Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0087
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
82 Wolfgang Kailab.

und seine Tiefe zu ermessen. So will ich einige seiner Landschaften, so schlecht es sich auch schicken
mag, zu beschreiben versuchen.

Filippinos erste landschaftliche Schöpfung ist der Hintergrund zu der »Vision des heil. Bernhard«
(Florenz, Badia, Fig. 47).1 Der Vordergrund senkt sich zu einer Art Höhle, die von überkragenden
Platten eines wagrecht geschichteten Felsgeschiebes gebildet wird. Der Felsen gipfelt in einer Mütze von
Erdhügeln und theilt die Landschaft in zwei Hälften. Links zieht sich eine sumpfige Niederung an einer
Höhe vorbei, die eine Kirche krönt. Niedrige begrünte Hügel schliessen den verlassenen Grund; in ihrem
Schatten liegt ein Kloster, weiter oben heben sich Thürme licht vom Horizonte ab. Rechts steigt ein
Hügel an; die sonnenbeschienenen Mönchszellen am Fusse steiler Felsen sind von Bäumen überdacht.
Von einem näherliegenden Kloster, an dessen Pforte sich Mönche von dem Heiligen verabschieden,
schlängelt sich ein Pfad durch die steile Wiese zu ihnen hinauf. Die Verbindung der beiden Hälften der

Fig. 47. Filippino Lippi, Landschaft aus der »Vision des heil. Bernhard«. Florenz, Badia.

Landschaft ist nicht vollständig geglückt; aber der Contrast des stillen Thalwinkels und der freien, lufti-
gen Höhe fein empfunden. Die ungesuchte Stimmung der Abendstille ist über beide Theile gebreitet.

Nur ein Durchblick aber für Filippinos schlichte Art bezeichnend, ist die kleine Landschaft in der
Brancaccikapelle (»Kreuzigung Petri«). Die offene Pforte geht auf ein abendlich gestimmtes Thal. Ueber
ein paar Rasenstufen der leise strömende Fluss, über den ein Reiter setzt. Erlen spiegeln sich in den
Fluthen. Jenseits erhebt sich das Ufer zu einem grünen Hügel, den hohe Laubbäume mit luftigen
Kronen bestehen. Ueber seiner sanften Senkung zwei Kirchen, Gebäude, deren Silhouetten sich dunkel
von dem glänzend weissen Abendhimmel abheben.

Welche breite Fülle weiss der Maler den Ausblicken über das weite Land abzugewinnen, wie auf
dem Bilde in der Pinakothek zu München.2 Ein weites Gelände, ein Fluss mit einer Mühle im Mittel-
grunde, rückwärts auf den emporschwellenden Hügeln, halb von der Helle des Horizontes verzehrt,
eine mächtige Stadt mit Thürmen und Thoren. Wer sich Siena von Süden nähert, empfängt ein ähn-
liches Bild. Von der linken Seite fällt eine Felsklippe in zwei langen Zacken gegen den Fluss ab. Auf

1 Sie wird einer alten Tradition zufolge gewöhnlich in das Jahr J480 versetzt. Natale Baldoria (Arch. stor. dell' arte
III, 664) hat aus stilistischen Gründen gegen eine so frühe Datirung Einsprache erhoben.

2 Berenson (The Florentin painters, S. 116 f.) streicht es aus der Liste der Werke Filippinos, für den die Landschaft
spricht. An dem oberen Theile des Bildes und der Predelle mögen Schüler beschäftigt gewesen sein; vgl. Morelli, Die Galle-
rien zu München und Dresden, S. 126.
 
Annotationen