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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara: Stilkritische Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0173
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i68

Hermann Julius Hermann.

auch in ferraresischen Bildern beliebt wurde. Links im Vordergrunde sitzt ein Mann, der auf einem
Pergamentblatt schreibt. Trotz der Roheit der Ausführung finden sich die Eigenarten Crivellis wieder;
man beachte zunächst den starken Wachszusatz der Farben, die als Wellenlinien am Himmel gezeich-
neten Wolken, die phantastische Zeichnung der Felsen, das struppige Haar sowie die violette Färbung
der Architektur, an der sich an dem Giebel der Halle links die von Crivelli so oft verwendete Pilger-
muschel als Schmuck findet (vgl. besonders: Borsobibel, Band I, f. 40' und 56 [Fig. i3 und 14]). Gegen-
über der Roheit des Mittelbildes zeichnen sich die reizenden Vögel der Randleiste durch höchste Sorg-
falt und bewundernswerthe Naturtreue aus, wie wir sie auch bei den Thierstücken Crivellis in der
Borsobibel bewundern. Künstlerisch tiefer steht noch das völlig im Geiste Squarciones ausgeführte

Bild des Gekreuzigten (Fig. 34) mit Johannes,
Magdalena und den drei Marien (f. 147); doch
finden sich auch hier die Eigenthümlichkeiten
der genannten drei Lagen der Borsobibel. Ab-
weichend ist die Randleiste, die aus schwarzen
Spiralen mit stilisirten Blümchen besteht und mit
dem Wappen des Borso, den vier apokalypti-
schen Zeichen, den Brustbildern der Propheten
Elias, Isaias und Jeremias sowie mit Medaillons
mit dem Pelikan, dem Phönix und den herzog-
lichen Emblemen der Chiavadura todesca (Thür-
klopfer über einer Blüthe) und der Chiodara
(Brett mit blauen Nägelspitzen) geschmückt ist.
Hier möchte ich auf jene bereits erwähnte Ein-
tragung des »libro di comto« (vom 29. Juli 1455)
hinweisen, wonach die Arbeit Giovannis da Lira,
Crivellis Gehilfen, »per uno prencipio de me-
sale che lui me fe con lo lavorero dintorno al crocifiso« von Franco Russi auf 1 Lire 15 Soldi ge-
schätzt wird (vgl. Anhang, Nr. 33). Ich halte es für wahrscheinlich, dass sich diese Eintragung auf
diese Randleiste bezieht. Auch das Titelblatt zum »proprium sanctorum« (f. 204) mit dem die Be-
rufung des Andreas darstellenden Initialbild erhebt sich nicht zu höherem Kunstwerth. Crivelli scheint
die Arbeit unvollendet gelassen zu haben; denn im Folgenden begegnen wir einem Miniator, dessen
minutiös durchgebildete kleine Miniaturen schon im Stile der ferraresischen Schule des ausgehenden
XV. Jahrhunderts ausgeführt sind. Wir haben eine Nachricht, dass Antonio Maria Casanova 1474
ein von Crivelli begonnenes Breviarium vollendete. Sollte vielleicht auch hier Casanova die Voll-
endung übernommen haben?

Mit Recht hat Venturi1 auf die stilistische Verwandtschaft der Engel auf dem Titelblatt des
Missales mit der interessanten aber rohen Miniatur auf dem Titelblatt (f. 1) eines »Astrologiae tabu-
laeJoannis Bianchini Ferrariensis«2 betitelten Codex der Biblioteca comunale zu Ferrara (Classe I,
Cod. 147) hingewiesen. Die Miniatur3 (Fig. 35), von welcher spätere Oelcopien in den Gemäldegalle-
rien zu Parma (ausgestellt unter Nr. 416) und Ravenna existiren, stellt die Uebergabe des Werkes durch

Fig. 35. Giovanni Bianchini überreicht dem Kaiser Fried-
rich III. seine astrologischen Tafeln.
(Ferrara, Bibl. com., Gl. I, God. 147, f. 1).

1 A. Venturi, La miniatura ferrarese nel secolo XV e il Decretum Gratiani, in Le Gallerie nazionali italiane IV.

2 In einem »Guardaroba d'Ercole 1° degli anni 1471 al 1479« betitelten Bande des Archivio di stato zu Modena rindet
sich die Erwerbung eines Codex des Bianchini (1472) verzeichnet. Es heisst dort (f. 17'): »Sabado a di 15 de febraro libro
uno scripto e miniato ala moderna in parte et in la mazore parte scripto de figura de abacho in carta de capretto chia-
mato le Tabule de Zohane Bianchino, cum asse chuperte de brasilio stampado, cum broche picole da roseta e quatro azuli
de ottone, che comparo il prefato Nostro Signore da messer Anibale per ducati 14 hebese da pelegrin de prissian« (ungenau
abgedruckt bei A. Venturi, L'arte ferrarese nel periodo d'Ercole I d'Este, in Atti e memorie della R. deputatione di storia
patria per la provincia di Romagna, ser. III, vol. VI [1888], p. 107). Ich gebe hier eine für mich besorgte Abschrift Bernar-
dino Ramazzinis wieder.

3 Eine Abbildung bei'G. A. Barotti, Memorie di letterati ferraresi 1777, gestochen von Giov. Batt. Galli.
 
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