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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara: Stilkritische Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0148
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Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Kerrara.

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bezeichnet, von vollendeter Meisterschaft. Nach Bologna übersiedelt,
entfaltete Cossa ein reges Kunstschaffen. Seine Malereien in S. Pe-
tronio, die ehrwürdige Madonna del Baraccano legen dafür Zeugnis
ab, ebenso die für S. Petronio in Bologna bestimmte Tafel des heil.
Vincentius Ferrer, deren Theile die Nationalgallerie in London (St.
Vincentius Ferrer), die Brera zu Mailand (St. Petrus und der Täufer)
und die Gallerie des Vatican (Predella) besitzen, sowie die Verkündi-
gung aus der Osservanza bei Bologna in der Dresdener Gallerie.1

Noch überraschender als in der Monumentalmalerei macht sich
ein Aufschwung in der Miniaturmalerei bemerkbar. Auch hierin
folgt Borso wieder den Spuren seines Bruders Leonello. Entsprechend
der Grundlage, die Leonello geschaffen hatte, sondern sich unter Borso
in der ferraresischen Miniaturmalerei zwei Gruppen. Die eine dieser
Gruppen, der wieder von auswärts berufene Miniatoren angehören,
steht unter dem Einfiuss des Vittore Pisano und der Schule des Squar-
cione. Das Hauptwerk dieser Gruppe ist die Bibel des Herzogs
Borso, als deren Hauptminiatoren Franco Russi und Taddeo Cri-
velli erscheinen. Die andere Gruppe, deren Höhepunkt die Choral-
bücher der Certosa bezeichnen, kann als eine ferraresische Local-
schule der Miniaturmalerei bezeichnet werden. Diese zweite Gruppe
gliedert sich wieder in eine ältere Localschule, die sich an Mante-
gna, Piero della Francesca und Giorgio Tedesco bildet und in Gu-
glielmoGiraldi, Marco dell'Avogaro und Martino da Modena
gipfelt, und eine jüngere, der Zeit Ercole I. angehörende, die sich an
Cosimo Tura anschliesst und der die Miniatoren der Domcorali,
Jacomo Filippo d'Argenta und seine Genossen, angehören. Die
ferraresische Localschule der Miniaturmalerei bleibt bis gegen Ende
des Quattrocento die herrschende. Erst im letzten Jahrzehnt des Jahr-
hunderts, in welchem diese ferraresische Localschule an künstlerischer
Bedeutung entschieden verliert, macht sich eine Stilwandlung bemerk-
bar, auf die schon gelegentlich der Besprechung der Randleistendeco-
ration hingewiesen wurde. Woher diese Wandlung ihren Ursprung hat,
soll an der geeigneten Stelle untersucht werden.

Mit Rücksicht auf den künstlerischen Werth will ich zunächst
die beiden erwähnten Gruppen einer Betrachtung unterziehen, um die
untergeordneteren Codices in Kürze anzufügen. Vorerst sei mit eini-
gen Worten einer Handschrift der Biblioteca comunale in Ferrara
(Cod. class. II, Nr. i32), Imprese di Carlo magno, gedacht, deren Mi-
niaturen beweisen, welchen Eindruck Pisanos Werke gemacht haben.
In der Randleiste des Titelblattes (Fig. 11) finden sich rechts zwischen
den herzoglichen Emblemen des Paraduro, des Einhorns und des »ba-
tesmo« in zwei Spitzovalen zwei Brustbilder; das untere stellt einen
jugendlichen Prinzen dar, der den weissen Esteadler als Zimier auf
seinem Helm trägt, vermuthlich Borso; das obere Brustbild hingegen
ist sichtlich von Pisanellos Medaille des Johannes III. Palaeologus ab-
hängig. Auch die jugendliche Gestalt eines königlichen Ritters in der

1 Vgl. G. Frizzoni, Zur Wiederherstellung eines altferraresischen Altarwerkes, in
der Zeitschrift für bildende Kunst 1888, S. 299fr. und desselben: Die Verkündigung des
Francesco Cossa in Dresden, ebenda 1889, S. l63 f.

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Fig. 11. Randleiste aus der Hand-
schrift der »Imprese di Carlo
magno«.

(Ferrara, Eibl, comunale, Cod. cl. II,
Nr. i32, f. 1).

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