Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Glück, Gustav: Beiträge zur Geschichte der Antwerpner Malerei im XVI. Jahrhundert
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0038
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
32

Gustav Glück.

einem kochlöffelartigen Stabe; die Ruthe lehnt, vorläufig noch ungebraucht, an dem Katheder. Vor
ihm steht ein Knabe, der seine Aufgabe aufsagt. Die sehr lebendige Darstellung ist voll von sitten-
bildlichen Zügen, die wir der Aufmerksamkeit der Culturhistoriker empfehlen. Manches scheint uns
ohne die genaueste Kenntnis des damaligen Lebens kaum erklärlich. Meister Dirick, der hier so sehr
von seiner gewöhnlichen Art abweicht, dass wir ohne das beglaubigende Meisterzeichen nur mit Mühe
seine Hand darin erkannt hätten, zeigt sich in diesem kleinfigurigen Sittenbilde als ein Vorläufer des
wenig späteren, begabten Malers, den man gemeiniglich den »Braunschweiger Monogrammisten« nennt
und der sicherlich ebenfalls in Antwerpen ansässig gewesen ist, wenn er auch kaum, wie man ver-
muthet hat, mit Jan Sanders van Hemessen identisch sein dürfte.

Dass Dirick Vellert auch in Oel gemalt hat, das macht schon die Stelle in Dürers Tagebuch wahr-
scheinlich, wo erzählt wird, Meister Dirick habe Dürer ziegelrothe Farbe zum Geschenk gemacht.
Nun ist es auch dem Scharfblicke M. J. Friedländers gelungen, ein Oelbild aufzufinden, das ohne
Zweifel von der Hand des bisher sogenannten Dirck Van Staren herrührt.1 Es ist dies ein stattlicher
Flügelaltar im Besitze des Herrn Geheimraths Friedrich Lippmann in Berlin, der ihn vor wenigen
Jahren aus Wiener Privatbesitz erworben hat. Das Mittelbild stellt die Anbetung der Könige vor, der
linke Flügel die Anbetung der Hirten und der rechte die Ruhe auf der Flucht nach Aegypten. Die
hier beigegebene Heliogravüre (Taf. IX) enthebt mich einer genauen Beschreibung der Composition.
Sie bietet auch nichts Aussergewöhnliches: die Darstellung der Anbetung der Könige schliesst sich
jenen gleichzeitigen Antwerpner Arbeiten an, die heute gemeiniglich als Jugendwerke Herris met de
Bles ausgegeben werden, übertrifft sie aber weitaus an zeichnerischer und malerischer Durchbildung;
am nächsten verwandt sind der Schleissheimer Altar (Nr. 28) und das Triptychon der Dresdner Gallerie
(Nr. 806a). Eigenartiger sind die Flügel: besonders die Anbetung der Hirten ist sehr reizvoll compo-
nirt; die Art, wie das hockende und die beiden schwebenden Engelchen zur Füllung des Raumes ver-
wendet sind, zeugt von des Meisters Geschmack und Erfindungsgabe. In der Figur der säugenden
Maria auf dem rechten Flügel ist der Ausdruck ruhigen, friedlichen Mutterglücks ganz vortrefflich ge-
lungen; störend wirkt hier nur die etwas manierirte Gestalt des Früchte pflückenden heil. Josef. Das
Ganze macht einen hellen, freundlichen Eindruck: kühle, klare Töne wiegen vor, und die Farbenharmo-
nie setzt sich hauptsächlich aus Blau, Gelb und Weiss zusammen. Die Malweise ist ziemlich dünn und
leicht flüssig, und man sieht an vielen Stellen, besonders in den Gesichtern und überhaupt im Nackten,
Kohlenstriche und -Schraffen durchschimmern, die die Modellirung dieser Theile bewirken. Gerade
an solchen Einzelheiten der Zeichnung erkennt man, dass Friedländers Bestimmung völlig berechtigt
ist. Man vergleiche nur die Durchbildung der Köpfe, besonders des Gesichtes Mariä auf den beiden Flü-
geln, die eigenthümlich gespreizte Bewegung der Hände, die Faltengebung, die nackten Engelchen,
das Gefolge der Könige im Hintergrunde des Mittelbildes, die Formen der Renaissancearchitektur
mit dem, was wir in den gesicherten Kupferstichen und Handzeichnungen des Meisters kennen gelernt
haben, und man wird sich davon überzeugen, dass kein Anderer als Dirick Vellert der Urheber dieses
Triptychons sein kann. Das liebenswürdige Werk, in dem sich auch der gute Geschmack des Künst-
lers nicht verleugnet, dürfte wohl den Zwanzigerjahren des XVI. Jahrhunderts seine Entstehung
verdanken.

Auf ein anderes Werk, das mit unserem Meister aufs Engste zusammenhängt, macht mich Herr
Professor Kämmerer in der freundlichsten Weise aufmerksam. Es ist dies ein Flügelaltar im Prado zu
Madrid (Nr. 2202). Das Mittelbild enthält eine fast in allen Theilen getreue Wiederholung des Kupfer-
stiches »Maria mit dem Kinde und dem heil. Bernhard« (B. 8), die Flügel stellen Scenen aus dem Leben
des heil. Paulus vor. Von vornherein läge wohl die Annahme nahe, dass das Mittelbild nur eine Copie
nach dem Stiche unseres Meisters wäre;2 doch machen es bestimmte stilistische Merkmale, die sich gerade

1 Ausstellung von Kunstwerken des Mittelalters und der Renaissance aus Berliner Privatbesitz, Berlin 1898, S. 18.

2 Gerade dieses Blatt ist auch von einem gleichzeitigen Kupferstecher, dem Meister S, copirt worden, eine Copie, die
wie es scheint, noch nicht beschrieben ist.
 
Annotationen