Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 20.1899

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Schlosser, Julius von: Die Werkstatt der Embriachi in Venedig
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.5730#0322
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Werkstatt der Embriachi in Venedig.

signorio in Verona, auf dem Portal von Santa Maria Maggiore in Bergamo.1 Noch
näher stehen aber unserem Baldassarre zeitlich wie örtlich die im Laubwerke der
südlichen Seitenthür des Florentiner Domes (Porta de' Canonici) spielenden Putti,
in denen ich mit Schmarsow nicht die Hand des deutschen Piero di Giovanni
sondern die eines toscanischen Epigonen sehen möchte.2 Vollkommen meistert
das Nackte aber erst der Bildhauer des 1402—1408 entstandenen nördlichen Seiten-
portals, der Porta della Mandorla, deren zahlreiche kleine Figürchen zum Theil
mit grösstem Verständnis der Antike nachempfunden sind (Fig. 3s). In der nackten
Rückenfigur des Herkulesknaben mit den Schlangen (siehe die Schlussvignette dieses
Aufsatzes) triumphirt die Form schon vollständig über den stofflichen Inhalt, der
die Kunst so lange dogmatisch beherrscht hatte. Die Thätigkeit dieses bedeuten-
den Meisters, der schon das volle Quattrocento einleitet — es ist Nicolö di Piero
Lamberti, genannt Pela, aus Arezzo — ist uns durch Semper erschlossen worden.3
Fast gleichzeitig fällt nach den feinsinnigen Untersuchungen Cornelius'1 das Grab-
mal der Ilaria del Carretto in Lucca, wohl das merkwürdigste Denkmal dieser
Uebergangszeit, wo Jacopo della Quercia in den kranzhaltenden Putti zum ersten
Male den kindlichen Körper im Geiste des neuen Stils bildet. Von diesen grossen
Schöpfungen des beginnenden Quattrocento ist allerdings ein beträchtlicher Ab-
stand bis zu den noch ganz trecentistisch befangenen Akten Baldassarres, letzten
Nachklängen der Kunst Andrea Pisanos, in deren schlanken Körpern noch leise
die gothische Empfindung nachzittert. Aber es ist der gleiche Geist in ihnen
lebendig, der Baldassarres florentinische Zeitgenossen zur Natur und zur Antike
zurückführt. Schon von Ghiberti wissen wir, dass er in seinem Atelier antike
Bildwerke bewahrte.5 In den nach Heuschrecken und Schmetterlingen haschenden
Putti der Certosatruhen sind die Eroten der Antike schon völlig lebendig geworden.
Deuten diese Elemente zunächst in die Heimat des neuen plastischen Stils
nach Toscana, so kündigt sich in einer anderen Erscheinung von Ferne der Realis-
mus Oberitaliens an. Ich denke hiebei in erster Linie an die merkwürdigen Thier-
darstellungen des Wiener Kästchens. Es ist wieder der Gedankenkreis des ritter-
lichen Lebens, dem sie entspringen; die Beobachtung des fremden Gethiers in
den Zwingern der Höfe hat den überkommenen Fabeln mittelalterlicher Natur-
geschichte und damit mittelalterlicher Anschauung überhaupt manch harten
Stoss versetzt. In dem intensiven Studium der Thier- und Pflanzenwelt, das uns
namentlich in Oberitalien bei Jacopo Bellini, bei Pisanello, in den etwas legen-
darischen Berichten Lomazzos über den Mailänder Michelino, in dem von mir
publicirten veronesischen Hausbuche der Cerruti, aber auch in den Pflanzen-
portraits Gentile da Fabrianos und in den Fruchtkränzen von Ghibertis Bapti-
steriumthür entgegentritt, scheint mir ein Zusammenhang mit der neuen Kunst
jenes niederdeutschen Volksstammes sichtbar zu werden, der durch alle Zeiten,
bis auf die holländische Blumenliebhaberei und die Naturpoesie des Hamburgers
Brockes herab, in einem intimen Rapport mit der Natur gestanden ist und in
dessen Schoosse auch das Thierepos, durch unseren grössten Dichter zu neuem
Leben erweckt, seine classische Form gefunden hat. Das germanische, gerne in das
Kleine und scheinbar Unbedeutende mit sinniger Herzlichkeit sich versenkende

lü '

_*7 ^

'V

"43k

1 A. G. Meyer, Lombardische Denkmäler des XIV. Jahrhunderts, Stuttgart 1893, S. 57 ff.

2 Jahrbuch der königl. preussischen Kunstsammlungen 1887, 146.

3 »Donatello«: I. Die Vorläufer Donatellos, Leipzig 1870, S. 24fr.

4 Jacopo della Quercia, Halle 1896, S. 65 ff.

5 Vasari, Vita di Ghiberti, cap. 18, in Freys Ausgabe, p. 28.

Fig. 36. Detail von der

Porta della Mandorla.

(Piero Tedesco.)
 
Annotationen