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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0045
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Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

39

Wie weit sich in böhmischen Scriptorien locale Eigentümlichkeiten entwickelt haben, bedarf noch
einer Untersuchung.

Aus der zweiten Hälfte des XIII. und dem Beginne des XIV. Jahrhunderts besitzen wir zwei
Gruppen von Miniaturcodices: eine archaistische und eine in einem neuen Stile. Zu den ersteren ge-
hören z. B. folgende Handschriften: der Psalter XIV. E. 3 der Prager Universitätsbibliothek, der Psalter
XII. G. 8 derselben Bibliothek, der Psalter Nr. 37 der Bibliothek der St. Jakobskirche in Brünn, das
Brevier Nr. ig3g der Wiener Hofbibliothek, das Brevier Nr. 258 der Bibliothek des Olmützer Dom-
capitels, ferner das sogenannte Antifonare Sedlicense, Handschrift XIII. A. 6 der Prager Universitäts-
bibliothek (Fig. 1). Diese Arbeiten stehen so nahe jener Gruppe von Handschriften, welche von Hase-
loff als Erzeugnisse einer thüringisch-sächsischen Malerschule nachgewiesen wurden, dass man geneigt
wäre, ein unmittelbares Abhängigkeitsverhältnis anzunehmen, welches sich durch
die zahlreichen culturellen Beziehungen der Nachbarländer leicht erklären Hesse.
Die böhmischen Arbeiten sind roher und reichen weiter hinauf als die thüringisch-
sächsischen — die spätesten dürften in den letzten Jahrzehnten des XIII. Jahr-
hunderts entstanden sein. Es sind die letzten Früchte der romanisch-mittelalter-
lichen Ueberlieferung; zu dem neuen Stile stehen sie in keiner Beziehung.

Parallel mit einem neuen Baustile, mit einer neuen Sculptur entwickelte
sich um die Wende des XII. und XIII. Jahrhunderts in Frankreich eine neue Illu-
stration. Die Ansätze dazu waren überall vorhanden; doch wie auf allen Gebieten
der Kunst wurden sie in Nordfrankreich zum ersten Male zu einer consequenten
Verwendung vereinigt. Der Stil dieser Illustration ist weder in dieser Zeit noch
ausschliesslich in den illustrirten Handschriften entstanden sondern repräsentirt
uns den Fortschritt (Fortschritt in Bezug auf die Weiterentwicklung, Rückschritt
gegenüber der Antike) auf allen Gebieten der Malerei. In dem neuen Stile Con-
centrin sich das selbständig schöpferische Können des Mittelalters, welches nur des-
halb erst so spät und nicht überall gleich intensiv das malerische Schaffen völlig
umwandelte, weil es für bestimmte Stoffe eine Reihe von traditionellen Composi-
tionen gegeben hat. Erst als diese vollständig aufgelöst oder aufgegeben wurden,
tritt der neue Stil zuerst in Frankreich plötzlich auf als die allgemeine Grundlage
jeder zeichnerischen und malerischen Production. An die Stelle der Schemen der
vergangenen Periode werden nun überall freie Erinnerungsbilder gesetzt. Die Ent-
wicklung der Architektur, der Plastik, des Kunstgewerbes und die Entstehung von
neuen Aufgaben in der Malerei selbst brachte die allmälige Ausgestaltung eines
neuen, von der Antike nur mittelbar abhängigen Zeichenstiles mit sich und, als
völlig neue Stoffe illustrirt werden sollten, zeichnet man die Handschriftenbilder — durch keine Ueber-
lieferung gebunden — so, wie man eben konnte, in derselben Weise, in welcher z. B. Vorlagen für
Tapeten oder für Glasgemälde gezeichnet wurden. Wir haben zweierlei Belege dafür, dass sich diese
merkwürdige, seit der Antike die wichtigste Wandlung in der Geschichte der Malerei auf diese Weise
vollzogen hat. Völlig ausgebildet tritt uns der neue Stil zuerst da entgegen, wo es sich entweder
um eine neue Technik handelt (wie etwa in den Glasgemälden) oder um ganz neue Darstellungen
(z. B. in Illustrationen zu der Profanliteratur). Es stehen ferner die ältesten Bilderbücher, welche
vollständig in dem neuen Stile illustrirt wurden, in technischer Beziehung in keinem Zu-
sammenhange mit den alten Werkstätten. Der neue Stil hat sich sicher nicht aus volkstümlichen
Elementen oder nur in der Federzeichnung entwickelt, wie von Janitschek behauptet wurde, sondern
das selbständige, durch Jahrhunderte in die alten Typen langsam eindringende Anschauungs- und
Darstellungsvermögen ist zum Durchbruche gekommen und verdrängte im Laufe des XIII. Jahrhun-
derts die letzten Ueberreste der traditionell-compilativen Kunst des Mittelalters. Deshalb stehen die
neuen Bilderbücher viel näher etwa den Zeichnungen des Villard de Honnecourt als den Miniaturen
eines thüringisch-sächsischen Büchermalers.

Fig. 1. Miniatur
aus dem Antifonare
Sedlicense, f. 231.

(Handschrift XIII. A. 6
der Präger Univer-
sitätsbibliothek.)
 
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