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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0063
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Wolfgang Kallab.

Stundenlang kann man in dieser Gegend wandern, ohne sich von menschlichen Behausungen zu ent-
fernen. Des Abends, wenn die Sonne hinter die Höhen des unteren Arnothaies hinabtaucht und das
Dunkel, aus den Thälern steigend, sich über das Land lagert, kann man die Lichter allmälig aufblitzen
sehen, erst in der nächsten Nähe, dann weiter, immer weiter, bis sie aus der fernsten Ferne als Zeugen
heimlicher Herdstatt entgegenleuchten. Wie eine einzige grosse Stadt in festlicher Beleuchtung nimmt
sich dann die Ebene um Florenz aus.

Diese weite, reichgegliederte Ebene, die sich um den Leben und Segen spendenden Fluss herum-
legt, war das erste Motiv, das sich den Malern anbot, ja aufdrang, als sie die Landschaft in der Natur
suchten. Die Naturalisten haben es zuerst gebracht und verbreitet. Wir finden es auf Andrea del Casta-
gnos »Kreuzigung« 1 als Ausblick von einem Hügel, auf dem das Kreuz steht, in ein welliges, busch-
reiches Thal; wir treffen es auf Baldovinettis »Geburt Christi« (Fig. 3i),2 bei den Pollajuoli, bei dem
jungen Botticelli. Auf Baldovinettis Fresco wird der Vordergrund durch zwei Anhöhen eingeengt;
auf der einen, einer breiten Felsplatte rechts, erhebt sich ein mächtiger Granatapfelbaum, unter dessen
Aesten die heil. Familie lagert; gegenüber (links) bricht ein Fels in gerader, schroffenerfüllter Wand
ab. Zwischen ihnen liegt das Thal, eben wie ein Tisch, in das der Fluss und die grellen Strassen als
Gliederungen für die Tiefe scharf eingerissen sind, mit stereotypen kugelförmigen Büschen und lichten
Häuschen besäet; die Randgebirge sind niedrig und fern. Diese Landschaft kann als die typische Ver-
körperung des Motivs gelten: mit geringen Veränderungen, die den bald als Terrasse mit einer
Balustrade, bald als hohen Felshügel behandelten Vordergrund betreffen, haben es die Pollajuoli3 nach-
geahmt. In dieser Gestalt ist es auch von dem namenlosen Meister des Dreierzengelbildes4 (Florenz,
Akademie, Nr. 84) und von Botticelli5 verwendet worden.

Piero dei Franceschi, bei dem das Motiv nicht selten ist, verleiht ihm eine intimere Wendung
(Arezzo, San Francesco: Schlacht gegen Maxentius) oder gibt es als Aussicht über eine Ebene, die mit
Hügeln bestreut ist.6 Flüsse und Seen, in denen sich die Ufer und die blaue Luft spiegeln, sammeln
das Licht und bilden in dem bunten Vielerlei einen erwünschten Ruhepunkt.

Alle diese Landschaften sind Veduten, strenge in der Perspective und genau gezeichnet, wahr-
haftig in der Fülle der Einzelheiten, sachlich wie eine photographische Aufnahme. Sie haben kein
weiteres Interesse als das der Bewältigung einer Reihe von Naturobjecten, die in gewissem Sinne unter-
einander zusammenhängen; alle sind dem Maler gleich fern und gleich werth.

Die bislang aufgezählten Werke waren meist Fresken oder Tafelbilder bescheidenen Umfanges.
Das Motiv, das reicher Entfaltung fähig war, vermochte auch einen ausgedehnten Hintergrund zu
füllen. Ueberfluss an Raum, dann aber wohl auch die Vorliebe für das Bunte, Vielfältige in den Aus-
blicken bewog Gozzoli und Dom. Ghirlandajo, seine Einheit aufzugeben und es mit anderen zusam-
menzustellen. Gozzoli, dem es bei seinen Landschaften wie bei seinen historischen Compositionen nur
darauf ankam, eine weite Wand annehmlich zu bedecken, fügt es ganz willkürlich in seine langen
Veduten (Florenz, Kapelle im Palazzo Riccardi; Pisa, Camposanto) ein. Der gewissenhaftere Ghirlan-
dajo erkannte seinen Werth für einheitliche Entwicklung des Raumes und suchte es nur zu grösserer
Mannigfaltigkeit und Breite zu entwickeln. Er gibt den hohen Standpunkt und die Fernsicht auf. Der
Fluss wird zum Strome; die flachen Landzungen und Höhenrücken, die in seine Fluthen einschneiden,

1 Museo di Santa Apollonia zu Florenz.

3 Santa Annunziata, Vorhof. Das Fresco wurde am 27. Mai 1460 bestellt; 1462 war der Maler noch an der Arbeit;
vgl. Vasari II, 595 f. und Anm. 3. Auch die Landschaft auf der Madonna Baldovinettis, die jüngst als Piero dei Fran-
ceschi in den Louvre kam, gehört zu dieser Gruppe.

3 Dreiheiligenbild: Uffizien; Herkulesthaten: ebenda; Stickereien im Museo del Opera; Tobias mit dem Erzengel:
Turin, Gall. Ueber die Betheiligung der beiden Brüder: Morelli, Die Gallerie zu Berlin, S. 31 f.; Ulmann, Jahrbuch der kgl.
preuss. Kunstsammlungen XV (1894), S. 23o.

4 Morelli, Die Gallerien Borghese u. s. f., S. 108, Anm.; Bode, Jahrbuch der kgl. preuss. Kunstsammlungen III
(1882), S. 246.

5 Sebastian: Berlin, kgl. Museen. Morelli, Die Gallerie zu Berlin, S. II.

6 Bildnis des Federigo da Montefeltre und seiner Gemahlin Battista Sforza in den Uffizien: Witting, Piero dei Fran-
ceschi, Strassburg 1898, S. 41; Winterberg, a. a. O. I, S. 34 ff. Vgl. unten, Fig. 39.
 
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