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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 20.1899

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I. Theil: Abhandlungen
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Schestag, August: Die Chronik von Jerusalem: Eine für Philipp den Guten verfertigte Miniaturhandschrift der Wiener Hofbibliothek
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https://doi.org/10.11588/diglit.5730#0224
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l()b August Schestag.

wiederholt vorkommt, verfertigt. Der Schweinsledereinband stammt frühestens aus dem XVII. Jahr-
hundert; in den Deckel ist nämlich eine italienische Cursive aus dieser Zeit eingeklebt.1

Dem Inhalte nach bietet unsere Handschrift, wie schon der Titel: »Les croniques de Iherusalem
abregies« sagt, einen Auszug aus der »Chronique de Jerusalem«, was uns auch der Autor selbst
bezeugt, indem er auf fol. 17' von einer Schlacht erzählt und dann fortfährt: ». . . Die Christen
wurden getödtet, so wie man es weiter ausgeführt in der Chronique de Jerusalem lesen kann.«

Unsere Chronik ist die einzige mir bekannte Handschrift, die diesen Titel trägt, und dürfte wohl
eigens für Philipp von Burgund verfasst worden sein. Sie behandelt in grösster Kürze den ersten
Kreuzzug, die Eroberung Jerusalems und die Geschichte des Königreiches Jerusalem bis zu seinem
Untergange. Literarisch hat also diese Handschrift nur geringen Werth. Die Miniaturen aber, die den
Codex schmücken, machen ihn zu einem der bedeutendsten Kunstdenkmale, die uns aus der ersten
Blüthezeit der niederländischen Malerei überkommen sind.

Auf fol. 1' ist der Titel der Handschrift in grossen Buchstaben geschrieben: »Les croniques de
Iherusalem abregies«,

fol. 2. In der Mitte und auf beiden Seiten des Blattes befinden sich Zierleisten. Diese zeigen auf
weissem, mit Dornblattmusterelementen geschmücktem Grunde naturalistische Ranken mit Blumen und
Blättern und sind mit gothisch stilisirten Akanthusblättern und zahlreichen Thierdarstellungen (Perl-
huhn, Hahn, Eisvogel, Libelle, Pfau, Schnecke) verziert. In den zwei durch die Leisten gebildeten
Colonnen befindet sich je ein Bild. Auf dem linken Bilde ist auf einem freien Platze in Jerusalem ein
gothischer Prunkbau errichtet, vor dessen Mitte Gottfried von Bouillon, der erste König, und Danubert
von Pisa, der erste Patriarch Jerusalems, dargestellt sind. Jedem zur Seite sein Gefolge. Die Herrscher
tragen auf den Standarten und Rüstungen ihre Wappen.2 Zwei Bischöfe empfehlen einen von links
in langem blauen Gewände herantretenden Mann — den Verfasser oder Verfertiger der Handschrift —
dem Könige und Patriarchen (Taf. XXV, 1).

Das zweite Bild stellt den Stammbaum der Könige von Jerusalem dar. Gottfried von Bouillon
sitzt unter einem Zelte auf einem aus den Wurzeln des Stammbaumes gebildeten Sitze. Er ist in voller
Rüstung mit Krone und Scepter dargestellt und hält in der Rechten das Banner seines Reiches. Die
Aeste des Stammbaumes werden durch gothisirende, mit Akanthusblättern verzierte Ranken gebildet
und endigen in Blumenkelchen. Aus jedem derselben steigt ein König von Jerusalem gerüstet, die Krone
auf dem Helme, den Schild mit dem Wappen in der Hand haltend, empor (Fig. 1).

fol. 2'. Auf beiden Seiten des Blattes Randleisten, welche abwechselnd auf rothem Grunde Gold-
rankenornament, auf blauem Grunde Silberrankenornament mit eingestreuten Thierformen aufweisen.
Auf diesem Blatte befinden sich drei Medaillons mit Bildern (Fig. 11):

Das mittlere zeigt die Umschrift: »Witasse conte de Boulongne, pere de Godefroy de Buillon,
le quel fut roy de Iherusalem.« In einem holzgetäfelten Zimmer steht Witasse vor einem gothischen
Thronsessel in prachtvoller modischer Tracht, einen Krückstock in der Hand haltend. Darunter das
Wappen Witasses: der weisse Bindenschild im rothen Felde.

Das rechte Medaillon enthält das Bild der Frau Witasses, Ida. Sie trägt ein Goldbrocatunter-
gewand und ein blaues Oberkleid, das sie mit der Rechten in die Höhe rafft, einen Hermelinmantel
und auf dem Kopfe eine zweispitzige Haube mit Schleier. Darunter das Wappen Idas: In einem der

1 Die Handschrift wurde, laut Bestätigung Nicolaus de Forlosias, am 20. December 1752 von der Schatzkammer an
die Hofbibliothek abgegeben (Schatzkammeract Nr. 5).

2 Die in dieser Handschrift vorkommenden Wappen sind: das Kreuzeswappen von Jerusalem, das Wappen Gottfrieds
von Bouillon: eine weisse Binde im rothen Felde, das Wappen des Königreiches Jerusalem: im gevierteten Schilde im
ersten und dritten Felde das Wappen Jerusalems, im zweiten und vierten Felde der Bindenschild Gottfrieds von Bouillon,
ferner die Wappen von England, Burgund, Flandern, Alt-Flandern (in einem 12 mal blau-gold von der Mitte aus gestelzten
Schilde ein rother Herzschild), Oranien (ein blaues Hörn auf Goldgrund) und Brabant.
 
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