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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara: Stilkritische Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0123
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n8

Hermann Julius Hermann.

Das Castell, an dessen düstere Kerker sich Erinnerungen an grausame Blutthaten knüpfen, ist
noch heute die gewaltigste Tyrannenburg Italiens. Dem mächtigen Mauermassiv mit seinen vier
Thürmen leiht seine Lage inmitten tiefer, mit Wasser gefüllter Gräben, über die Zugsbrücken führen,
den romantischen Zauber mittelalterlicher Wehrhaftigkeit. Als ein weithin sichtbares Wahrzeichen
einstiger Macht überragt der kolossale Bau die ausgedehnte Stadt, die schon von ferne ihre Bedeutung
als fürstliche Residenz ankündet. Ein Gegenstück zum Castell, das die weltliche Macht so eindringlich
zum Ausdruck bringt, bildet der Dom, ein ernster, gewaltiger Bau des XII. Jahrhunderts. Nur seine
Facade mit den drei Giebeln, die Triforiengallerien, einer Spitzenarbeit vergleichbar, schmücken,
prangt noch in ihrer alten phantastischen Schönheit; das Innere sowie die der Piazza del Mercato zu-
gewendete Langseite sind durch spätere Umbauten ihres ursprünglichen Charakters beraubt. Einst
mag wohl dieser Platz mit dem Dom, dem gothischen Palazzo della Ragione, dem alten Esteschloss
(das heute in ganz veränderter Gestalt als Palazzo comunale dient), den Standbildern Niccolös III.
und Borsos und den hohen, zinnenbekrönten Thürmen einen höchst malerischen Eindruck gemacht
haben, der heute durch die baulichen Veränderungen freilich viel von seiner ursprünglichen Wirkung
eingebüsst hat. Dem heutigen Ferrara geben die Paläste des XV. und XVI. Jahrhunderts das Gepräge.
Auch die Malerei bildete erst in dieser Zeit einen Localstil aus. Von den Fresken, die Giotto im Pa-
laste des Azzo d'Este und in der Augustinerkirche S. Andrea gemalt haben soll, ist uns nichts erhalten;
ebenso kennen wir von den einheimischen ferraresischen Meistern des XIV. Jahrhunderts kaum mehr
als die Namen.1

Parteikämpfe und blutige Fehden hemmten die stetige Entwicklung der Kunst. Seitdem die Este
das Erbe der Marcheselli in Ferrara angetreten hatten (1185), gaben ihnen Intriguen und Ver-
schwörungen genug zu scharfen, um ihre Herrschaft in Ferrara zu behaupten. Erst Niccolö II. gelang
es, sich allgemein Anerkennung zu verschaffen und seinem Hause die Herrschaft dauernd zu sichern.
Er stand in Beziehungen zu Petrarca, dessen Aufenthalt in Ferrara gewiss nicht ohne Wirkung auf
das geistige Niveau des estensischen Hofes blieb. Eine Zeit der Blüthe dämmerte erst unter dem ebenso
prunkliebenden wie grausamen Alberto d'Este (i388—i3g3), der die Stadt durch Paläste verschönerte.
Der Palazzo del Paradiso (seit 1567 Sitz der Universität), der Palazzo Schifanoja und das Lustschloss
Belfiore dankten ihm ihre Entstehung. Albertos grösstes Verdienst bleibt aber die Gründung der Uni-
versität (i3g2), die auf Grund des Zugeständnisses des Papstes Bonifacius IX. nach dem Muster
Bolognas eingerichtet wurde. Damit war der Grund zu einer Blüthe des geistigen Lebens in Ferrara
gelegt worden. Musste auch die Hochschule zufolge ihrer Kostspieligkeit bald nach ihrer Eröffnung
geschlossen werden, so war ihre Wiedereröffnung im Jahre 1402 der Anfang reger geistiger Bethätigung.
Fast gleichzeitig mit der Gründung der Universität scheint eine beträchtliche Bereicherung der Bi-
bliothek der Este stattgefunden zu haben. Wir finden sie wenigstens i3g3 zum ersten Male erwähnt
in den Annalen des Jacobo Delaito.2 Ihr Ursprung soll ins XII. Jahrhundert zurückreichen; aber
erst seit dem Anfang des XV. Jahrhunderts sind wir über ihre Reichhaltigkeit näher unterrichtet. An
Vielseitigkeit und Pracht der Manuscripte stand die Bibliothek der Este den vornehmsten Büchersamm-
lungen des Quattrocento ebenbürtig zur Seite.

Petrarcas Beispiel erregte auch bei den Fürsten Italiens die Lust am Besitze kostbarer Hand-
schriften. Die Bibliotheken der Medici zu Florenz, der Visconti und Sforza im Castell zu Pavia,
der Gonzaga zu Mantua, der Este zu Ferrara, der Montefeltre zu Urbino, der Aragonesen zu
Neapel, des Mathias Corvinus zu Ofen sowie die der Päpste und Cardinäle ragen nicht nur durch
ihre Reichhaltigkeit hervor sondern glänzten auch durch die künstlerische Ausstattung ihrer Manuscripte,
hinsichtlich welcher sie ihr glänzendes Gegenstück in den kostbaren Bibliotheken der französischen
Könige, der Herzoge von Burgund und des Herzogs von Berry hatten. Deutschland kann in
jener Zeit nichts Aehnliches aufweisen; denn selbst die Bibliothek Kaiser Friedrichs III. scheint —

1 A. Venturi, I primordi del rinascimento artistico a Ferrara, in der Rivista storica italiana, vol. I, p. 597 ff-

2 Jacobo Delaito, Chronica nova, in Muratori, Scriptores Rerum Italicarum, tom. XVIII, p. 906.
 
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