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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0007
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2

Wolfgang Kallab.

der altchristlichen und frühitalienischen Landschaft aufweisen lassen. Jene abgetreppten Felsen sind,
wo immer sie auftauchen, stets in der Aufsicht gezeichnet; die Berge, die aus ihnen zusammengesetzt
sind, haben den Vorzug einer gewissen perspectivischen Durchbildung. Die Aufsicht spielt in der
mittelalterlichen Architekturdarstellung eine erhebliche Rolle, wofür man nur an die Fresken der
Georgskirche zu Oberzell, an die Hintergründe derCimabue zugeschriebenen Evangelisten in der Ober-
kirche von San Francesco zu Assissi (Fig. 18), an byzantinische Miniaturen (Taf. I—V) zu erinnern
braucht; sie ist endlich auch den Genesisminiaturen eigen. Darf man nach diesen ganz zufällig zu-
sammengestellten Beispielen auf die Ueberlieferung einer gewissen Art der Raumdarstellung in der
Landschafts- und Architekturmalerei1 schliessen, die sich von der Wiener Genesis, über die wir vor-
läufig nicht zurückgreifen wollen, bis in das XV. Jahrhundert erstreckt und deren Spuren wir auch
ausserhalb der italienischen und byzantinischen Kunst begegnen? Und hat diese Tradition, angenommen
dass sich unsere Vermuthung als stichhältig erweist, an der Entfaltung der Landschaftsmalerei im
XV. Jahrhundert irgendeinen Antheil?

Auf so weitverzweigte Fragen kann nur eine Geschichte der gesammten altchristlichen und mittel-
alterlichen Landschaftsdarstellungen antworten. Die folgenden Studien sind nur eine Vorbereitung
dazu und wollen, soweit das dem Verfasser zu Gebote stehende Material reicht, dem Ursprung jener
Ueberlieferung und ihrem Einfluss auf die italienische Kunst nachspüren.2 Als Ausgangspunkt diene
die Wiener Genesis; die Analyse der Landschaften, die sie enthält, wird den Fingerzeig geben, ob und
wo der Ursprung der einzelnen Elemente zu suchen ist.

Fig. I. Wiener Genesis (Härtel-Wickhoff, Taf. 26, unterer Streifen).

I. Die Landschaften der Wiener Genesis.

Die 48 erhaltenen Miniaturen der Wiener Genesis rühren, wie Wickhoff3 nachgewiesen hat,
von fünf Malern her, deren jeder seine Eigenart auch in der Auffassung der Landschaft mehr oder
minder zur Geltung bringt. Wir werden zunächst über diese individuellen Verschiedenheiten hinweg-
sehen und lediglich betrachten, ob das localbezeichnende Beiwerk frei erfunden oder überliefert ist.

Die landschaftlichen Hintergründe der Wiener Genesis sind Situationsbilder, die mit wenigen
Motiven bestritten werden. In den seltenen Fällen, wo seelische Belebung auf ihnen zum Ausdruck
gelangt, wie auf dem Bilde, wo Abraham mit seinen Söhnen unter dem Himmel mit den köstlichen

1 Die Geschichte der Architekturmalerei, die ausserhalb des Themas liegt, das dieser Aufsatz behandelt, wurde nur
insoweit berücksichtigt, als sich an ihr die Fortdauer der antiken Perspective nachweisen Hess.

2 Der Verfasser fühlt sich dem hohen Oberstkämmereramte sowie der Direction der Hofbibliothek für die Erlaubnis
zur photographischen Aufnahme der byzantinischen Miniaturen zu tiefem Danke verpflichtet.

3 Die Wiener Genesis, herausgegeben von W. Ritter v. Härtel und Fr. Wickhoff, Beilage zum XV. und XVI. Bande
des Jahrbuches der kunsthistor. Sammlungen des Allerh. Kaiserhauses, Wien 1895, S. 162—165.
 
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