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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Graeven, Hans: Typen der Wiener Genesis auf byzantinischen Elfenbein-Reliefs
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0113
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io8

Hans Graeven.

Bruder Josefs über dessen Kopf hinweg einen Beutel reicht, der den Kaufpreis enthält, wie wiederum
Potiphar über Josefs Kopf dem Ismaeliten sein Geld einhändigt. Dass auf dem Berliner Relief der
Bruder Josefs, der das Geld in Empfang nimmt, zugleich, seine Rechte auf den Kopf des Kaufobjectes
legt, hat sicher eine rechtliche Bedeutung. Zwar sind wir über die antiken Bräuche beim Sclavenver-
kauf nicht gut unterrichtet; aber die Sitte, bei der »Manumissio« den Kopf des aus der Sclaverei Frei-
zulassenden mit der Hand zu berühren, lässt auf Aehnliches bei der Uebergabe eines Sclaven an den
neuen Herrn schliessen. Ob auch der Gestus des Mannes, der dem Verkäufer gegenüber steht und ihm
die Hand an den Kopf legt, bedeutungsvoll ist, wage ich nicht zu entscheiden. Die drei Figuren hinter
dem Verkäufer stellen andere Brüder Josefs dar. Jener, der dem Mittelpunkte zunächst ist, streckt den
Arm nach hinten aus, um den in der Entfernung sitzenden herbeizurufen, dem auch der mittlere den
Kopf zuwendet. In der Kleidung sind die Figuren rechts vom Brunnen, die wir als Ismaeliten an-
sehen müssen, von den Brüdern Josefs nicht verschieden. Die ravennatischen Reliefs und die Minia-
turen der Oktateuche suchen die fremden Kaufleute zu charakterisiren durch eigenartiges Gewand
und eigenartige Kopftracht. Dass im Vorbilde des Berliner Reliefs das Gleiche geschehen war, lässt
sich noch errathen aus der auffallenden Bildung des bärtigen Kopfes, der nach rechts gewendet ist.

Der äusserste rechte Theil des Reliefs zeigt Josef auf einem Kameel, das von einem Manne ge-
führt wird. Das Hauptmerkmal des Kameeis, der Höcker, kommt zwar nicht zur Geltung; aber die
Form des Kopfes und vor Allem die Zweihufigkeit bei diesem Thiere und den gleichgestalteten der
zweiten Tafel sprechen deutlich genug und hätten die Verfasser des Berliner Katalogs vor dem Irr-
thum bewahren sollen, die Thiere als Pferde zu bezeichnen.

Die andere Berliner Tafel zeigt zwei Scenen aus Josefs späterem Leben, führt ihn im Stande
seiner Erhöhung vor. Links beaufsichtigt er die Kornaustheilung an seine Brüder; vor ihm kniet ein
Mann auf dem Boden, der einen Sack mit Getreide füllt, und andere bereits gefüllte Säcke werden auf
Lastthiere geladen. Josefs Haupt umgibt ein Kronreif mit Gehängen; sein Costüm ist dasjenige, das
im IV. Jahrhundert und in den nächstfolgenden die Vornehmen und die Kaiser selbst tragen; aber der
Elfenbeinschnitzer hat sich bei der Wiedergabe seines Vorbildes mehrere Irrthümer zu Schulden kommen
lassen. Er hat den Knopf, der den Mantel zusammenhält, mitten auf die Brust gesetzt, während es für
die Chlamys charakteristisch ist, dass sie auf der rechten Schulter geknüpft wird; auch ist der Brust-
einsatz, der diesen Mantel zu schmücken pflegt, im Relief nicht angegeben. Ferner ist Josefs Unter-
gewand irrthümlich als Tunica talaris gebildet,1 statt deren eine nur bis zu den Knieen reichende
Tunica unter der Chlamys getragen wurde. Dasselbe Gewand wie Josef hat der links neben ihm
stehende Mann, dessen Thätigkeit im Relief nicht erkennbar ist; aus seiner Tracht können wir schliessen,
dass er im Original des Reliefs als Schreiber Josefs functionirte. Bei der Kornaustheilung auf dem
Relief der ravennatischen Kathedra steht ebenfalls neben dem thronenden Josef ein Chlamysträger,
der die Zahl der abgemessenen Scheffel registrirt, und auf zahlreichen spätantiken und frühchristlichen
Bildwerken,2 die Amtshandlungen hoher Würdenträger darstellen, sehen wir an deren Seite ihre
Schreiber, angethan mit der Chlamys.

Alle Figuren rechts von Josef sind der folgenden Scene zuzurechnen, deren Hauptgruppe sich
ganz am rechten Ende befindet: Josef, seinen alten Vater bewillkommnend. Hinter Jakob nahen sich
zwei seiner Söhne; ein dritter, nach der anderen Seite gewendet, hält zwei zusammengekoppelte Rinder
an einem Strick, ein vierter ragt im Hintergrunde hinter einem Kameele auf. Die Zugehörigkeit der
letzten Figurengruppe zu der Begegnung Jakobs und Josefs ward von den Verfassern des Berliner
Katalogs verkannt; sie wird aber erwiesen durch eine Miniatur des vaticanischen Oktateuchs 747,
welche die Reise Jakobs nach Aegypten darstellt (Fig. 17). Der Patriarch ruht hier auf einem zwei-
rädrigen Karren, vor den ein Paar Rinder gespannt sind; mehrere Kameele folgen dem Wagen; einer

1 Denselben Fehler begieng der Verfertiger der Michaelsdarstellung im Berliner Museum, Bode und v. Tschudi,
a. a. O., Taf. LV, 437.

2 Vgl. z. B. das Probianusdiptychon (Molinier, a. a. O., Taf. IV), die Pilatusscene im Codex Rossanensis (Haseloff,
a. a. O., Taf. 12), die Menaspyxis (Garrucci, a. a. O. VI, tav. 440, 3).
 
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