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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 20.1899

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I. Theil: Abhandlungen
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Boeheim, Wendelin: Die Waffenschmiede Seusenhofer, ihre Werke und ihre Beziehungen zu habsburgischen und anderen Regenten
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https://doi.org/10.11588/diglit.5730#0341
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Die Waffenschmiede Seusenhofer, ihre Werke und ihre Beziehungen zu habsburgischen und anderen Regenten. 2 Q 7

deutlicher erscheinen zu lassen, ohne das zugehörige Beinzeug in Tafel XL vor Augen stellen, bietet
hochinteressante Formen, die den charakteristischen Typus der Innsbrucker Harnische vom Anfange
des XVI. Jahrhunderts scharf erkennen lassen.1

Es ist ein Harnisch für den alten deutschen Fusskampf, ein sogenanntes Kampfzeug, das aber
durch entsprechende segmentförmige Ausschnitte im Schurze auch zu Pferde gebraucht werden konnte.
Schon der geschlossene Helm besitzt eine Zusammenstellung, welche ihn von jenen der Mailänder-,
Augsburger- und Nürnberger Werkstätten
wesentlich unterscheidet. Es ist jene Helm-
construction, welche Seusenhofer als »der
newen furm« bezeichnet und welche ihm sicher-
lich von Maximilian I. selbst angegeben
worden ist. Das Scheitelstück mit sehr nie-
derem aufgetriebenen Kamm verläuft rück-
wärts in eine schmale Zunge. Von den Seiten
schliessen sich zwei Backenstücke an, welche,
oben in Charnieren haftend, sich rückwärts an
die Zunge und vorne am Kinne fest zusammen-
schliessen lassen (Fig. 4). An der Zunge er-
blicken wir ein Loch; in dieses war einst die
jener Zeit eigenthümliche Stielscheibe einge-
nietet;2 sie ist leider abgängig. Den vorderen
Theil deckt ausser dem Stirnstulp das auf-
schlächtige Visir, welches zweimal vorgetrieben
und beiderseits gelocht und gespalten ist. Zur
weiteren Deckung dient ein Anschnallbart mit
dreimal geschobenen Halsreifen, der über die
Halspartie reicht, da damals Kragen noch nicht
üblich gewesen sind (Fig. 5). Rückwärts auf

adem Scheitelstücke erblickt man eine
eingeschlagene Marke, in welcher un-
deutlich ein Helm dargestellt ist. Die
Achseln besitzen steife Flüge mit hohen Brech-
rändern; der rechte Vorderflug ist, obwohl die
Brust keinen Rüsthaken hat, sehr stark aus-
geschnitten; die Ellenbogenkacheln sind sehr

wenig vorgetrieben und besitzen breite halbe Muscheln. Die Brust mit schwachem Grat ist in der Mitte
etwas vorgetrieben. An die sehr schmalen zwei Bauchreifen schliesst ein in Pfeifen getriebener kegel-
förmiger Kampfschurz, der bis zu den Knieen reicht. Das Beinzeug zeigt die gewöhnlichen Formen
der Zeit; die Diechlinge reichen hoch in die Leisten hinauf; die Kniebuckel besitzen flache Muscheln;
die Schuhe sind vorne breit und klobig in der Form der Ochsenmäuler.

Ungeachtet vielfacher Beschädigungen, welche der Harnisch im Laufe der Jahrhunderte erlitten
hat, lasst er noch deutliche Spuren einstiger reicher Vergoldung erkennen; seine decorative Ausstattung
nimmt unser volles Interesse in Anspruch. Ueber die gesammte Oberfläche breitet sich kräftig ge-

Fig. 5. Helm vom Harnische des Königs Heinrich VIII.,
Seitenansicht.

1 Die Abbildung hat der Verfasser der besonderen Güte des Herrn Viscount H. A. Dillon zu danken.

2 Der Zweck dieser Stielschsiben, die nicht allein im Nacken sondern auch zuweilen an der Streckseite der linken
Hentzen vorkommen, ist räthselhaft. Im Nacken konnte eine solche bei einem Sturze auf das Hinterhaupt die Erschütterung
massigen, an der Hentze vor einer Verletzung der Zügelhand ausreichender schützen. Stielscheiben traten in kleinen Dimen-
sionen schon um 1450 bei den Harnischen der Missaglia in Mailand auf und verschwinden gegen 1539. Auf einen Ge-
danken Maximilians I. sind sie somit nicht zurückzuführen.
 
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