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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Graeven, Hans: Typen der Wiener Genesis auf byzantinischen Elfenbein-Reliefs
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0098
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Typen der Wiener Genesis auf byzantinischen Elfenbeinreliefs.

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thür des Grottentempels am Monte Sant' Angelo,1 auf einer aus drei Stücken zusammengesetzten
Elfenbeintafel des South Kensington-Museums.2 Ihre Reliefs sind der Rest eines grösseren Cyklus,
dessen Darstellungen dem Rotulus entlehnt waren, und im Laufe dieser Untersuchung werden noch
verschiedene byzantinische Elfenbeinreliefs herangezogen werden, die ebenfalls vom Josuarotulus ab-
hängig sind. Gerade auf byzantinischen Elfenbeinreliefs habe ich jetzt auch die erste sichere Spur
entdeckt von dem Fortleben der Typen, die die Wiener Genesis bietet.

Im Elfenbeinzimmer des königlichen Grünen Gewölbes in Dresden, das ich im Sommer 1898
besuchte, fiel mein Blick auf ein kleines, ungedeutetes und gänzlich unbeachtetes Relief (Fig. 1), das

Fig. 2. Miniatur der Wiener Genesis, Fol. XV, 3o.

mir sofort ein Bild der Wiener Genesis ins Gedächtnis rief, die Illustration der Reise Josefs zu seinen
Brüdern (Fig. 2). Das Bild ist in zwei Streifen zerlegt. Der obere zeigt links den Abschied des
Sohnes aus dem Vaterhause. Der Scheidende, der bereits den Reisesack auf den Rücken geschnallt
und den Mantel um den Leib geknotet hat, beugt sich nieder, um seinen Bruder Benjamin zu küssen;
der dabei sitzende Vater streichelt die Wange Josefs und die hinter ihm stehende Mutter sieht mit
traurigem Blick auf die Gruppe nieder. Die zweite Scene zeigt Josef auf dem Marsche. Er wendet
sich um zu seinem kleinen Bruder, der ihm nachgelaufen ist und den er nun zurücklassen muss. Ein
Engel des Herrn aber ist bereit, den Wanderer auf seinem ferneren Wege zu begleiten. Im unteren
Streifen trifft Josef den Mann, der ihm mittheilt, dass seine Brüder nicht mehr in der Nähe Sichems
weiden sondern mit ihren Heerden nach Dothan gezogen seien. Der letzte Theil des Bildes stellt dar,
wie die Brüder das Nahen Josefs bemerken. Die zehn Figuren sind in mehrere Gruppen vertheilt; die
Glieder jeder Gruppe erscheinen in lebhaftem Gespräch und dadurch, dass einzelne auf den Ankömm-
ling mit dem Finger weisen, merkt der Beschauer, dass Josefs Person den Gegenstand der Gespräche
bildet. Der Maler hat mit grossem Geschick die Worte der Schrift (37, 19) illustrirt: »Sie sprachen
untereinander: Sehet, der Träumer kommt daher.«

1 Abbildung bei Schulz, Denkmäler der Kunst des Mittelalters in Unteritalien, Taf. 39.

2 Abbildung im Jahrbuch der königl. preussischen Kunstsammlungen XVIII (1897), S. 7, darnach unten Fig. 7.
 
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