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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Hermann, Hermann Julius: Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara: Stilkritische Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0158
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Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara.

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von dem Russis und Crivellis verschieden ist. Schon äusserlich unterscheidet sich Marco dell'Avogaro
von den übrigen Miniatoren dadurch, dass er sowohl in der Landschaft als auch in seinen Figuren
die Lichter in Gold aufsetzt. Eigentümlich ist dem Avogaro vor Allem der blaue Gesammtton seiner
Miniaturen, die plastische Modellirung der in parallelen Linien herabfallenden Falten sowie die grellen,
etwas opaken Farben, unter denen er Zinnober, Ultramarin und Weiss bevorzugt. Besondere Sorgfalt
verwendet Marco dell'Avogaro auf die Landschaft, in welcher er meist ein sanftes Hügelland mit üppi-
ger Vegetation wiedergibt; dunkelblaue Wasserbecken, deren Oberfläche durch Goldlichter erglitzert,
verleihen seinen Landschaften einen eigenartigen Reiz. Seine Figuren — die oft den Muranesen
ähnlich scheinen — zeichnen sich durch sichere Zeichnung aus, entbehren aber tieferer Individuali-
sirung; nichtsdestoweniger ist dem Meister ein Schönheitsgefühl nicht abzusprechen, wenn auch seinen
Formen eine gewisse Härte eigen ist.

Fig. 22. Kentaur raubt ein Mädchen, aus einer Randleiste des Taddeo Crivelli
in der Borsobibel, Band II, f. 277'.

{Sammlung Sr. k. u. k. Hoheit Erzherzog Ferdinand von Oesterreich-Este).

Wenden wir der Handschrift selbst unsere Aufmerksamkeit zu.

Die Bibel des Herzogs Borso besteht aus zwei Bänden, die circa 26-5 cm breit und 37-5 cm Beschreibung
hoch sind. Der erste Band enthält 311, der zweite 2g3 Folioblätter. Die alten kostbaren Einbände, die der Borsoblbel-
aus Goldstoff mit vergoldeten Silberbeschlägen und ebensolchen Schliessen bestanden, sind nicht mehr
erhalten; doch finden sich auch an den heute vorhandenen, goldgepressten rothen Maroquinbänden
(aus dem XVIII. Jahrhundert) treffliche vergoldete Silberbeschläge und Silberschliessen in reichster
gothischer Maasswerkornamentik, die aber bereits der Zeit Ercoles I. oder Alfonsos I. angehören, da sich
in dem Wappen in der Mitte die an Ercole I. 1471 verliehenen päpstlichen Schlüssel in einem Mittel-
pfahl vorfinden. Es scheint, dass das Manuscript unter Ercole I. oder Alfonso I. mit einem neuen Ein-
band versehen wurde. Im XVIII. Jahrhundert wurden die Einbände wieder erneuert, ebenso der Gold-
schnitt, die alten Beschläge jedoch wieder verwendet.

Die Schönheit des Aeusseren wird durch die Pracht der Ausstattung der Handschrift selbst noch
weit übertroffen. Jede Seite ist von einer Randleiste umschlossen, in welche eine oder zwei Miniaturen
eingefügt sind. Die Randleisten bestehen fast durchwegs aus jenen zarten, mit der Feder gezeichneten
Spiralranken, die ich oben als den für Ferrara typischen »Spitzengrund« bezeichnet habe; dazwischen
sind bunte stilisirte Blümchen, breite bunte Akanthusranken und Goldpünktchen eingesetzt. In frei-
gelassenen Medaillons sind nun die herzoglichen Embleme, Thierbilder sowie figürliche Compositio-
nen eingefügt.

Bewunderungswürdig ist die reiche Abwechslung in der Anlage der Randleisten; es finden sich
kaum zwei genau übereinstimmende Blätter. Fast durchgehends ist jede Versoseite als Pendant zur
folgenden Rectoseite aufgefasst; ausgenommen am Ende einer Lage, besonders, wenn die folgende
 
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