Die Chronik von Jerusalem.
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aber, dass der Einfluss der Harlemer Schule hiefür massgebend gewesen sei, muss nach einem Vergleiche
der Werke beider Schulen zurückgewiesen werden. Wenn auch Molanus und van Mander der Har-
lemer Landschaftsmalerei das glänzendste Zeugnis ausstellen und Schnaase die Luftperspective in den
Bildern Dierick Bouts rühmt, so ist doch der Charakter der Harlemer Landschaften von denen der
Brügger Miniatorenschule Vrelants stark verschieden. Die Landschaften Dierick Bouts sind oft geradezu
romantisch, wie z. B. auf der »Mannalese« in München, der »Erscheinung des Elias« in Berlin und
dem »Heil. Christoph auf dem Flügel des Triptychons« mit der »Anbetung der Könige« in München,
ein Zug, den wir in den Bildern unserer Handschriften nirgends finden und der die Harlemer und
Brügger Schule wesentlich unterscheidet. Auch die Details, wie die Zeichnung der zerklüfteten Fels-
partien und die des Baumschlages, sind ganz verschieden.
Sind wir also auch nicht im Stande, die Herkunft der Neuerungen, die wir in den Landschaften
unserer Handschriften kennen gelernt haben, nachzuweisen, so glaube ich doch deren Folge, den be-
deutenden Einfluss, zeigen zu können,
den die Brügger Miniatorenschule auf
die Tafelmalerei, speciell auf Memling,
ausgeübt hat.
Dass Memling ein Schüler Rogers
van der Weyden gewesen ist, wissen wir
und wir können den Einfluss des Lehrers
in allen Schaffensperioden Memlings ver-
folgen und sehen, dass nach dem Tode
Rogers dieser Einfluss nicht etwa im
Laufe der Zeit verschwindet sondern
noch in den letzten Werken Memlings
sich geltend macht. Dieser entlehnt in
einem seiner frühesten Werke, dem
»Jüngsten Gericht« zu Danzig aus dem
Jahre 1467, die Composition vollständig
dem »Jüngsten Gerichte« Rogers in der
Kathedrale zu Beaune; ferner steht das
Mittelbild des für Adrian de Reims im
Jahre 1480 gemalten Triptychons der
Kunst Rogers sehr nahe und auch noch in seinem letzten grossen Werke, dem Lübecker Dombilde,
zeigt Memling eine enge Verwandtschaft mit seinem Lehrer, besonders in dem Bilde des Ge-
kreuzigten.
Diese Verwandtschaft bezieht sich aber hauptsächlich auf die Composition und das Figürliche.
Denn wir sehen, dass in den Landschaftsbildern Memling seinen Lehrer weitaus dadurch übertroffen hat,
dass er sich die Kenntnis der Luftperspective zu eigen gemacht hat und mit Hilfe dieser eine Wirkung
hervorzubringen weiss, die Roger mit seinen Mitteln zu erzielen nicht im Stande war.
Von allen Werken Memlings zeigen die sogenannten »Sieben Freuden Marias« in der Pinakothek
zu München am besten, wie weit es der Meister in der malerischen Darstellung der Landschaft gebracht
hat. Im Hintergrunde der Stadt Jerusalem sehen wir auf der linken Seite eine Hügellandschaft mit
schroff aufragenden Felsen, die in dem Tone der Luft gehalten ist und gegen den Horizont hin allmälig
verschwindet. Auch die Flusslandschaft auf der rechten Seite ist in derselben Weise behandelt; die
Landschaft ist gegen den Himmel nicht durch Umrisse abgegrenzt sondern geht unmerklich in weiter
Ferne in den Himmel über. Dieselben Merkmale, welche wir zur Charakterisirung der so hoch ent-
wickelten landschaftlichen Darstellungen in den Miniaturhandschriften der Brügger Schule angeführt
haben, treten uns hier wieder entgegen und ein Vergleich dieser Werke zeigt auch, wie enge verwandt
sie sind.
XX. 28
Fig. 9. Flucht einer Familie aus einer eroberten Stadt,
aus der Wiener Roussillonhandschrift, fol. 39.
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aber, dass der Einfluss der Harlemer Schule hiefür massgebend gewesen sei, muss nach einem Vergleiche
der Werke beider Schulen zurückgewiesen werden. Wenn auch Molanus und van Mander der Har-
lemer Landschaftsmalerei das glänzendste Zeugnis ausstellen und Schnaase die Luftperspective in den
Bildern Dierick Bouts rühmt, so ist doch der Charakter der Harlemer Landschaften von denen der
Brügger Miniatorenschule Vrelants stark verschieden. Die Landschaften Dierick Bouts sind oft geradezu
romantisch, wie z. B. auf der »Mannalese« in München, der »Erscheinung des Elias« in Berlin und
dem »Heil. Christoph auf dem Flügel des Triptychons« mit der »Anbetung der Könige« in München,
ein Zug, den wir in den Bildern unserer Handschriften nirgends finden und der die Harlemer und
Brügger Schule wesentlich unterscheidet. Auch die Details, wie die Zeichnung der zerklüfteten Fels-
partien und die des Baumschlages, sind ganz verschieden.
Sind wir also auch nicht im Stande, die Herkunft der Neuerungen, die wir in den Landschaften
unserer Handschriften kennen gelernt haben, nachzuweisen, so glaube ich doch deren Folge, den be-
deutenden Einfluss, zeigen zu können,
den die Brügger Miniatorenschule auf
die Tafelmalerei, speciell auf Memling,
ausgeübt hat.
Dass Memling ein Schüler Rogers
van der Weyden gewesen ist, wissen wir
und wir können den Einfluss des Lehrers
in allen Schaffensperioden Memlings ver-
folgen und sehen, dass nach dem Tode
Rogers dieser Einfluss nicht etwa im
Laufe der Zeit verschwindet sondern
noch in den letzten Werken Memlings
sich geltend macht. Dieser entlehnt in
einem seiner frühesten Werke, dem
»Jüngsten Gericht« zu Danzig aus dem
Jahre 1467, die Composition vollständig
dem »Jüngsten Gerichte« Rogers in der
Kathedrale zu Beaune; ferner steht das
Mittelbild des für Adrian de Reims im
Jahre 1480 gemalten Triptychons der
Kunst Rogers sehr nahe und auch noch in seinem letzten grossen Werke, dem Lübecker Dombilde,
zeigt Memling eine enge Verwandtschaft mit seinem Lehrer, besonders in dem Bilde des Ge-
kreuzigten.
Diese Verwandtschaft bezieht sich aber hauptsächlich auf die Composition und das Figürliche.
Denn wir sehen, dass in den Landschaftsbildern Memling seinen Lehrer weitaus dadurch übertroffen hat,
dass er sich die Kenntnis der Luftperspective zu eigen gemacht hat und mit Hilfe dieser eine Wirkung
hervorzubringen weiss, die Roger mit seinen Mitteln zu erzielen nicht im Stande war.
Von allen Werken Memlings zeigen die sogenannten »Sieben Freuden Marias« in der Pinakothek
zu München am besten, wie weit es der Meister in der malerischen Darstellung der Landschaft gebracht
hat. Im Hintergrunde der Stadt Jerusalem sehen wir auf der linken Seite eine Hügellandschaft mit
schroff aufragenden Felsen, die in dem Tone der Luft gehalten ist und gegen den Horizont hin allmälig
verschwindet. Auch die Flusslandschaft auf der rechten Seite ist in derselben Weise behandelt; die
Landschaft ist gegen den Himmel nicht durch Umrisse abgegrenzt sondern geht unmerklich in weiter
Ferne in den Himmel über. Dieselben Merkmale, welche wir zur Charakterisirung der so hoch ent-
wickelten landschaftlichen Darstellungen in den Miniaturhandschriften der Brügger Schule angeführt
haben, treten uns hier wieder entgegen und ein Vergleich dieser Werke zeigt auch, wie enge verwandt
sie sind.
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Fig. 9. Flucht einer Familie aus einer eroberten Stadt,
aus der Wiener Roussillonhandschrift, fol. 39.