die altchristl. Elfenbeinplastik, Taf. IV, 3, S. 186; vgl. Götting. gelehrte Anzeigen 1897, S. 51.
Zwischen den Figuren steht die Inschrift MOCHC ENAYOüN AAPüüN KAI TOYC YIOYC AYTOY TAC CTOAAC
TIC I6POJCYNH.C. Da den Worten nur eine Silbe fehlt, um zwei zwölfsilbige Verse zu bilden, ist es wahrscheinlich,
dass die metrische Fassung beabsichtigt war und dass einige Buchstaben — der Artikel ras vor xi? (= xfj;) kpwaüvrj? —
ausgefallen sind. Die Beischriften der Illustrationen in den griechischen Oktateuchen Vat. Gr. 746, 747 (Kondakoff, Histoire
de l'art byzantin II, p. 82), Watopaedianus 515 (Brockhaus, Die Kunst in den Athosklöstern, S. 213) sind meistens in Zwölf-
silbern oder politischen Versen abgefasst. Die Beischrift der Illustration zu Leviticus 8, 6 ist prosaisch und die Gomposition
der Miniatur von der des Reliefs verschieden, woraus hervorgeht, dass der Elfenbeinschnitzer eine uns verlorene Redaction
von Bibelillustrationen benutzt hat, deren es eine grössere Anzahl gegeben haben muss.
 
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