Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0083
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

77

Der receptive Charakter des Kunstlebens in Avignon tritt auch hier zu Tage, wobei in den
ersten Jahrzehnten des XIV. Jahrhunderts auch in der Illuminirkunst das französische Element vor-
herrschend gewesen ist.1

An erhaltenen Kunstwerken sind wir wie in der Wand- und Tafelmalerei auf wenige Ueber-
reste angewiesen. Es ist bekannt, wie wenig sich von den grossen Bibliotheken Avignons im
XIV. Jahrhundert erhalten hat, und zerstreute Handschriften sind in grossen Fonds schwer festzu-
stellen.2 Von den liturgischen Handschriften, unter denen die schönsten und wichtigsten Werke
der Büchermalerei zu suchen wären, besitzen wir fast gar nichts. Von den erhaltenen ist noch Einiges
fremder Provenienz. So wurde die Handschrift Ms. lat. 2023 der Pariser Nationalbibliothek, welche
die Tabula sermonum sti. Augustini von Jean de Fait enthält, für Clemens VI. in Paris geschrieben
und llluminirt und das Missale des Gegenpapstes Clemens VII. stammt aus der Werkstatt eines
Italieners. Avignonesischen, sicher südfranzösischen Ursprunges dürfte die Handschrift Ms. lat.
365 der Pariser Nationalbibliothek sein, welche den Commentar des Dominikaners Grenier aus
Toulouse zur Genesis enthält und wahrscheinlich jenes Exemplar ist, welches im Jahre i3ia, Jo-
hannes XXII. von dem Verfasser überreicht wurde. Die Illustrationen und Ornamente sind nord-
französisch. Für die folgende Zeit sind wir an eine Reconstruction angewiesen. Die Handschriften:
Missale Nr. 135 in Avignon, die fünfbändige Bibel Ms. lat. 61, 87, 91, i3g,
255 und das Pontificale Ms. lat. 968 in der Pariser Nationalbibliothek sind
untereinander ungemein verwandt. In allen diesen Handschriften sind die
Illustrationen und Ornamente theils von Italienern, theils von Franzosen.
Bei der grossen Bibel sind einzelne Lagen von französischen Illuminatoren,
andere von italienischen und überall findet man gegenseitige Beeinflussung.
Französische Initialen enthalten italienische Miniaturen und das italienische
Ornament wird mit französischen Motiven verbunden. Eine völlige Aus-
gleichung findet in Bezug auf Farben und Technik statt. Die Franzosen
übernehmen die Technik und die leuchtenden Farben der Italiener.

Das Missale in Avignon und das Pontificale in Paris waren für den
Gebrauch der päpstlichen Kapelle bestimmt.3 Die letztere Handschrift und
die Bibel stammen aus der Bibliothek Benedicts XIII. In der Bibel ist das
Wappen Benedicts auf dem Schnitte eingepresst und daraus schloss Delisle,
dem die Verwandtschaft des Pontificale mit der Bibel auffiel, dass beide
Handschriften für diesen Papst geschrieben und illuminirt wurden.4 Das ist jedoch völlig aus-
geschlossen. Die Handschriften können nicht über die Mitte des Jahrhunderts gerückt werden. Die
Schrift, Miniaturen und Ornamente beweisen es in gleicher Weise und die unvermittelte An-
wendung von französischen und italienischen Motiven spricht dafür, dass die Codices in einer Zeit
entstanden sind, in welcher italienische Künstler mit französischen zusammen zu arbeiten begonnen
haben, also beiläufig in der Zeit Clemens VI.

Alle drei Handschriften sind jedoch rohe Arbeiten und können uns nur zum Theil Werke
ersetzen, auf deren Vorhandensein aus Quellennachrichten geschlossen werden kann. Doch im
Ganzen und Grossen dürfte für die letzteren kaum ein anderer Stil angenommen werden. Wir finden
hier übereinstimmend mit dem, was wir aus Urkunden wissen, etwas Aehnliches wie in Neapel.
Französische und italienische Illuminatoren arbeiten nebeneinander, wobei sich die neuere Kunst

Fig. 17. Miniatur und Rand-
leiste aus der Handschrift
Nr. 71 der Bibliothek des
Musee Calvet in Avignon,
f. 3'.

1 Seit Johann XXII. nimmt die Schrift der päpstlichen Register französischen Charakter an: »Cum italis scriptoribus
exturbatis vel neglectis in curia rerum poterentur summa Galli.« Denifle, Specimina 9.

2 Leider war es mir nicht möglich, den ganzen Fond von Peniscola in der Nationalbibliothek in Paris, in welchem
sich vermuthlich auch einige illuminirte Handschriften aus Avignon befinden dürften, durchzusehen. Eine für mich uner-
reichbare Handschrift aus Avignon befindet sich in Sevilla. Die von Fuzet und Müntz genannte Handschrift des Cardinais
Grimoard ist nordfranzösisch.

3 Vgl. Labande, Les manuscrits de la bibliotheque d'Avignon, provenant de la librairie des papes du XIV e siecle: Bul-
letin historique 1894. 4 Cabinet des manuscrits I, 489 ff.

11*
 
Annotationen