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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara: Stilkritische Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0128
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Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara.

123

Bischofs von Ferrara für S. Croce 1253 als Zeuge (»presente Domino Joanne Archipresbitero Trese-
galis«) erscheint.

Erhalten ist uns das genannte Epistolar der Domsacristei in Padua, das wohl nach 1259 ausge-
führt wurde. Wie es scheint, war Giovanni da Gaibana Schreiber und Miniator zugleich. Eine Miniatur
stellt den Giovanni selbst dar (vgl. Fig. 1); er sitzt vor einem gedrechselten Pult auf einem hohen Lehn-
stuhl und schreibt auf einem Pergamentstreifen: »Ego presbyter Johannes scripsi feliciter«; in der
Linken hält er das Radirmesser. Trotz der argen Verzeichnungen (z. B. des rechten Oberarmes) erweist
sich Giovanni da Gaibana als ein nicht ganz ungeschickter Miniator, der freilich völlig unter byzanti-
nischem Einflüsse steht. In einer Miniatur, welche den Tod Marias darstellt (vgl. Fig. 2), erreicht er,
trotz aller Roheit der Ausführung, in den vier Engeln im Hintergrunde eine gewisse Schönheit, die
ja byzantinischen Miniaturen stets eigen ist. Die Gestalt des Heilands mit der als Wickelkind darge-
stellten Seele der Maria sowie die in Reihen übereinander angeordneten Apostel zeigen allerdings,
wie unselbständig Giovanni da Gaibana war. Wir dürfen hier die Vorlage eines byzantinischen Ori-
ginals vermuthen, das gewiss weit schöner gewesen sein dürfte.

Ausser dieser Einzelerscheinung erfahren wir aus dem XIII. Jahrhundert nichts Nennenswerthes.
Wir wissen nur, dass gegen Ende des Jahrhunderts die Commune für den Dom eine Bibel in zwei
Bänden herstellen liess und, als einer dieser Bände verpfändet wurde, die Bestimmung traf, dass die
Bibel den Dom nicht verlassen dürfe.1 Heute ist keine Spur mehr davon zu finden. Nicht viel mehr
wissen wir aus dem XIV. Jahrhundert; Ferrara scheint an den künstlerischen Strömungen desTrecento
nur wenig Antheil genommen zu haben. Die grossen Wandlungen im Kunstleben Oberitaliens vollzogen
sich in dem nahen Padua, wo die Carrara den künstlerischen Ereignissen regstes Interesse entgegen-
brachten. Giotto hatte die italienische Kunst aus den Banden der byzantinisirenden Tradition befreit
und ihr nationales Leben eingehaucht. Als eines seiner herrlichsten Werke sind uns seine Fresken in
der Arena zu Padua erhalten, während seine Arbeiten in Verona, Ferrara und Ravenna zum grössten
Theil untergegangen sind. Die Bedeutung seiner Persönlichkeit erhellt auch aus seinem bestimmenden
Einfluss auf die italienische Malerei des ganzen Trecento, die sich rückhaltlos den Neuerungen des
grossen Toscaners anschloss. Trotz der Thätigkeit Giottos in Oberitalien tritt die oberitalienische Malerei
des Trecento gegenüber Toscana in den Hintergrund. Erst im letzten Viertel des Jahrhunderts tritt ein
Künstler hervor, der mit einem mächtigen Schritt nach vorwärts der oberitalienischen Malerei neue
Wege wies: Altichiero, der Grossmeister der Schule von Verona. Wieder ist es Padua, wo uns Alti-
chieros Meisterwerke, die Fresken der Capella S. Feiice und der Capeila S. Giorgio, erhalten sind. In
ihnen kommt der Gegensatz des Naturalismus der oberitalienischen Kunst, die dem Culturkreise Frank-
reichs und Deutschlands nahe steht2, zu dem Idealismus der toscanischen Malerei des Trecento deutlich
zum Ausdruck. Naturstudium und genrehafte Motive zeichnen Altichieros Fresken ebenso aus wie
Frische des Colorits und Reichthum der Palette; Vorzüge, die ja im Norden Italiens, in Venedig, ihre
höchste Ausbildung erreichen sollten.

Altichieros Auftreten war auch bedeutungsvoll für die Miniaturmalerei, die in Verona stets
eifrig gepflegt wurde. Klangvolle Namen, wie Matteo de' Pasti, Liberale und Girolamo dei Libri,
finden sich unter den Miniatoren Veronas des XV. Jahrhunderts. Seltener treffen wir Miniaturen,
deren Stil an Altichiero erinnert; eine Zusammenstellung der veronesischen Miniaturhandschriften
wäre eine lohnende Untersuchung. Julius von Schlosser (a. a. O.) hat eine hierhergehörige Bilder-
handschrift der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses veröffentlicht. Eine
interessante Miniaturhandschrift, deren Stil meines Erachtens der Richtung des Altichiero nahe
steht, besitzt die Biblioteca dell'Accademia dei Concordi (Silvestri) zu Rovigo (Cod. Nr. 6)3 in

1 Gruyer, L'art ferrarais ä l'epoque des princes d'Este I, p. 6.

2 Vgl. J. v. Schlosser, Ein veronesisches Bilderbuch und die höfische Kunst des XIV. Jahrhunderts, im XVI. Bande des
Jahrbuches der kunsthistorischen Sammlungen des Allerh. Kaiserhauses.

3 G. Mazzatinti, Inventari dei manoscritti delle biblioteche d' Italia III, p. 4, besprochen im Kunstblatt von Förster und
Kugler vom 15. October 1846, Nr. 51, S. 206.
 
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