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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0070
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Die toscanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung.

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Spoleto,1 gesellt sich zu der Anhänglichkeit an die Ueberlieferung noch eine Fülle kleiner naturalisti-
scher Motive und Durchblicke und eine vollständige Verwirrung des Aufbaues, der die Convention eile
Aufsicht mit perspectivischer Gliederung in Einklang zu bringen sucht.

Während die Tradition für die Naturalisten ein kurzes Uebergangsstadium gewesen war, das
bald überwunden wurde, wagte Fra Filippo die Landschaft des Trecento sammt ihren widernatür-
lichen Eigenheiten in den naturalistischen Stil seiner Zeit zu übersetzen. Der Versuch fand in dieser
Ausdehnung keine Nachfolge: aber die Ueberliefe-
rung behielt auf die Gestaltung der Felsen im ganzen
Quattrocento dauernden Einfluss. Der rissige, scharf
abgekantete Felsboden, der sich über den vorderen
Bildrand erhebt; die flachen Hügel, die aus abgestuften
Felstafeln bestehen;2 die Felswände, die aus scheitel-
recht behauenen Quadern,3 aus dicht geschichteten
Platten oder Felskrystallen aufgebaut sind;4 die
Blöcke, deren glatte, kahle Flächen unter der Decke
von Grasbüscheln und überhängendem kurzen Ge-
strüpp hervorkommen,5 gehen auf die conventio-
nellen Formen der Tradition zurück, die der durch
die Linearperspective begünstigten Vorliebe der Na-
turalisten für bestimmte Zeichnung und für die Zu-
rückführung der Naturformen auf leicht zu verkür-
zende stereometrische Gebilde Vorschub leisteten.
Die Tradition wirkte noch nach einer anderen Rich-
tung befruchtend ein. Die kühnen Felsgebilde der
giottesken Landschaft, die oft nur aus der spielerischen
Zusammensetzung der gegebenen Formen entstanden
waren, lenkten die Aufmerksamkeit der Maler auf die Fig. 36. Fra Filippo Lippi, Landschaft aus der Madonna
wild zerrissenen Formationen des Kalkgebirges, auf in der Pinakothek zu München,

seltene Naturspiele, wie Felsthore und Felsbrücken,

und gaben wenigstens mittelbar die Anregung zu den phantastischen Felslandschaften, wie sie Man-
tegna6 unter den Oberitalienern, Fiorenzo di Lorenzo7 und Pinturicchio8 unter den Umbrern und
Leonardo da Vinci9 unter den Florentinern schufen.

Eines geringeren Verbreitungsgebietes erfreuen sich die Stilisirungen der conventioneilen Felsland-
schaft, die sich an Vorbilder aus der Reliefplastik anlehnen. Auf den Fresken des Fra Angelico im
Kloster San Marco zu Florenz haben Berge und Hügel breitflächige glatte Formen mit wenigen, ge-
schärften und leicht ausgebogenen Kanten, die von der Spitze bis zum Fusse laufen und die Masse des
Gebirges nothdürftig in vor- und rückspringende Schichten gliedern. Auf den Felsen der »Kreuz-
abnahme« 10 sind die Grate stärker herausgeschliffen und die zwischen ihnen liegenden Mulden sehen

1 Ullmann (Botticelli) erkennt darin die Mitwirkung des Fra Diamante, der die Fresken im Dome zu Spoleto voll-
endete (Vasari II, 628 ').

2 Mantegna: Kreuzabnahme, Bartsch 4 (Fig. 37).

3 Baldovinetti: Geburt Christi (Fig. 31). Raffaelino del Garbo: Auferstehung Christi, Florenz, Akademie. Lorenzo
di Credi: Anbetung der Hirten, ebenda u. s. f.

4 Mantegna: Sebastian (Taf. VIII); Madonna della petriera, Uffizien. Filippino Lippi: Vision des heil. Bernhard, Flo-
renz, Badia; Hieronymus, ebenda, Akademie (Fig. 47 und 49).

s Piero di Cosimo: Conception, Uffizien (Fig. 50 und 52).

6 Grablegung, Bartsch 2; Kreuzabnahme, Bartsch 4.

' Wunder des heil. Bernhard, Perugia, Gall. comm. (Fig. 41).

8 Rom, Araceli, Capella Buffalini (Fig. 42); vgl. Rumohr in Humboldts Kosmos II (Stuttgart 1847), s- '28.

9 Vierge aux rochers, Paris, Louvre; vgl. unten, S. 86.
10 Florenz, Akademie. Rechts im Hintergrunde.

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