Beiträge zur Entstehungsgeschichte des Gebetbuches Kaisers Maximilian I.
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die mehr oder minder grosse Abhängigkeit von italienischen Vorbildern. Der Arion (Taf. XIX, vgl.
Fig. 8") erinnert Chmelarz an Jacopo de Barbari, der Simson (Taf. XXV, vgl. Fig. 9") an Pollajuolo,
der Goliath (Taf. XXXII) an Mantegna, der Pilaster (Taf. XXI) an oberitalienische Ornamentik. Hier-
mit war der richtige Weg zur Erklärung dieser künstlerischen Doppelnatur gewiesen.
Auf die besondere Quelle, aus welcher der MA solche antike Motive für seine Prudentia (Taf. XV,
vgl. Fig. 3a) geschöpft hatte, machte zuerst Friedländer öffentlich auf-
merksam.1 Es ist dies ein Niello (P. 55, vgl.
Fig. 3), also einer jener Kupferdrucke, welche
damals in Deutschlands Goldschmiede- und
Malerwerkstätten so begierig aufgenommen
wurden. Gleichzeitig war auch Koetschau auf
diese beliebte Kunstwaare als Vorlagematerial
für den Anonymus gestossen.2 Ausser der Pru-
dentia weist er für den Orpheus (Taf. XI, vgl.
Fig. 10°) und die Caritas (Taf. XXVIII, vgl.
Fig. iia) Niellen als directe Vorbilder (vgl.
F'ig. 10 und n) nach, während die Allegorie
des Glücks (Taf. XXIV, vgl. Fig. i2b) im
Gegensinne copirt sein soll. Eine solche Um-
zeichnung wird jedoch schwerlich vorgenom-
men sein. Sowohl selbstständig (vgl. Fig. 12)
wie z. B. als Theil des Ornaments (vgl. Fig.
i2a), findet sich diese damals oft verwendete
Gruppe in der vom MA gezeichneten Rich-
tung vor.3 Weitere Einflüsse von Niellen spürt
Koetschau nicht ohne Grund in den kauern-
den Bockgestalten des Pilasters (Taf. XXXI).
Einmal auf dieser Fährte, ist es nicht schwierig, die Anzahl dieser Entlehnungen zu vermehren.
Der Arion (Taf. XIX, vgl. Fig. 8a), der Herkules oder Simson mit Löwen (Taf. XXV, vgl. Fig. ga), der
heil. Michael oder Sinnbild der Stärke (Taf. XIII, vgl. Fig. i3a), der Herkules mit Keule4 (Taf. XVI,
vgl. Fig. 14") und der Mercur (Taf. XXIII, vgl. Fig. 15a)5 gehen nicht auf Pollajuolo oder Barbari
sondern auf Niellen des Peregrini, Nicoletto da Modena oder unbekannter Meister zurück (vgl. Fig. 8, 9,
i3, 14, 15). Fast die Hälfte der Zeichnungen des MA lässt sich auf diese kleinen Keimträger der Re-
Fig. 14.
Herkules und Dejanira,
Niello (D. 344)
nach einer Copie
in der Gazette
des beaux arts 1859.
Fig.
14 a. Theil einer Randleiste
des Anonymus MA
(Bl. 78v, Taf. XVI).
1 Friedländer, Notiz über Albrecht Altdorfer, Jahrbuch der königl. preussischen Kunstsammlungen 1893, Bd. XV,
1. Heft, S. 22. Dass die Darstellung einer Prudentia auf einem Kupferstich Altdorfers auf dasselbe Niello wie Taf. XV des
MA zurückgeht, wurde zuerst von Professor Jaro Springer erkannt. Dem Letzteren sei hier für die Besorgung von Ab-
bildungen der im Berliner Kupferstichcabinet befindlichen Niellen besonders gedankt.
2 Koetschau, Bartel Beham und der Meister von Messkirch, Strassburg 1893, S. 77.
3 Bei der hier (Fig. 12) gegebenen Abbildung des Niello D. 693 ist die Unterschrift O. P. D. C. weggeschnitten. Dutuit,
Manuel de l'amateur d'Estampes, II. Nielles, Nr. 419, 420 deutet diese Allegorien als »l'adversite«. Auf dem Spruchbande des im
British Museum aufbewahrten Niellos (F. 176), welches ein nacktes, auf einem Kruge dem Winde vergeblich entgegenfahren-
des Weib darstellt, ist deutlich »Fortuna« und »ing« zu lesen. Letztere Silbe ist wohl auf »ingrata« zu ergänzen. Dass es
sich bei den drei Frauen um ein ähnliches Sinnbild handelt, macht klar der Schmuck eines Messerheftes im British Museum
(D. 402, F. 176). Sie bilden da das Gegenstück zu dem Glücksrade mit der üblichen Aufschrift: »regno, regnabo, regnavi
sine regno«. Dadurch erklärt sich auch der entsprechende Theil auf der Dürer zugeschriebenen »Pupilla Augusta»-Zeich-
nung in Windsor (Lippm. 38g) als Allegorie des Glückes, welche von der Frau im Vordergrunde durch das Drehen eines
Tellers weiter angedeutet wird.
4 Vgl. Stiassny, Die Kleinmeister und die italienische Kunst, im Repertorium 1890, Nr. 2. Hier gilt der Herkules
als eine Entlehnung von Barbari. Altdorfer hat dieselbe Nielle copirt, B. 28; vgl. Friedländer, a. a. O. Es wird hier die
Vervielfältigung nach einer Copie gegeben, da es nicht einmal glückte, das in der Sammlung des Freiherrn E. v. Rothschild
befindliche Original zu sehen.
5 Die Trommel auf der Randleiste des M A ist dem Stiche des Nicolletto P 80 entlehnt.
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die mehr oder minder grosse Abhängigkeit von italienischen Vorbildern. Der Arion (Taf. XIX, vgl.
Fig. 8") erinnert Chmelarz an Jacopo de Barbari, der Simson (Taf. XXV, vgl. Fig. 9") an Pollajuolo,
der Goliath (Taf. XXXII) an Mantegna, der Pilaster (Taf. XXI) an oberitalienische Ornamentik. Hier-
mit war der richtige Weg zur Erklärung dieser künstlerischen Doppelnatur gewiesen.
Auf die besondere Quelle, aus welcher der MA solche antike Motive für seine Prudentia (Taf. XV,
vgl. Fig. 3a) geschöpft hatte, machte zuerst Friedländer öffentlich auf-
merksam.1 Es ist dies ein Niello (P. 55, vgl.
Fig. 3), also einer jener Kupferdrucke, welche
damals in Deutschlands Goldschmiede- und
Malerwerkstätten so begierig aufgenommen
wurden. Gleichzeitig war auch Koetschau auf
diese beliebte Kunstwaare als Vorlagematerial
für den Anonymus gestossen.2 Ausser der Pru-
dentia weist er für den Orpheus (Taf. XI, vgl.
Fig. 10°) und die Caritas (Taf. XXVIII, vgl.
Fig. iia) Niellen als directe Vorbilder (vgl.
F'ig. 10 und n) nach, während die Allegorie
des Glücks (Taf. XXIV, vgl. Fig. i2b) im
Gegensinne copirt sein soll. Eine solche Um-
zeichnung wird jedoch schwerlich vorgenom-
men sein. Sowohl selbstständig (vgl. Fig. 12)
wie z. B. als Theil des Ornaments (vgl. Fig.
i2a), findet sich diese damals oft verwendete
Gruppe in der vom MA gezeichneten Rich-
tung vor.3 Weitere Einflüsse von Niellen spürt
Koetschau nicht ohne Grund in den kauern-
den Bockgestalten des Pilasters (Taf. XXXI).
Einmal auf dieser Fährte, ist es nicht schwierig, die Anzahl dieser Entlehnungen zu vermehren.
Der Arion (Taf. XIX, vgl. Fig. 8a), der Herkules oder Simson mit Löwen (Taf. XXV, vgl. Fig. ga), der
heil. Michael oder Sinnbild der Stärke (Taf. XIII, vgl. Fig. i3a), der Herkules mit Keule4 (Taf. XVI,
vgl. Fig. 14") und der Mercur (Taf. XXIII, vgl. Fig. 15a)5 gehen nicht auf Pollajuolo oder Barbari
sondern auf Niellen des Peregrini, Nicoletto da Modena oder unbekannter Meister zurück (vgl. Fig. 8, 9,
i3, 14, 15). Fast die Hälfte der Zeichnungen des MA lässt sich auf diese kleinen Keimträger der Re-
Fig. 14.
Herkules und Dejanira,
Niello (D. 344)
nach einer Copie
in der Gazette
des beaux arts 1859.
Fig.
14 a. Theil einer Randleiste
des Anonymus MA
(Bl. 78v, Taf. XVI).
1 Friedländer, Notiz über Albrecht Altdorfer, Jahrbuch der königl. preussischen Kunstsammlungen 1893, Bd. XV,
1. Heft, S. 22. Dass die Darstellung einer Prudentia auf einem Kupferstich Altdorfers auf dasselbe Niello wie Taf. XV des
MA zurückgeht, wurde zuerst von Professor Jaro Springer erkannt. Dem Letzteren sei hier für die Besorgung von Ab-
bildungen der im Berliner Kupferstichcabinet befindlichen Niellen besonders gedankt.
2 Koetschau, Bartel Beham und der Meister von Messkirch, Strassburg 1893, S. 77.
3 Bei der hier (Fig. 12) gegebenen Abbildung des Niello D. 693 ist die Unterschrift O. P. D. C. weggeschnitten. Dutuit,
Manuel de l'amateur d'Estampes, II. Nielles, Nr. 419, 420 deutet diese Allegorien als »l'adversite«. Auf dem Spruchbande des im
British Museum aufbewahrten Niellos (F. 176), welches ein nacktes, auf einem Kruge dem Winde vergeblich entgegenfahren-
des Weib darstellt, ist deutlich »Fortuna« und »ing« zu lesen. Letztere Silbe ist wohl auf »ingrata« zu ergänzen. Dass es
sich bei den drei Frauen um ein ähnliches Sinnbild handelt, macht klar der Schmuck eines Messerheftes im British Museum
(D. 402, F. 176). Sie bilden da das Gegenstück zu dem Glücksrade mit der üblichen Aufschrift: »regno, regnabo, regnavi
sine regno«. Dadurch erklärt sich auch der entsprechende Theil auf der Dürer zugeschriebenen »Pupilla Augusta»-Zeich-
nung in Windsor (Lippm. 38g) als Allegorie des Glückes, welche von der Frau im Vordergrunde durch das Drehen eines
Tellers weiter angedeutet wird.
4 Vgl. Stiassny, Die Kleinmeister und die italienische Kunst, im Repertorium 1890, Nr. 2. Hier gilt der Herkules
als eine Entlehnung von Barbari. Altdorfer hat dieselbe Nielle copirt, B. 28; vgl. Friedländer, a. a. O. Es wird hier die
Vervielfältigung nach einer Copie gegeben, da es nicht einmal glückte, das in der Sammlung des Freiherrn E. v. Rothschild
befindliche Original zu sehen.
5 Die Trommel auf der Randleiste des M A ist dem Stiche des Nicolletto P 80 entlehnt.