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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 20.1899

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I. Theil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Die Werkstatt der Embriachi in Venedig
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https://doi.org/10.11588/diglit.5730#0277
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Julius von Schlosser.

im »Sacrarium« vorgewiesen.1 Wahrscheinlich sind sie im gleichen Jahre (1567) wie der alte Hoch-
altar aus der Kirche entfernt worden, eine Wirkung der strengere Normen einführenden Bulle Pius V.
vom 1. April 1566; denn am Beginne des XVII. Jahrhunderts sind sie nicht mehr in der »Sagrestia
vecchia« vorhanden. An einem unverfänglicheren Orte, in der Bibliothek des Klosters, hat sie dann

der Franzose de Lalande auf seiner 1765—1766
unternommenen Reise durch Italien noch in
ihrer ursprünglichen Gestalt gesehen.2

Die Katastrophe erfolgte erst 1798 mit der
gänzlichen Aufhebung der Certosa (die indess
seit 1782 an die Cistercienser übergegangen war)
durch die cisalpinische Republik; die französi-
schen Truppen, allen voran der wackere Com-
mandant Reboule, plünderten damals unge-
scheut. Die kostbare Einrichtung der Foresteria
und des Priorats ward öffentlich versteigert. Es
war unter diesen Umständen ein Glück zu
nennen, dass der Ex-Karthäuser und nachmalige
Staatsrath Ab. Benedetto Tordorö bei seiner
Pensionirung 1782 die Truhen in richtiger Er-
kenntnis ihres Werthes an sich genommen
hatte. In seinem Besitze tauchen sie zu Beginn
des XIX. Jahrhunderts wieder in Mailand auf;
er ist es offenbar auch gewesen, der sie, wohl
um ihre Provenienz zu maskiren, zerstückelte
und mit den einzelnen Theilen ein »gabinetto
portatile« bekleiden Hess; aufsein Schuldregister
kommen wohl schon einzelne der heute bemerk-
baren Versetzungen der Reliefs. Anlässlich der
Krönung Napoleons zum König von Italien im
Jahre 1805 dachte man daran, dieses Cabinet,
damals auf 8000 italienische Lire bewerthet, der
Kaiserin Josephine als Geschenk der Stadt Mai-
land darzubringen; darauf bezieht sich die interessante, die dargestellten Scenen recht gut erörternde
Relation des damaligen Directors des Münzcabinetes, Gaetano Cattaneo, die Sant' Ambrogio mitgetheilt
hat. Die Sache zerschlug sich aber; nach dem Tode Tordorös lief das kostbare Stück durch die Hände
verschiedener Besitzer, bis es 1865 an den jetzigen kunstverständigen Eigenthümer Nob. Gio. Batt. Ca-
gnola in Mailand gelangte, der, ein eifriger Bibliophile, keine würdigere Verwendung dafür wusste,
als die Wände eines schmucken kleinen Bibliothekscabinetes in seinem Palazzo in Via Cusani mit den
(wiederum zerstückelten) Reliefstreifen zu bekleiden. Es ist zu hoffen, dass nach dieser Odyssee das
ehrwürdige Denkmal der glänzendsten Periode des lombardischen Mittelalters vor weiteren Fährlich-
keiten bewahrt und seinem Stammlande erhalten bleiben wird. Das Verdienst, es zum Eigenthum der

Fig. 4. Kästchen (Nr. 124) im Besitze Sr. k. u. k. Hoheit
des Erzherzogs Franz Ferdinand von Oesterreich-Este.

(Gesammtansicht.)

1 Die betreffende Stelle ist von Schmarsow in seinen Auszügen aus Fichards Reisebeschreibung (Repertorium für
Kunstwissenschaft XIV, 38a) abgedruckt worden: »In sacrario (Carthusiae Papiensis seil.) monstrant fratres duas arcas ex
ebore subtilissime et artificiosissime sculptas opere antiquo, quas permagno aestimant; eiusdem materiae est et tabula in
summo altari.«

2 Voyage d'un Francois en Italie fait dans les annees 1765 et 1766, Nouv. Ed., Yverdon 1770, vol.VIII, p. 3i3: »Dans
la bibliotheque on montre deux coffres ä bas-reliefs d'yvoire, et des fleurs-de-lis dans les marges, comme celui de la
vieille sacristie ouvrage gothique fait en France.« Auf S. 3n spricht er nämlich von dem Altarvorsatz, den er offenbar
nach einer Tradition, die er im Kloster erfahren hatte, als ein Geschenk der Caterina, Gemahlin Giangaleazzos, bezeichnet.
Ich verdanke diese Angaben einer gütigen Mittheilung Sant' Ambrogios.
 
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