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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 20.1899

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I. Theil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Die Werkstatt der Embriachi in Venedig
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https://doi.org/10.11588/diglit.5730#0306
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Julius von Schlosser.

unzertrennlich, im Spiel wie in der Schule. Dies Thema ist besonders breit ausgesponnen in den Dar-
stellungen des Kästchens in Wien (Nr. 121), wo die Kinder mit ihren Büchern vor dem Lehrer er-
scheinen, die Eltern mannigfach assistiren. Aehnlich auf dem Deckel des Dresdener Kästchens. Sehr
anmuthig ist die betreffende Darstellung in Casa Cagnola, wo die schlanken jugendlichen Gestalten
des kindlichen Liebespaares sich abseits von den Gefährten halten. Es folgt die Trennung, der Verkehr
der Liebenden durch die Wand (Kästchen in Wien). Ausführlicher setzen den Cyklus dann besonders
die Kästchen in Paris und Wien fort. Thisbe begibt sich zum Stelldichein an der Quelle vor den
Thoren Babylons, entflieht dann, unter Zurücklassung ihres Mantels, vor der zur Tränke gehenden
Löwin und verbirgt sich im Walde. Wir sehen Pyramus, das Schwert auf der Schulter tragend, zum
verabredeten Ort eilen und verzweiflungsvoll das täuschende, vom blutigen Maul der Löwin genetzte
Oberkleid der Geliebten finden. Er stürzt sich in sein Schwert; so findet ihn die zurückkehrende Thisbe

Fig. 25. Cofano (Nr. 121).
Im Besitze Sr. k. u. k. Hoheit des Erzherzogs Franz Ferdinand von Oesterreich-Este.

und folgt in Verzweiflung seinem Beispiel. Sehr empfindungsvoll ist die Schlussscene im letzten Relief
der Certosatruhen aufgefasst, wo sich Thisbe trauernd über den Geliebten beugt, der entseelt vor der
(übrigens immer gleichförmig dargestellten) von einem Baume überschatteten Fontaine1 liegt, während
im Hintergrund die Thiere des Waldes in ungestörtem Frieden lagern. Bei aller Dürftigkeit der Dar-
stellung liegt nicht blos für uns Moderne ein Hauch romantischer Waldpoesie über dem kleinen Relief.

Ich erwähne nur beiläufig, dass der Stoff noch im Cinquecento auf Stichen (z. B. Marc Antons)
und auf Medaillen (der Vittoria Colonna) dargestellt worden ist.

4. Hero und Leander. Ein anderer berühmter Liebesroman, der in der Weltliteratur mannig-
fache Wandlungen durchgemacht hat. Das uralte Thema, auch in dem schwermüthigen deutschen
Volksliede von den zwei Königskindern (wohl der selbstständigen Fassung eines wandernden volks-
tümlichen Stoffes) anklingend, ist schon in späthellenistischer Zeit auf Münzen der Städte Sestos und
Abydos als Localsage dargestellt worden,2 dann durch das Gedicht des Musäos, das jedoch erst der
Renaissance bekannt wurde, zu grosser Popularität gelangt, um schliesslich durch Schillers Ballade und
Grillparzers Drama einen unvergänglichen Platz im deutschen Schriftthume zu erhalten.3 Im Gegen-

1 Vgl. die Fontaine, die in der Geschichte der Susanna (siehe unten) eine so wichtige Rolle spielt.

2 Röscher, Lexikon der griechischen und römischen Mythologie s. v. Leander.

3 Jellinek, Die Sage von Hero und Leander in der Dichtung, Berlin 1890.
 
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