208
August Schestag.
Prachthandschrift. Die übrigen Miniaturen aller drei Bände stehen künstlerisch hinter dem Widmungs-
bilde zurück und lassen zahlreiche verschiedene Hände erkennen.
Ueber diese Chronik von Hennegau sind uns urkundliche Nachrichten erhalten, die uns wichtige
Aufschlüsse geben und bei de Laborde: Les ducs de Bourgogne* abgedruckt sind. Es sind dies die im
Archiv zu Lille über die Jahre 1467/68 erhaltenen Rechnungen, nach denen an Guillaume Wyelant
für 60 Miniaturen, die er im zweiten Bande der Chronik verfertigt hat, ein Betrag ausgezahlt wird.
Wenn auch Wyelant als Verfertiger der Miniaturen genannt wird, so führt doch die stilkritische Unter-
suchung zu einem anderen Resultate.
Bei der Betrachtung der Handschrift erkennt man sofort, dass verschiedene Miniatoren an der
Verfertigung des bildlichen Schmuckes theilgenommen haben, dass also eine eigenhändige Verfertigung
sammtlicher Miniaturen durch Wyelant ausgeschlossen ist. Den Unterschied der Hände kann man bei
einem Vergleiche der Bilder auf fol. 102 und fol. 785 leicht erkennen. Der eine Miniator (fol. 102) zeigt
als besondere Eigenthümlichkeit die
starke Umrisszeichnung, besonders bei
den Köpfen der Männer, starke Augen-
brauen und eckige Gewandfalten. Die
Modellirung ist hart, die Kenntnis der
Perspective eine geringe.
Der weitaus beste Miniator hat das
Bild auf fol. 785 gemalt. Die Kopfe sind
länglich und fein modellirt. Eine merk-
würdige Eigenthümlichkeit ist das Feh-
len der Ohren bei den de face sichtbaren
Köpfen. Die Zeichnung der Augen ist
charakteristisch und der Ton des Bildes
viel harmonischer als der auf den Minia-
turen der erstbesprochenen Hand.
Auch die Behandlung der Land-
schaft zeigt die Verschiedenheit der
Hände.
Während der Maler des Bildes auf
fol. 85 die Bäume contourirt und die
Lichter daraufsetzt, malt ein anderer
Miniator auf fol. 108 das Buschwerk geradezu impressionistisch in breiter Aquarellmanier, indem er auf
horizontale Lagen von dunkler Farbe mit horizontalen Strichen die Lichter in heller Farbe aufsetzt.
Eine dritte Hand wieder (fol. i32') malt auf dem dunklen Grund des Baumes einzelne stilisirte Ranken
in hellgelber Farbe.
Da wir also in dieser Handschrift mindestens drei Hände constatiren können, so ist es nicht
möglich, dass Wyelant die Bilder alle selbst gemacht hat; er muss Gehilfen gehabt haben und es
liegt uns hier nicht die Arbeit eines einzelnen Mannes sondern die einer Werkstatt vor. Da es
ferner wohl ausgeschlossen ist, dass einzelne Theile einer Handschrift zum Zwecke der Bemalung
an verschiedene Werkstätten vertheilt wurden, so müssen wir annehmen, dass nicht nur der zweite Band
sondern die ganze Chronik von Hennegau in der Werkstatt Wyelants verfertigt wurde.
Während aber in den Urkunden des Liller Archives der Name des Malers »Guillaume Wyelant«
geschrieben wird, finden wir in den Rechnungen der Gilde St. Johannes Evangelista zu Brügge, die
alle jene vereinigte, die sich mit der Anfertigung wie mit dem Verkaufe von Büchern beschäftigten,
lange Zeit hindurch einen Miniator Namens »Willem Vrelant«, der, wie wir sehen werden, mit
Fig. 7. Unterhandlung eines Parlamentärs mit den Feinden
aus der Wiener Roussillonhandschrift, fol. 108'.
1 Partie II, 1, Nr. 1966 u. 1967 (p. 5o3).
August Schestag.
Prachthandschrift. Die übrigen Miniaturen aller drei Bände stehen künstlerisch hinter dem Widmungs-
bilde zurück und lassen zahlreiche verschiedene Hände erkennen.
Ueber diese Chronik von Hennegau sind uns urkundliche Nachrichten erhalten, die uns wichtige
Aufschlüsse geben und bei de Laborde: Les ducs de Bourgogne* abgedruckt sind. Es sind dies die im
Archiv zu Lille über die Jahre 1467/68 erhaltenen Rechnungen, nach denen an Guillaume Wyelant
für 60 Miniaturen, die er im zweiten Bande der Chronik verfertigt hat, ein Betrag ausgezahlt wird.
Wenn auch Wyelant als Verfertiger der Miniaturen genannt wird, so führt doch die stilkritische Unter-
suchung zu einem anderen Resultate.
Bei der Betrachtung der Handschrift erkennt man sofort, dass verschiedene Miniatoren an der
Verfertigung des bildlichen Schmuckes theilgenommen haben, dass also eine eigenhändige Verfertigung
sammtlicher Miniaturen durch Wyelant ausgeschlossen ist. Den Unterschied der Hände kann man bei
einem Vergleiche der Bilder auf fol. 102 und fol. 785 leicht erkennen. Der eine Miniator (fol. 102) zeigt
als besondere Eigenthümlichkeit die
starke Umrisszeichnung, besonders bei
den Köpfen der Männer, starke Augen-
brauen und eckige Gewandfalten. Die
Modellirung ist hart, die Kenntnis der
Perspective eine geringe.
Der weitaus beste Miniator hat das
Bild auf fol. 785 gemalt. Die Kopfe sind
länglich und fein modellirt. Eine merk-
würdige Eigenthümlichkeit ist das Feh-
len der Ohren bei den de face sichtbaren
Köpfen. Die Zeichnung der Augen ist
charakteristisch und der Ton des Bildes
viel harmonischer als der auf den Minia-
turen der erstbesprochenen Hand.
Auch die Behandlung der Land-
schaft zeigt die Verschiedenheit der
Hände.
Während der Maler des Bildes auf
fol. 85 die Bäume contourirt und die
Lichter daraufsetzt, malt ein anderer
Miniator auf fol. 108 das Buschwerk geradezu impressionistisch in breiter Aquarellmanier, indem er auf
horizontale Lagen von dunkler Farbe mit horizontalen Strichen die Lichter in heller Farbe aufsetzt.
Eine dritte Hand wieder (fol. i32') malt auf dem dunklen Grund des Baumes einzelne stilisirte Ranken
in hellgelber Farbe.
Da wir also in dieser Handschrift mindestens drei Hände constatiren können, so ist es nicht
möglich, dass Wyelant die Bilder alle selbst gemacht hat; er muss Gehilfen gehabt haben und es
liegt uns hier nicht die Arbeit eines einzelnen Mannes sondern die einer Werkstatt vor. Da es
ferner wohl ausgeschlossen ist, dass einzelne Theile einer Handschrift zum Zwecke der Bemalung
an verschiedene Werkstätten vertheilt wurden, so müssen wir annehmen, dass nicht nur der zweite Band
sondern die ganze Chronik von Hennegau in der Werkstatt Wyelants verfertigt wurde.
Während aber in den Urkunden des Liller Archives der Name des Malers »Guillaume Wyelant«
geschrieben wird, finden wir in den Rechnungen der Gilde St. Johannes Evangelista zu Brügge, die
alle jene vereinigte, die sich mit der Anfertigung wie mit dem Verkaufe von Büchern beschäftigten,
lange Zeit hindurch einen Miniator Namens »Willem Vrelant«, der, wie wir sehen werden, mit
Fig. 7. Unterhandlung eines Parlamentärs mit den Feinden
aus der Wiener Roussillonhandschrift, fol. 108'.
1 Partie II, 1, Nr. 1966 u. 1967 (p. 5o3).