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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0083
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78

Wolfgang Kailab.

Die Zeitgenossen wussten die Landschaftskunst des Meisters wohl zu schätzen; hat er ja doch
nach Vasari1 für Innocenz VIII. im Belvedere eine Loggia nur mit Landschaften ausgemalt.

Was Pinturicchios Menschen fehlt, der Reichthum an Beobachtungen, die oft bewunderungs-
werthe Feinheit der Perspective, die Freiheit und Grösse der Auffassung, zeichnet seine landschaftlichen

Gründe aus. Ueber Allem aber steht die un-
versiegliche Kraft der Erfindung. Perugino,
Filippino Lippi, Leonardo überragen ihn durch
die Gewalt der Stimmung, durch den Geschmack
ihrer Auswahl, durch die Feinheit der Beob-
achtung; keiner erreicht ihn in der ungezwunge-
nen Vielfältigkeit der Motive, die mit dem bunt-
scheckigen Vielerlei Gozzolis nichts zu thun hat.2
Der Kreis der Motive, die Perugino be-
herrscht, ist eng begrenzt; aber er wählt sie
sorgfältig aus und scheut sich nicht, ausdrucks-
fähige wenig verändert zu wiederholen. Sie
tragen noch mehr Localcolorit als die Pintu-
ricchios. Immer und immer wieder fühlt man
sich in die Ebene, die sich, von Hügeln und
höheren Bergen umsäumt, von Perugia bis Foli-
gno hinaufzieht, oder in die Umgegend des trasi-
menischen Sees versetzt, der zuweilen abgebildet
wird (»Kreuzigung« von 1518, Florenz, Aka-
demie). Bald stehen wir mitten in der Ebene,
erblicken die Umrisse des Gebirges zwischen
dem Gesträuch und über den Senkungen des
Vordergrundes (»Kreuzigung«, Rom, Villa Al-
bani, Polyptychon; »Himmelfahrt Mariae«, Flo-
renz, Akademie); oder niedrige Hügel schieben
sich von der Seite vor und lassen den Blick auf
ein kleines Stück Ferne frei, wo zuweilen statt
der Ebene der Horizont des Meeres erscheint
(»Anbetung des Kindes«, Rom, Villa Albani;
»Kreuzigung«, Florenz, La Calza); oder der
Maler steht auf einer Anhöhe und bildet das

Fig. 44. Perugino, Mittelstück der »Kreuzigung« weite Flachland mit dem zwischen Büschen

in Sa. Maria Maddalena ai Pazzi, Florenz. dahinschleichenden Fluss und den weitentfernten

Gebirgen ab, die sie umrahmen (Triptychon,
London, National Gallery; »Madonna del sacco«, Florenz, Gallerie Pitti; »Madonna mit zwei Engeln
und zwei Heiligen«, Louvre; »Christus auf dem Oelberge« Florenz, Akademie). Oder die Höhen ziehen
sich, hintereinander vortretend, schräg in das Bild hinein und ein stiller Fluss läuft unter Bäumen an
ihrem Fusse dahin (»Kreuzigung«, Florenz, Santa Maria Maddalena ai Pazzi, Fig. 44; »Beweinung«,
Gallerie Pitti, Fig. 45). Stets ist der Mittelgrund, die Ferne, das eigentliche Darstellungsobject; derVorder-

1 I", 49».

2 Nur im Vorbeigehen mag Luca Signorellis gedacht werden, dem die Landschaftsmalerei ferne lag. Jeder andere
zeitgenössische Umbrer oder Florentiner hätte die Darstellungen der vier letzten Dinge mit weiten Landschaften ausgestattet.
Wo er landschaftliche Hintergründe anbringt, sind sie kahl (Montoliveto); mit Pinturicchio theilt er die Vorliebe für zahl-
reiche Felsthore und für lange Baumreihen auf den Kämmen der Hügel. Trotzdem rührt von Signorelli vielleicht die erste
erhaltene selbständige Landschaft her (Perugia, Gallerie, Predelle zu der Madonna mit den bejden Franziskanern), ein Fluss
mit bewaldeten Hügeln.
 
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