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August Schestag.
Die schönsten Landschaftsbilder der Chronik von Jerusalem auf fol. 4 lassen das am besten er-
kennen, wenn wir auch dabei immer im Auge behalten müssen, dass zur Zeit, als unsere Handschriften
verfertigt wurden, um das Jahr 1450, Memling noch sehr jung gewesen sein muss, da wir ihn ja das erste
Mal im Jahre 1459 in der Werkstatt Rogers mit dem Anstreichen eines Rahmens beschäftigt finden.
Diese Verwandtschaft beruht hauptsächlich auf der Kenntnis der Luftperspective, deren An-
wendung wir bei jedem einzelnen der besprochenen Werke schon angeführt haben, weshalb ich hier
auf eine Wiederholung des Gesagten verzichten kann. Wenn wir nun bedenken, dass uns in der
Brügger Schule Vrelants zum ersten Male ein so hohes Können in der Luftperspective entgegentritt,
wenn wir ferner sehen, dass Roger diese Art der Landschaftsmalerei noch nicht gekannt hat und in
Folge dessen sein Schüler Memling sie nicht von ihm übernommen haben kann, so ist wohl der Schluss
gerechtfertigt, dass Memling von dieser Miniatoren-
schule beeinfiusst worden ist. Das machen aber auch
noch andere Einzelheiten in der Landschaft Memlings
sehr wahrscheinlich.
Wir finden eine auffallende Aehnlichkeit in der
Behandlung der Felspartien auf dem Münchner Bilde
der »Sieben Freuden Marias« und auf fol. 4 der Chro-
nik von Jerusalem. Es sind oben abgerundete, mit
Moos bewachsene Felsblöcke, die, in grösserer Zahl
aneinandergerückt, durch ihre charakteristischen For-
men besonders auffallen und sich deshalb zu einem
Vergleiche gut eignen. Auch das Aufsetzen der Lichter
auf den Sträuchern, wie es Memling übt, — man ver-
gleiche hier speciell das im Hofmuseum zu Wien auf-
bewahrte Bild »Madonna mit dem Kinde und dem
Stifter« — ist in der Miniatorenschule Vrelants schon
üblich gewesen. Es werden nämlich abwechselnd gelb-
liche und weissliche Lichter in concentrischen Kreisen
besonders in der Peripherie der einzelnen Sträucher
nebeneinandergesetzt. Ich will hier noch etwas an-
führen, das für unsere Behauptung spricht. Auf den
Fahnen des Bildes Memlings in München, sowohl auf
der links von der Geburt Christi als auch auf den
zweien, die im Zuge der heiligen drei Könige ge-
tragen werden, sehen wir jedesmal eine eigenthümlich stilisirte geschwänzte Figur, die in der Roussil-
lonhandschrift auf den Feldern des Fussbodens der Innenräume wiederholt vorkommt. So drängt die
Stilkritik zu dem Urtheile, dass Memling die Werke der Brügger Miniatorenschule gekannt hat und
von ihr beeinfiusst worden ist. Dieses Urtheil wird noch dadurch erhärtet, dass urkundliche Beweise
dafür vorliegen, dass Memling im Verkehre mit der Gilde der Buchmacher in Brügge gestanden, ja
dass er für diese gearbeitet und gerade für Vrelant, in dessen Werkstatt unsere Handschriften entstanden
sind, ein Bild geliefert hat, worauf der Meister der Miniaturwerkstatt und seine Frau als Stifter dar-
gestellt sind, ein Umstand, der jedenfalls auf die engsten Beziehungen zwischen diesen beiden Malern
schliessen lässt.
Wie wir oben bei den Daten über Vrelant angeführt haben, hat Memling im Jahre 1477 von der
Gilde durch Vrelant für die Flügelthüren einer Altartafel eine Zahlung erhalten; die Bilder sind also
auf Bestellung der Gilde gemalt worden. Im Jahre 1499 wird eine Tafel mit vier Thüren erwähnt,
auf der Willem Vrelant und seine Frau von Meister Hans dargestellt worden sind. Auf den Flügel-
thüren, die die Gilde bezahlte, sind die Porträte Vrelants und seiner Frau jedenfalls nicht angebracht
gewesen sondern auf dem von ihm gestifteten Altarbilde.
Fig. 10. Bau einer Stadt oder Festung,
aus der Wiener Roussillonhandschrift, fol. 164.
August Schestag.
Die schönsten Landschaftsbilder der Chronik von Jerusalem auf fol. 4 lassen das am besten er-
kennen, wenn wir auch dabei immer im Auge behalten müssen, dass zur Zeit, als unsere Handschriften
verfertigt wurden, um das Jahr 1450, Memling noch sehr jung gewesen sein muss, da wir ihn ja das erste
Mal im Jahre 1459 in der Werkstatt Rogers mit dem Anstreichen eines Rahmens beschäftigt finden.
Diese Verwandtschaft beruht hauptsächlich auf der Kenntnis der Luftperspective, deren An-
wendung wir bei jedem einzelnen der besprochenen Werke schon angeführt haben, weshalb ich hier
auf eine Wiederholung des Gesagten verzichten kann. Wenn wir nun bedenken, dass uns in der
Brügger Schule Vrelants zum ersten Male ein so hohes Können in der Luftperspective entgegentritt,
wenn wir ferner sehen, dass Roger diese Art der Landschaftsmalerei noch nicht gekannt hat und in
Folge dessen sein Schüler Memling sie nicht von ihm übernommen haben kann, so ist wohl der Schluss
gerechtfertigt, dass Memling von dieser Miniatoren-
schule beeinfiusst worden ist. Das machen aber auch
noch andere Einzelheiten in der Landschaft Memlings
sehr wahrscheinlich.
Wir finden eine auffallende Aehnlichkeit in der
Behandlung der Felspartien auf dem Münchner Bilde
der »Sieben Freuden Marias« und auf fol. 4 der Chro-
nik von Jerusalem. Es sind oben abgerundete, mit
Moos bewachsene Felsblöcke, die, in grösserer Zahl
aneinandergerückt, durch ihre charakteristischen For-
men besonders auffallen und sich deshalb zu einem
Vergleiche gut eignen. Auch das Aufsetzen der Lichter
auf den Sträuchern, wie es Memling übt, — man ver-
gleiche hier speciell das im Hofmuseum zu Wien auf-
bewahrte Bild »Madonna mit dem Kinde und dem
Stifter« — ist in der Miniatorenschule Vrelants schon
üblich gewesen. Es werden nämlich abwechselnd gelb-
liche und weissliche Lichter in concentrischen Kreisen
besonders in der Peripherie der einzelnen Sträucher
nebeneinandergesetzt. Ich will hier noch etwas an-
führen, das für unsere Behauptung spricht. Auf den
Fahnen des Bildes Memlings in München, sowohl auf
der links von der Geburt Christi als auch auf den
zweien, die im Zuge der heiligen drei Könige ge-
tragen werden, sehen wir jedesmal eine eigenthümlich stilisirte geschwänzte Figur, die in der Roussil-
lonhandschrift auf den Feldern des Fussbodens der Innenräume wiederholt vorkommt. So drängt die
Stilkritik zu dem Urtheile, dass Memling die Werke der Brügger Miniatorenschule gekannt hat und
von ihr beeinfiusst worden ist. Dieses Urtheil wird noch dadurch erhärtet, dass urkundliche Beweise
dafür vorliegen, dass Memling im Verkehre mit der Gilde der Buchmacher in Brügge gestanden, ja
dass er für diese gearbeitet und gerade für Vrelant, in dessen Werkstatt unsere Handschriften entstanden
sind, ein Bild geliefert hat, worauf der Meister der Miniaturwerkstatt und seine Frau als Stifter dar-
gestellt sind, ein Umstand, der jedenfalls auf die engsten Beziehungen zwischen diesen beiden Malern
schliessen lässt.
Wie wir oben bei den Daten über Vrelant angeführt haben, hat Memling im Jahre 1477 von der
Gilde durch Vrelant für die Flügelthüren einer Altartafel eine Zahlung erhalten; die Bilder sind also
auf Bestellung der Gilde gemalt worden. Im Jahre 1499 wird eine Tafel mit vier Thüren erwähnt,
auf der Willem Vrelant und seine Frau von Meister Hans dargestellt worden sind. Auf den Flügel-
thüren, die die Gilde bezahlte, sind die Porträte Vrelants und seiner Frau jedenfalls nicht angebracht
gewesen sondern auf dem von ihm gestifteten Altarbilde.
Fig. 10. Bau einer Stadt oder Festung,
aus der Wiener Roussillonhandschrift, fol. 164.