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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0080
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Die toscanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung.

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schaften zwei Hände gearbeitet haben: von der einen rührt das Mittelstück der »Israeliten vor Sinai«,
die linke Seite des »Durchganges« und die drei kleinen Bildchen auf dem »Abendmahle« her. Piero
hat auf dem ersten Fresco die Seitentheile gemalt, vielleicht die Disposition des Ganzen angegeben
und auch die linke Hälfte des Hintergrundes auf dem »Durchgang« mindestens entworfen;1 denn auch
den Gedanken, hier die Darstellung der gewaltigen atmosphärischen Entladung anzubringen, wird man
nach Analogie des Sonnenunterganges auf der »Bergpredigt« für sein geistiges Eigenthum halten dürfen.

Die vier umbrischen Landschaften in der Sixtinischen Kapelle haben der Bodenform nach ein
besonderes Gepräge: langgezogene, flache Bergrücken, die sich einer hinter dem anderen in die breiten
Thalbecken vorschieben. Die Ab-
hänge des Gebirges sind scharf um-
rissen, so dass ihr charakteristischer
Contour auch in die Ferne wirkt;
zuweilen kommen selbst felsige Ab-
stürze, Felswände vor, die die Mul-
den begleiten, welche sich die Flüsse
senkrecht auf die Strichrichtung der
Höhenzüge gewühlt haben (sogenann-
ter Signorelli, Ferne). Die breiten
Kuppen und gewellten Hügel, die pa-
rallel zur Bildfläche laufen, beherr-
schen auch den Vordergrund.

Die Heimat der Maler, die Aus-
läufer der Apenninen, deren lange
Arme den oberen Tiber und seine
Nebenflüsse umziehen, trägt den Cha-
rakter dieser Landschaften. Das ab-
geschiedene umbrische Bergland mit
seinen langtönigen Berglinien, den
tief eingesenkten Hochthälern, den
weiten Ebenen steht fast in allen
Punkten im Gegensatz zu dem reich- Fig. 42. Pinturkchio, Aus der Capella Buffalini.

belebten Hügellande von Toscana,

wo das Bild der Gegend bei jedem Schritt sich ändert. Die Eigenart der umbrischen Landschafts-
maler, die einheitliche Geschlossenheit ihrer Gründe geht wenigstens zum Theil auf ihre Heimat,
die sie immer wieder abbilden, zurück. Denn verglichen mit toscanischen Gegenden, ist sie formen-
arm; um so beherrschender treten die Massen des Gebirges, die einfachen Umrisslinien der Berge hervor.

Ein Weiteres folgt aber daraus: da nach der Tiefe führende Motive, wie Flusswindungen, Strassen
u. dgl., selten sind, die Bergzüge parallel zur Bildfläche streichen, tritt die Linearperspective gegen die
Luftperspective zurück. Auf Pinturicchios »Auszug aus Aegypten« herrscht Abenddämmerung. Nebel
steigen aus den Gründen, die zwischen den parallelen Bergketten streichen und hintereinander in das
breite Hauptthal münden. Das dumpfe Grün des Vordergrundes, in dem schwache Reflexlichter zittern,
geht allmählig in matte, violettgraue Töne über, die sich an den fernen Höhenzügen scharf gegen den

1 Schmarsow (Melozzo da Forli, S. 218; vgl. Steinmann im Jahrbuch der kgl. preuss. Kunstsamml. XVI (1895),
S. 176—197) weist die linke Hälfte des Frescos Piero di Cosimo zu; die rechte will er einem Schüler Ghirlandajos zutheilen.
Ulmann (a. a. O., S. 54 ff.) stimmt ihm bei, setzt aber an die Stelle Pieros den Bruder des Domenico Ghirlandajo,
Benedetto. Keiner dieser Beurtheiler hat berücksichtigt, dass erstens die Landschaft mindestens auf einen Entwurf Piero di
Cosimos zurückgeht, wie das oben angeführte Detail (Bildung der Wellen) beweist, dass zweitens die Gestalten der rechten
Hälfte derselben Hand angehören, welche die drei kleinen Einsatzbildchen auf dem Abendmahl Rosellis, die Landschaft
der linken Hälfte des Unterganges und der Israeliten vor Sinai ausgeführt hat.

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