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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0064
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Die toscanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung.

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ersetzen die Schlängelwindungen. Ansehnliche Gebirge treten an seine Ufer und geben den er-
wünschten Anlass, das Bild zu verbreitern; die einförmige Weite des Ausblickes wird durch die allmälige
Ueberleitung von einem bedeutenden Vordergrunde in die dunsterfüllte Ferne reichlich aufgewogen.
Ausgebreitete Städte an den Ufern, Hafenanlagen, Schiffe, Strassen längs des Flusses, felsige Abstürze,
Baumgruppen und ähnliche Einzelheiten beleben da, wo die Kenntnis der Natur noch nicht zureichte,
die grossen Formgegensätze des Motivs, wie Thal und Gebirge, bewachsenen Boden und spiegelnde
Wasserfläche, zu ihrer vollen Schönheit zu entwickeln.

In seiner ganzen Grösse hat Ghirlandajo das Motiv auf dem Fresco der »Berufung der Söhne des
Zebedäus« 1 ausgestaltet. Der Maler steht mitten in der Landschaft. Gerade auf den Beschauer zu fluthet
der mächtige, zu einem See gestaute Strom; seine langen Wogen erfüllen fast den ganzen Mittelgrund.
Um ihn gruppirt sich die ganze Landschaft: Berge und Hügel, die wechselweise vor- und zurücksprin-
gen, geleiten den Blick die reichbewegte Uferlinie entlang nach der Ferne, wo der Fluss vor einem Fels-
kegel, der die Sicht abschliesst, ausweicht und verschwindet. Die grossen Verhältnisse, die Einheitlichkeit
des Hintergrundes tragen nicht wenig zu der ernst feierlichen Wirkung bei, die das Fresco hervorruft.2

Ghirlandajo hat auf keinem anderen Werke dem Motive diese Bedeutsamkeit abgewinnen können.
Er bringt es bald zu nebensächlich, als blosse Füllung des Hintergrundes, an,3 bald schadet er ihm
durch nachlässige Behandlung4 oder er sucht es ins Liebliche, Anmuthige herabzustimmen, indem er
den Maassstab der Darstellung vermindert. Aus dem Strome wird ein rieselndes Bächlein, die Ebene
wird zur Wiese, das Gebirge zu Rasenhügeln, die mit Buschwerk besetzt sind. 5 Es fehlte nur, dass
der Maler das Motiv begrenzte, es aus dem Hintergrunde dem Beschauer näher rückte und freilich ein
Weniges von der Sorgfalt und liebevollen Beobachtung walten liess, die einen solchen unscheinbaren
Winkel zu einem Mikrokosmus umschafft, und Ghirlandajo wäre in den Kreis der Künstler eingetreten,
die die paysage intime pflegten. So bringt er es (wohl unter dem Einfluss dieser) nur zu einer sehr
trockenen Nachahmung, deren Eintönigkeit sein Schüler Bastiano Mainardi5 noch überbietet. Seine
Schöpfungen stehen gerade an der Grenze zwischen den streng sachlichen Landschaften der Natura-
listen und der auf intime Naturbeobachtung gegründeten. 7

Auf drei anderen Landschaften entfernt sich das Motiv durch eine eigenthümliche Erfassung
von dem Vedutencharakter. Ant. del Pollajuolo (»Martyrium des heil. Sebastian«, London, National
Gallery, Nr. 292) und Verrocchio8 geben den hohen Aufnahmspunkt und den die Ferne überschnei-
denden Vordergrund auf und stellen sich mitten in die Ebene hinein. Der zur Seite gerückte Fluss-
lauf bildet nicht mehr das centrale Motiv; statt der Uebersicht über die Ebene malen diese Künstler
die Stimmung in derselben bei gedämpfter Beleuchtung, die mehr verschleierte als dargestellte Er-
streckung der Ebene in die Tiefe, den Spiegel des Flusses, der sich in die Ferne verliert, die lichten
Contouren des weiten Gebirges. Auf der vielumstrittenen »Verkündigung« in den Uffizien9 er-
scheint das Flussthal in der Gestalt, die ihm Dom. Ghirlandajo auf dem Fresco in der Sixtinischen
Kapelle verliehen hat; aber durch den Ort, an dem es eingeführt ist, und die Beleuchtung wird
seine Wirkung auf besondere Art gesteigert. Tief über einer niedrigen Umfassungsmauer taucht der
mächtige Strom auf, die Raumtiefe der vorderen Gründe fortsetzend; seine breiten Fluthen reichen bis

1 Rom, Sixtinische Kapelle.

2 Burckhardt, Cicerone II (5. Auflage), S. 78.

3 Anbetung der Könige, Innocenti; Fresco im Chor von Santa Maria Novella.

4 Trinitä: Verzicht des heil. Franciscus; Santa Maria Novella: Johannes geht in die Wüste u. A.

5 Trinitä: Exequien des heil. Franciscus; Santa Maria Novella: Namengebung des Zacharias.

6 Gürtelspende in Santa Croce, Capella Baroncelli. Mainardis Antheil an den Fresken von Santa Maria Novella, der
sich auch auf die Landschaften erstrecken mag, ist noch nicht sichergestellt.

' Eine ähnliche Mittelstellung hinsichtlich der gegenständlichen Ausführung des Motivs nimmt auch Botticelli ein; vgl.
unten, S. 85.

8 Taufe Christi, Akademie zu Florenz. Morelli, Kunstkritische Studien (Die Gallerie zu Berlin), S. 35 f.

' Morelli (Die Gallerie zu Berlin, S. 22) schreibt das Bild dem Ridolfo Ghirlandajo zu. Danach könnte man es
kaum früher als 1500 setzen (Ridolfo wurde 1483 geboren), was mir als zu spät erscheint. Berenson (Florentin Painters,
p. i3o) theilt es Verocchio zu.

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