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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara: Stilkritische Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0124
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Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara.

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ähnlich der Bibliothek des Königs Wenzel von Böhmen —■ im Geiste des Mittelalters angelegt gewesen
zu sein und war wenigstens ihrem Umfange nach mit den grossen italienischen und französischen
Bibliotheken des XV. Jahrhunderts nicht zu vergleichen. In keinem Jahrhundert, weder vorher noch
nachher, entstanden so zahlreiche, kostbare Miniaturhandschriften wie im XV. Jahrhundert; sowohl in
Italien als auch im französisch-niederländischen Norden wurden Werke von solcher Pracht geschaffen,
dass sie heute die werthvollsten Cimelien unserer Bibliotheken bilden.

Neben den weltlichen Machthabern waren es die Kirchen und Klöster, deren Bibliotheken sich
mit kostbaren Manuscripten füllten. Hier handelte es sich naturgemäss vornehmlich um die Erwerbung
von Handschriften religiösen oder liturgischen Inhalts. Noch heute bilden die grossen Chor-
büchersammlungen zu Florenz, Siena, Perugia, Bologna u. a. m. den Gegenstand der Bewunde-
rung für den kunstsinnigen Reisenden. Der künstlerisch hervorragendsten Sammlung unter diesen,
der Libreria zu Siena, ebenbürtig erscheinen die berühmten Corali der Certosa zu Ferrara; sie blieben,
als die Bibliothek der Este nach Modena gebracht wurde, als Eigenthum der Kirche in Ferrara und
bilden heute einen der kostbarsten Schätze unter den Sehenswürdigkeiten der Stadt.

Neben den Handschriften religiösen Inhalts nehmen in den Renaissancebibliotheken die Hand-
schriften der römischen und griechischen Classiker einen besonderen Ehrenplatz ein. Seitdem Petrarca
auf das Studium der Antike hingewiesen hatte, waren die Handschriften der griechischen und
römischen Autoren eine gesuchte Waare geworden. Leonellos Bemühen, eine Plautushandschrift zu
erwerben, ist dafür ein charakteristisches Beispiel. Auffallenderweise finden sich unter den erhaltenen
estensischen Handschriften nur wenige Classikerhandschriften, die durch einen höheren Kunstwert
ihrer Miniaturen hervorragen; auffallend vor Allem im Gegensatz zu den kostbarsten Handschriften der
Medicibibliothek oder der Corvina. Dagegen mag wohl die Estebibliothek unter allen italienischen
Renaissancebibliotheken die reichste an französisch-niederländischen Manuscripten gewesen sein. Das
entsprach ja so recht der Vorliebe der Este für französische Literatur, Sitte und Tracht, die auch nicht
ohne Einfluss auf den Stil der ferraresischen Malerei geblieben ist. Während aber die ferraresische
Malerei des Quattrocento bei aller Anerkennung ihrer localen Bedeutung in der Entwicklungs-
geschichte der italienischen Kunst doch nur eine secundäre Rolle spielt, können die ferraresischen Minia-
turcodices den hervorragendsten Leistungen italienischer Miniaturmalerei an die Seite gestellt werden.
Prunkvollere Handschriften als die Bibel des Herzogs Borso sind vielleicht nirgends sonst in Italien
entstanden.

Es ist ein eigenartiger Zufall, dass — abgesehen von den Chorbüchern der Certosa — die künst-
lerisch wertvollsten Handschriften der Este sich gegenwärtig in Oesterreich-Ungarn befinden, ein
Umstand, der die Besprechung in den vorliegenden Blättern um so erklärlicher macht. Die kostbarsten
darunter: die genannte Bibel des Herzogs Borso, das Breviarium Ercoles I. und das Officium Alfonsos I.,
befinden sich im Besitze Seiner k. u. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Franz Fer-
dinand von Oesterreich-Este; würdig schliessen sich das Missale des Cardinais Ippolito I. in der
k. k. Universitätsbibliothek zu Innsbruck sowie die Sammlung von 18 einzelnen Miniaturen in der
Gemäldegallerie der südslavischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Agram an.

Die Blüthezeit der Miniaturmalerei in Ferrara fällt mit der der älteren Malerschule so ziemlich
zusammen; sie füllt die zweite Hälfte des XV. Jahrhunderts und das erste Decennium des Cinquecento.
Aus der ersten Hälfte des Quattrocento sind uns leider so wenige ferraresische Miniaturcodices erhalten,
dass wir uns nur ein annäherndes Bild ihres Stilcharakters machen können. Es darf übrigens ange-
nommen werden, dass die Miniaturmalerei erst unter Leonello, der ja durch seine persönliche Initiative
den Anstoss zu einem Aufschwung des Kunstlebens in Ferrara gegeben hatte, Erheblicheres geleistet
hat, zumal erst Leonello regeres Interesse an der Erwerbung minirter Handschriften bekundete. Aus
diesem Grunde werden in den nachfolgenden Ausführungen, die ja vornehmlich auf Stilkritik beruhen,
in erster Linie die Miniaturcodices der Zeit von Leonello bis Alfonso I. einer Betrachtung unter-
zogen und die Vorstufen zur Blüthe sowie der Verfall nur im historischen Zusammenhang herangezogen.
Leider fehlt es bisher an Katalogen der Miniaturhandschriften selbst der bedeutendsten Bibliotheken,

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