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August Schestag.
de Billon, Fig. 2) ist der Miniator A ungenau und nachlässig in der Zeichnung und steht auch hinsicht-
lich der Kenntnis der Perspective seinem Mitarbeiter nach (vgl. das Titelbild und das Krönungsbild
auf fol. 10).
Auch in den Landschaftsbildern unserer Handschrift zeigt sich das überlegene Können des
Meisters B. Vergleichen wir z. B. die Behandlung des Wassers auf der Einschiffungsscene des Malers A
(fol. 3) und auf den Bildern, die die Hand B auf fol. 4 ausgeführt hat. Gegen die ausgezeichnete
Wiedergabe der Farbe und des Wellenspieles des Wassers sowie auch der Spiegelung der Schiffe, Felsen
und Städte im Meere auf fol. 4 steht wohl der Versuch des Miniators A, den Wellenschlag des Meeres
durch Reihen von gekrümmten weissen Linien, die die Form der Wellen charakterisiren sollen, wieder-
zugeben, weit zurück.
Die Landschaften der Hand B gehören überhaupt zu den besten Leistungen der damaligen
Kunst und zeigen eine so hoch entwickelte Luftperspective, wie wir sie bis zu dieser Zeit auch
in der niederländischen Tafelmalerei noch nirgends gefunden haben, ein Umstand, der der hier be-
sprochenen Handschrift eine hervor-
ragende Bedeutung in der Entwicklung
der niederländischen Miniaturmalerei
sowohl wie der grossen Malerei verleiht.
Der Augenpunkt ist noch immer ein
ziemlich hoher. Der Vordergrund zeigt
meist flaches, nur wenig hügeliges Ter-
rain, das durch Felspartien unterbro-
chen und nur selten bewaldet ist. Im
Mittelgrunde mehren sich die Hügel;
lange Reihen von Sträuchern, bald grün,
bald blaugrau im Tone, durchziehen
die Landschaft. Strassen, von Felsen,
Wässern oder Strauchwerk begleitet,
schlängeln sich zwischen den Hügeln
hindurch. Im Hintergrunde ver-
schwimmen die letzten Ausläufer der
Berge, die ganz in dem bläulichen
Tone der Luft gehalten sind, gegen den
Horizont hin. Alles Kleinliche ist in
dieser Landschaft vermieden, keine störenden Details sind aufgenommen, der Künstler geht auf rein
malerische Wirkung aus, so zwar, dass die gleichzeitige Tafelmalerei mit ihren zahlreichen Detail-
darstellungen und der miniaturartigen Ausführung in einem scharfen Gegensatze zu der Miniatur-
malerei dieser Schule steht, die in breiter Malweise sich die Wiedergabe des Tones zur Aufgabe
macht.
Im Laufe der Untersuchung der für Philipp den Guten verfertigten Handschriften gelang es mir,
noch zwei Miniaturcodices zu finden, an deren Ausschmückung die Miniatoren der »Chronique de
Iherusalem« betheiligt waren. Es sind dies der Roman »Gerard de Roussillon« (Nr. 2549 der Wiener
Hofbibliothek) und die in der Brüssler Bibliotheque de Bourgogne befindliche Handschrift: »Histoire
du Haynaut« (Nr. 9242—9244).
Der Roman »Gerard de Roussillon« ist grösstentheils von den Miniatoren A und B der »Chro-
nique de Iherusalem« mit grossen Bildern, die die Hälfte eines Folioblattes einnehmen, geschmückt;
nur einige wenige Bilder sind von einer dritten Hand. Das Titelblatt stellt die Ueberreichung der
Handschrift an Philipp den Guten dar. Dem feierlichen Acte wohnen der Prinz Charolais, der Sohn
Philipps und spätere Karl der Kühne, einige Ritter des goldenen Vliesses und Würdenträger des Hofes
bei (Fig. 4).
Fig. 5. Reiterzug aus der Wiener Roussillonhandschrift, fol. 97.
August Schestag.
de Billon, Fig. 2) ist der Miniator A ungenau und nachlässig in der Zeichnung und steht auch hinsicht-
lich der Kenntnis der Perspective seinem Mitarbeiter nach (vgl. das Titelbild und das Krönungsbild
auf fol. 10).
Auch in den Landschaftsbildern unserer Handschrift zeigt sich das überlegene Können des
Meisters B. Vergleichen wir z. B. die Behandlung des Wassers auf der Einschiffungsscene des Malers A
(fol. 3) und auf den Bildern, die die Hand B auf fol. 4 ausgeführt hat. Gegen die ausgezeichnete
Wiedergabe der Farbe und des Wellenspieles des Wassers sowie auch der Spiegelung der Schiffe, Felsen
und Städte im Meere auf fol. 4 steht wohl der Versuch des Miniators A, den Wellenschlag des Meeres
durch Reihen von gekrümmten weissen Linien, die die Form der Wellen charakterisiren sollen, wieder-
zugeben, weit zurück.
Die Landschaften der Hand B gehören überhaupt zu den besten Leistungen der damaligen
Kunst und zeigen eine so hoch entwickelte Luftperspective, wie wir sie bis zu dieser Zeit auch
in der niederländischen Tafelmalerei noch nirgends gefunden haben, ein Umstand, der der hier be-
sprochenen Handschrift eine hervor-
ragende Bedeutung in der Entwicklung
der niederländischen Miniaturmalerei
sowohl wie der grossen Malerei verleiht.
Der Augenpunkt ist noch immer ein
ziemlich hoher. Der Vordergrund zeigt
meist flaches, nur wenig hügeliges Ter-
rain, das durch Felspartien unterbro-
chen und nur selten bewaldet ist. Im
Mittelgrunde mehren sich die Hügel;
lange Reihen von Sträuchern, bald grün,
bald blaugrau im Tone, durchziehen
die Landschaft. Strassen, von Felsen,
Wässern oder Strauchwerk begleitet,
schlängeln sich zwischen den Hügeln
hindurch. Im Hintergrunde ver-
schwimmen die letzten Ausläufer der
Berge, die ganz in dem bläulichen
Tone der Luft gehalten sind, gegen den
Horizont hin. Alles Kleinliche ist in
dieser Landschaft vermieden, keine störenden Details sind aufgenommen, der Künstler geht auf rein
malerische Wirkung aus, so zwar, dass die gleichzeitige Tafelmalerei mit ihren zahlreichen Detail-
darstellungen und der miniaturartigen Ausführung in einem scharfen Gegensatze zu der Miniatur-
malerei dieser Schule steht, die in breiter Malweise sich die Wiedergabe des Tones zur Aufgabe
macht.
Im Laufe der Untersuchung der für Philipp den Guten verfertigten Handschriften gelang es mir,
noch zwei Miniaturcodices zu finden, an deren Ausschmückung die Miniatoren der »Chronique de
Iherusalem« betheiligt waren. Es sind dies der Roman »Gerard de Roussillon« (Nr. 2549 der Wiener
Hofbibliothek) und die in der Brüssler Bibliotheque de Bourgogne befindliche Handschrift: »Histoire
du Haynaut« (Nr. 9242—9244).
Der Roman »Gerard de Roussillon« ist grösstentheils von den Miniatoren A und B der »Chro-
nique de Iherusalem« mit grossen Bildern, die die Hälfte eines Folioblattes einnehmen, geschmückt;
nur einige wenige Bilder sind von einer dritten Hand. Das Titelblatt stellt die Ueberreichung der
Handschrift an Philipp den Guten dar. Dem feierlichen Acte wohnen der Prinz Charolais, der Sohn
Philipps und spätere Karl der Kühne, einige Ritter des goldenen Vliesses und Würdenträger des Hofes
bei (Fig. 4).
Fig. 5. Reiterzug aus der Wiener Roussillonhandschrift, fol. 97.