Ein Reliquienkästchen aus Pirano.
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ten, waren sie der Zerstörung umsomehr ausgesetzt. Auf der Londoner Platte wird durch das letzte
Wort der Inschrift klar, dass sie von der Wiederbelebung der Todtengebeine handelt, und die Ver-
muthung liegt nahe, statt HNECCEN zu lesen ANEC(TH)CEN; denn als avaaraui; wird in byzantinischen
Kunstwerken gewöhnlich die Höllenfahrt Christi bezeichnet, durch die die früher Verstorbenen dem
ewigen Tode entrissen werden. Demnach sind die kleinen nackten Gestalten die Auferweckten, der
kastenförmige Gegenstand unter ihnen mit verziertem Rande ist der Sarg, dem sie entstiegen sind.
Eine Schwierigkeit bereitet das Zeichen vor dem Wort ävior»£ev. In spätgriechischen Inschriften steht
rfj für xpb,1 in den Majuskelhandschriften ist es die stehende Abkürzung für rcpbc; doch in Zusammen-
setzungen behält es auch die ältere Bedeutung, z. B. mit übergeschriebenem AP und einer Casusendung
bezeichnet es die verschiedenen Formen des Wortes TrpjSpojj.s;.2 Hat auch in der Vorlage unseres Reliefs
APOY über der Ligatur fi gestanden, so dass
die ganze Inschrift lautete: z&xe c /pitrcb? äiä toO
irpo(Sp6jj.ou) ave<j(Tifi)ff£v ta öata?
Dass die hohe Figur links als Johannes
aufzufassen ist, kann kaum zweifelhaft sein.
Wäre sie eine Wiederholung Christi,3 so
würde auch sie statt des schlichten Nimbus
den Kreuznimbus tragen. Oft und besonders
in Bildwerken älterer Zeit wird der Vorläufer
nur dadurch vom Herrn unterschieden, dass
er eine langgestrecktere Gestalt, ein schmäleres
Gesicht hat, dass ihm Haar und Bart tiefer
herabwallen.4 Diese Dirferenzirung ist auch
hier bemerkbar. Die Rolle, das Attribut des
Propheten, im Gegensatz zum Evangelien-
codex soll ebenfalls zur Charakterisirung
dienen und die ganze Darstellung wird nur
einheitlich und verständlich, wenn der Träger
der Rolle Johannes ist. Für ihn ist es natür-
lich, dass er den Kopf nicht den Auferweckten zuwendet sondern dem Herrn, der ihm den Auftrag
zur Auferweckung ertheilt. In den übrigen byzantinischen Darstellungen der Höllenfahrt, in denen
die Figur des Täufers angebracht ist, spielt er eine andere Rolle als hier; er steht an der Spitze der
Propheten und Patriarchen und weist hin auf den Erlöser, der den Stammvater der Menschheit aus
dem Grabe hervorzieht. Das Nicodemus-Evangelium schildert, wie Johannes im Hades erscheint
und den Todten die baldige Ankunft Christi verkündet; die griechische Fassung der apokryphen
Erzählung legt ihm dabei die Mahnung in den Mund: »Sobald ihr den Herrn seht, fallet vor ihm
nieder und betet ihn an.«5 Diese Vorstellung scheint dem Erfinder der Reliefcomposition vor-
geschwebt zu haben; denn die Auferstandenen stürzen eilends vorwärts dem Heiland zu, zwei von
ihnen wenden sich um und schauen, ob die Uebrigen folgen, und der eine winkt zurück mit erhobener
Rechten.
Fig. 6. Aus dem Stuttgarter Psalter (Biblia, fol. 23).
1 Vgl. z.B. De Rossi, Roma Sotterranea II, Taf. XLIIII 12, XLVI 19, XLVIII 17, 24, 26.
2 Vgl. Gardthausen, Griech. Paläographie, S. 256. Wenn in Goris Thesaurus diptychorum III, ad p. 352, die Abbildung
eines Silberreliefs in San Giovanni zu Florenz zuverlässig ist, ist hier mehrfach ffl und die daran gehängte Casusendung für
den Namen itpö8po(j.os verwandt.
3 Im Text zur Serie I der Elfenbeinwerke, S. 18, hatte ich die falsche Deutung gegeben, dass links die Höllenfahrt,
rechts die Himmelfahrt Christi dargestellt sei.
4 Vgl. z. B. die Cosmasillustration, in der Christus und Johannes nebeneinander stehen. Abb. Garrucci, a. a. O. III,
Taf. 131; Kondakoff, Histoire de l'art byzantin, Atlas, Taf. V.
5 Evangelia apocrypha ed. Tischendorf,2 p. 325 • Sias touio \tyti> ftpo; a7t*vTx; ufJ-a?, xa6i>s 'iotjts aatov, fva itpoax'jv^arjxs
raevre;, Sri vüv ;j.o'vov hz\ rcpb; üfiä; 0 ujs u.eravo(a; xoupo<;.
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ten, waren sie der Zerstörung umsomehr ausgesetzt. Auf der Londoner Platte wird durch das letzte
Wort der Inschrift klar, dass sie von der Wiederbelebung der Todtengebeine handelt, und die Ver-
muthung liegt nahe, statt HNECCEN zu lesen ANEC(TH)CEN; denn als avaaraui; wird in byzantinischen
Kunstwerken gewöhnlich die Höllenfahrt Christi bezeichnet, durch die die früher Verstorbenen dem
ewigen Tode entrissen werden. Demnach sind die kleinen nackten Gestalten die Auferweckten, der
kastenförmige Gegenstand unter ihnen mit verziertem Rande ist der Sarg, dem sie entstiegen sind.
Eine Schwierigkeit bereitet das Zeichen vor dem Wort ävior»£ev. In spätgriechischen Inschriften steht
rfj für xpb,1 in den Majuskelhandschriften ist es die stehende Abkürzung für rcpbc; doch in Zusammen-
setzungen behält es auch die ältere Bedeutung, z. B. mit übergeschriebenem AP und einer Casusendung
bezeichnet es die verschiedenen Formen des Wortes TrpjSpojj.s;.2 Hat auch in der Vorlage unseres Reliefs
APOY über der Ligatur fi gestanden, so dass
die ganze Inschrift lautete: z&xe c /pitrcb? äiä toO
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Dass die hohe Figur links als Johannes
aufzufassen ist, kann kaum zweifelhaft sein.
Wäre sie eine Wiederholung Christi,3 so
würde auch sie statt des schlichten Nimbus
den Kreuznimbus tragen. Oft und besonders
in Bildwerken älterer Zeit wird der Vorläufer
nur dadurch vom Herrn unterschieden, dass
er eine langgestrecktere Gestalt, ein schmäleres
Gesicht hat, dass ihm Haar und Bart tiefer
herabwallen.4 Diese Dirferenzirung ist auch
hier bemerkbar. Die Rolle, das Attribut des
Propheten, im Gegensatz zum Evangelien-
codex soll ebenfalls zur Charakterisirung
dienen und die ganze Darstellung wird nur
einheitlich und verständlich, wenn der Träger
der Rolle Johannes ist. Für ihn ist es natür-
lich, dass er den Kopf nicht den Auferweckten zuwendet sondern dem Herrn, der ihm den Auftrag
zur Auferweckung ertheilt. In den übrigen byzantinischen Darstellungen der Höllenfahrt, in denen
die Figur des Täufers angebracht ist, spielt er eine andere Rolle als hier; er steht an der Spitze der
Propheten und Patriarchen und weist hin auf den Erlöser, der den Stammvater der Menschheit aus
dem Grabe hervorzieht. Das Nicodemus-Evangelium schildert, wie Johannes im Hades erscheint
und den Todten die baldige Ankunft Christi verkündet; die griechische Fassung der apokryphen
Erzählung legt ihm dabei die Mahnung in den Mund: »Sobald ihr den Herrn seht, fallet vor ihm
nieder und betet ihn an.«5 Diese Vorstellung scheint dem Erfinder der Reliefcomposition vor-
geschwebt zu haben; denn die Auferstandenen stürzen eilends vorwärts dem Heiland zu, zwei von
ihnen wenden sich um und schauen, ob die Uebrigen folgen, und der eine winkt zurück mit erhobener
Rechten.
Fig. 6. Aus dem Stuttgarter Psalter (Biblia, fol. 23).
1 Vgl. z.B. De Rossi, Roma Sotterranea II, Taf. XLIIII 12, XLVI 19, XLVIII 17, 24, 26.
2 Vgl. Gardthausen, Griech. Paläographie, S. 256. Wenn in Goris Thesaurus diptychorum III, ad p. 352, die Abbildung
eines Silberreliefs in San Giovanni zu Florenz zuverlässig ist, ist hier mehrfach ffl und die daran gehängte Casusendung für
den Namen itpö8po(j.os verwandt.
3 Im Text zur Serie I der Elfenbeinwerke, S. 18, hatte ich die falsche Deutung gegeben, dass links die Höllenfahrt,
rechts die Himmelfahrt Christi dargestellt sei.
4 Vgl. z. B. die Cosmasillustration, in der Christus und Johannes nebeneinander stehen. Abb. Garrucci, a. a. O. III,
Taf. 131; Kondakoff, Histoire de l'art byzantin, Atlas, Taf. V.
5 Evangelia apocrypha ed. Tischendorf,2 p. 325 • Sias touio \tyti> ftpo; a7t*vTx; ufJ-a?, xa6i>s 'iotjts aatov, fva itpoax'jv^arjxs
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