Die Werkstatt der Embriachi in Venedig.
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Künstlerfamilie, nach Florenz, so führt uns der Tractat äusserlich schon, aber auch innerer Gründe
wegen (venetische Dialektformen etc.) nach Venedig. In der That wissen wir, dass Baldassarre in einer
Rolle, die bei einem Künstler wohl nicht gewöhnlich aber auch durchaus nicht ohne Beispiel ist,
nämlich als Bankier (cambiatore) sowie als politischer Agent des Giangaleazzo Visconti von Mailand,
seinen Wohnsitz in Venedig gehabt hat; er ist also nicht blos als Künstler mit dem Herzog in Ver-
bindung gewesen.1 Eine zweite Tochter Lisabetta verheiratete sich i3g3 mit Piero Chiarini, dem
Sohne eines Florentiners Bernardo aus dem Geschlechte der Davanzati (siehe unten), der sich in Dal-
matien niedergelassen hatte und dort den Tuchhandel betrieb; Piero war Correspondent seines Vaters
in Venedig, der Weltbörse der lombardischen Tuchindustrie.2 Baldassarre und seine unmittelbare
Nachkommenschaft sind aber nicht die einzigen in Venedig ansässigen Mitglieder der Familie gewesen.
Schon Caffi hatte einen Ser Andrea degli
Ubbriachi, um die Mitte des XV. Jahrhunderts
in der Pfarre von San Basejo (Basegio, Basilio)
wohnhaft, in alten venezianischen Künstler-
catalogen gefunden.3 Im Jahre 1409 erhält
ferner ein Ser Giovanni degli Ubbriachi, Bür-
ger von Venedig, die Aufforderung, vor den
Staatsinquisitoren zu erscheinen; er war, in
einen Conflict mit der venezianischen Justiz
verwickelt, nach Rimini entflohen.4 Viel wich-
tiger sind die neuestens von Paoletti di Osvaldo5
aufgefundenen Urkunden, weil sie zeigen, dass
in Venedig wirklich ein in den Händen dieser
Familie befindliches kunstindustrielles Atelier,
vermuthlich in der Contrada San Luca, be-
standen hat. Wir hören zunächst von einem
Ser Antonio und einem Ser Giovanni (offenbar identisch mit dem Obigen und wohl auch mit
dem 1400 urkundlich erwähnten Ser Zaneto da Lavolio, siehe unten), beide anscheinend Brüder
und schon zwischen 1431 und 1433 verstorben. Denn am 6. April des Jahres 1433 nimmt der Sohn
des erstgenannten Ser Antonio, Geronimo Ubbriachi, mit seinen Brüdern Domenico und Lorenzo
eine Theilung des aus dem Verkauf der Hinterlassenschaft des Vaters und des Oheims Ser Giovanni
gelösten Ertrages vor; auf jeden Bruder entfallen 50 Goldducaten. Diese Hinterlassenschaft besteht
aber in Elfenbein, theils bearbeitet, theils Rohmaterial, in einer Truhe aufbewahrt. Schon am 21. Fe-
bruar des Jahres 1431 hatten die Brüder, nach einem Vermittlungsvorschlage des florentinischen Ge-
sandten in Venedig, Dr. Giuliano Davanzati, als ihres Bevollmächtigten, eine Theilung des geerbten
Hausgeräthes vorgenommen, unter dem (neben einigen Hausaltären, »ancone«) verschiedene »cofani«,
eine mit Intarsia versehene Cassette, beide alt, sowie eine tola (tavola) intarsiata ausdrücklich hervor-
gehoben werden (Anhang, Docum. I und II).
Fig. i3. Kästchen Nr. 97.
(Ravenna, R. Museo.)
der Fassung dieser Stelle geht, glaube ich, hervor, dass Benedetto nicht, wie Milanesi meinte, der Verfasser des Tractats
sein kann.
1 Beltrami, Storia doc. della Certosa I, 109. Die dort gemachten Angaben gehen, wie mir Comm. Beltrami freund-
lichst mittheilte, auf G. Milanesi zurück, der indessen durch den Tod verhindert wurde, seine Documente zu publiciren.
In Giulinis reichhaltigen Memorie di Milano (2. Ed., Mailand 1854) finde ich nichts über Baldassarre. Die Familiengeschichte
der Ubriachi bedürfte dringend archivalischer Nachprüfung.
2 Nach Beltrami a. a. O. und dessen brieflichen Mittheilungen.
3 Arch. stör. Ital. 1873, p. 369. Leider ohne Quellenangabe.
4 Fulin, Gl'inquisitori dei X, im Archivio Veneto I, 307, und Docum. XXXVIII, 1409, 6 Marzo: »Capta. Quod
scribatur prudenti viro ser Johanni de Ubriachis civi nostro existenti in Arimino in hac forma« etc. (Cons. X, misti, num. IX).
! In seinem grossen und grundlegenden Werke: »L'architettura e la scultura del rinascimento in Venezia«, Venedig
1893, Bd. I, p. 82. Die beiden Urkunden sind nach einer mir gütigst von Cav. Giomo, Director des Staatsarchives in
Venedig, mitgetheilten Abschrift im Anhange vollständig abgedruckt.
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Künstlerfamilie, nach Florenz, so führt uns der Tractat äusserlich schon, aber auch innerer Gründe
wegen (venetische Dialektformen etc.) nach Venedig. In der That wissen wir, dass Baldassarre in einer
Rolle, die bei einem Künstler wohl nicht gewöhnlich aber auch durchaus nicht ohne Beispiel ist,
nämlich als Bankier (cambiatore) sowie als politischer Agent des Giangaleazzo Visconti von Mailand,
seinen Wohnsitz in Venedig gehabt hat; er ist also nicht blos als Künstler mit dem Herzog in Ver-
bindung gewesen.1 Eine zweite Tochter Lisabetta verheiratete sich i3g3 mit Piero Chiarini, dem
Sohne eines Florentiners Bernardo aus dem Geschlechte der Davanzati (siehe unten), der sich in Dal-
matien niedergelassen hatte und dort den Tuchhandel betrieb; Piero war Correspondent seines Vaters
in Venedig, der Weltbörse der lombardischen Tuchindustrie.2 Baldassarre und seine unmittelbare
Nachkommenschaft sind aber nicht die einzigen in Venedig ansässigen Mitglieder der Familie gewesen.
Schon Caffi hatte einen Ser Andrea degli
Ubbriachi, um die Mitte des XV. Jahrhunderts
in der Pfarre von San Basejo (Basegio, Basilio)
wohnhaft, in alten venezianischen Künstler-
catalogen gefunden.3 Im Jahre 1409 erhält
ferner ein Ser Giovanni degli Ubbriachi, Bür-
ger von Venedig, die Aufforderung, vor den
Staatsinquisitoren zu erscheinen; er war, in
einen Conflict mit der venezianischen Justiz
verwickelt, nach Rimini entflohen.4 Viel wich-
tiger sind die neuestens von Paoletti di Osvaldo5
aufgefundenen Urkunden, weil sie zeigen, dass
in Venedig wirklich ein in den Händen dieser
Familie befindliches kunstindustrielles Atelier,
vermuthlich in der Contrada San Luca, be-
standen hat. Wir hören zunächst von einem
Ser Antonio und einem Ser Giovanni (offenbar identisch mit dem Obigen und wohl auch mit
dem 1400 urkundlich erwähnten Ser Zaneto da Lavolio, siehe unten), beide anscheinend Brüder
und schon zwischen 1431 und 1433 verstorben. Denn am 6. April des Jahres 1433 nimmt der Sohn
des erstgenannten Ser Antonio, Geronimo Ubbriachi, mit seinen Brüdern Domenico und Lorenzo
eine Theilung des aus dem Verkauf der Hinterlassenschaft des Vaters und des Oheims Ser Giovanni
gelösten Ertrages vor; auf jeden Bruder entfallen 50 Goldducaten. Diese Hinterlassenschaft besteht
aber in Elfenbein, theils bearbeitet, theils Rohmaterial, in einer Truhe aufbewahrt. Schon am 21. Fe-
bruar des Jahres 1431 hatten die Brüder, nach einem Vermittlungsvorschlage des florentinischen Ge-
sandten in Venedig, Dr. Giuliano Davanzati, als ihres Bevollmächtigten, eine Theilung des geerbten
Hausgeräthes vorgenommen, unter dem (neben einigen Hausaltären, »ancone«) verschiedene »cofani«,
eine mit Intarsia versehene Cassette, beide alt, sowie eine tola (tavola) intarsiata ausdrücklich hervor-
gehoben werden (Anhang, Docum. I und II).
Fig. i3. Kästchen Nr. 97.
(Ravenna, R. Museo.)
der Fassung dieser Stelle geht, glaube ich, hervor, dass Benedetto nicht, wie Milanesi meinte, der Verfasser des Tractats
sein kann.
1 Beltrami, Storia doc. della Certosa I, 109. Die dort gemachten Angaben gehen, wie mir Comm. Beltrami freund-
lichst mittheilte, auf G. Milanesi zurück, der indessen durch den Tod verhindert wurde, seine Documente zu publiciren.
In Giulinis reichhaltigen Memorie di Milano (2. Ed., Mailand 1854) finde ich nichts über Baldassarre. Die Familiengeschichte
der Ubriachi bedürfte dringend archivalischer Nachprüfung.
2 Nach Beltrami a. a. O. und dessen brieflichen Mittheilungen.
3 Arch. stör. Ital. 1873, p. 369. Leider ohne Quellenangabe.
4 Fulin, Gl'inquisitori dei X, im Archivio Veneto I, 307, und Docum. XXXVIII, 1409, 6 Marzo: »Capta. Quod
scribatur prudenti viro ser Johanni de Ubriachis civi nostro existenti in Arimino in hac forma« etc. (Cons. X, misti, num. IX).
! In seinem grossen und grundlegenden Werke: »L'architettura e la scultura del rinascimento in Venezia«, Venedig
1893, Bd. I, p. 82. Die beiden Urkunden sind nach einer mir gütigst von Cav. Giomo, Director des Staatsarchives in
Venedig, mitgetheilten Abschrift im Anhange vollständig abgedruckt.
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