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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0051
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Wolfgang Kallab.

Nur auf dem Gebiete der Architekturmalerei gewinnt eine naive Wirklichkeitsschilderung Raum.
Die Bilder mit der Geburt Maria bilden den Mittelpunkt einer Gruppe von Darstellungen, in denen
man mit Hilfe genrehafter Staffage die intime Stimmung wiederzugeben versucht, wie sie in
einer wohnlichen Stube herrscht. Bei Pietro Lorenzetti1 ist die Wochenstube ein einfaches, mit zwei
Kreuzgewölben gedecktes Kämmerlein, das ausser dem mächtigen Bett, in dem die Wöchnerin unter
einer grüncarrirten Decke liegt, und der niedrigen Bank davor keinerlei Geräthe aufweist; durch den
Vorraum, in dem die Nachbarn plaudern, blickt man in einen hohen kapellenartigen Rundsaal. Paolo

Gange sehen wir zwei Greise müssig sitzen, auf die ein Knabe aus dem sorglich gepflegten Garten
mit dem Ziehbrunnen zuschreitet.

Für derlei Durchblicke durch enge Stuben und winkelige Gänge, die gerne mit Kreuzgewölben
gedeckt werden, haben die Sienesen eine besondere Vorliebe. Die Pietro Lorenzetti zugeschriebene
Folge von sechs Tafeln mit der Auffindung des heil. Kreuzes4 gibt eine Reihe bezeichnender Beispiele.
Auch Säulenhallen und offene Lauben spielen als Ersatz von Innenräumen eine Rolle.5 Aber die Lust
zu der Beobachtung und Schilderung der nächsten alltäglichen Umgebung, die die Brüder Lorenzetti
angeregt hatten, verschwindet auch in der Architekturmalerei bald nach ihrem Tode. Die Epigonen
Bartolo di Fredi, Barna u. s. w. zehren an den Vorbildern, die jene geschaffen, da und dort noch aus-
gestaltend, und bei Taddeo di Bartoli ist der Strom der Erfindung versiegt.

Die Landschaften auf dem »Triumph des Todes« und dem »Einsiedlerleben« im Camposanto zu Pisa,
die die wilde Einsamkeit des Hochgebirges, in das sich die Eremiten zurückziehen, wiedergeben sollen,

1 Siena, Domopera (1342).

2 Siena, Gallerie, Sala II», Nr. 61.

3 Asciano, Collegiata. Photographie Lombardi, Nr. 1525.

4 Siena, Domopera.

ä Pietro Lorenzettis Fresken im linken Querschiffe der Unterkirche von San Francesco zu Assisi; Schule des Am-
brogio Lorenzetti: Freskenreste in den Servi zu Siena.

Fig. 28. Sassetta, Geburt der Maria,
Asciano, Dom.

di Giovanni2 gestaltet den Raum
reicher aus. Marias Bett steht in
einer Nische zutiefst in dem Zim-
mer; durch einen lichtdurchström-
ten Erker, um den eine Sitzbank
herumläuft, blickt man ins Freie
und um die mit zierlichem Mass-
werk ausgefüllten Fenster ranken
sich Rosen herein. Auf dem Bilde
Sassettas (Fig. 28)3 ist das breite
Bett zur Seite gerückt; im Hinter-
grunde führt eine Thür aus dem
halbdunklen Räume auf eine offene
Loggia. Mägde sind um die Wöch-
nerin beschäftigt: eine giesst ihr
Wasser über die Hände, eine an-
dere kommt mit Speisen herbei,
eine dritte ist der Wehemutter
beim Waschen des Kindes behilf-
lich und wärmt ein Linnen an dem
Feuer, das in einem offenen Ka-
mine prasselt. Wie Pietro Loren-
zetti durchschneidet der Maler die
eine Seitenwand und in einem
 
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