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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0086
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8o

Max Dvofäk.

Nach diesem Befunde wurden die Handschriften von Illuminatoren gemalt, deren Kunst der
toscanische Stil und die toscanische Technik zu Grunde liegen, doch ins Französische übertragen,
wenn man sich so ausdrücken darf, dem traditionellen und nationalen nordischen Geschmacke ange-
passt. Die Handschriften sind in Avignon entstanden.

Den Beweis dafür bietet das Missale i38. Es besteht aus zwei Theilen, von denen der erste, das
eigentliche Missale, für den im Jahre i368 verstorbenen Canonicus Ricardi de Ricardinis in Neapel
gemalt wurde. Die Ornamente gehören der königlichen Werkstatt in Neapel an, die Miniaturen sind
sienesisch. Der zweite Theil wurde in Avignon beigebunden und enthält Officien für die St. Didier-
kirche in Avignon. Labande nimmt an, dass die Handschrift von Bernard de Bosqueto, Erzbischof
von Neapel, der im Jahre i368 nach Avignon übersiedelte und dessen Haus sich in der Rue St. Marc
neben der St. Didierkirche befunden hat, nach Avignon gebracht wurde. Der zweite Theil wäre dann
bald nach dem Jahre i368 entstanden. Dafür spricht auch die Schrift und die Ausschmückung. Die
letztere weist den charakteristischen Stil unserer Handschriften auf.

Die übrigen Handschriften stammen aus avignonesischen Klöstern, für welche sie wahrscheinlich
gleich ursprünglich bestimmt gewesen sind. Sie dürften alle aus dem letzten Drittel des XIV. Jahr-
hunderts stammen. Der Stil der Ornamente und Miniaturen, welche sie schmücken, hat sich jedenfalls
nicht erst in dieser Zeit und nicht in diesen einfachen Arbeiten entwickelt. Es liegt uns vielmehr das
Ergebniss einer älteren und bedeutenderen Kunstübung vor, welche, wie es ja überall der Fall ist,
später auch auf die Ausschmückung der billigen Waare eingewirkt hat.

Unter Clemens und Innocenz kamen, wie italienische Maler, auch italienische Illuminatoren nach
Avignon. Man hatte sich kaum an Stümper gewendet. Mit und neben den Italienern arbeiten Fran-
zosen. Und da mochte sich derselbe Vorgang wie in Neapel wiederholt haben. Die toscanischen
Künstler behalten ihren Stil, doch nicht ohne sich die Vorzüge der französischen Arbeiten und Arbeits-
weise angeeignet zu haben. Es entsteht, wie in Neapel, ein neuer bestimmtpr Werkstattstil.

Die zufälligen Quellennachrichten lassen auf Bestellungen von reichgeschmückten und kostbaren
Codices schliessen. Wo sind die? Das Meiste dürfte verloren gegangen sein. Wie überall in Frank-
reich, ist auch in der Provence fast der ganze Schatz von beweglichen Kunstwerken vernichtet worden.
Wir kennen auch aus dem XV. Jahrhundert eine Reihe von provencalischen Künstlern und kaum
zwei oder drei Werke. Immerhin ist es möglich, dass in grossen Bibliotheken noch Einzelnes ge-
funden wird.

Für unsere Zwecke reichen die besprochenen Handschriften aus. Auf den ersten Blick wird ihre
Verwandtschaft mit den böhmischen Arbeiten deutlich. Es sind dieselbe Form und Ausschmückung der
Initialen, dieselben schweren, gothisch stilisirten Rankenornamente, die nach bestimmten Schemen
angeordnet sind. Die wichtigen und charakteristischen Ranken und Blätterformen der böhmischen
Arbeiten finden wir hier wieder; so auch die Goldfüllungen in den Ecken. Miniaturen wie die hier
(Fig. 17) abgebildete hätten auch in Böhmen entstanden sein können. Die kalligraphische Ausschmückung,
die Fleuronee-Initialen sind dieselben wie in den karolinischen Handschriften; selbst der Schrift-
charakter, wie in dem Missale, ist ähnlich. Besonders frappant ist die Uebereinstimmung in den Farben
und in der Technik.

Es ist dieselbe Schule, dieselbe Werkstattsüberlieferung. Dass beides nicht in Böhmen entstanden
ist, dürfte nach unseren Ausführungen als selbstverständlich betrachtet werden. Trotz der grossen
Verwandtschaft, die auf eine Ableitung der Kunst der böhmischen Illuminatoren aus Avignon schliessen
lässt, wird dennoch einem Kenner die locale Abwandlung der Typen, welche durch eine Uebertragung
des Stiles an neue Künstler von ganz anderen Vorbedingungen entstehen musste, kaum entgehen. Die
Handschriften aus Avignon stehen den italienischen Vorbildern, die diesmal in Böhmen bereits in
übernommener Form einwirken, vielfach näher. Damit ist jedoch nicht Alles gesagt. Das Problem der
Stilübertragung tritt uns auch für eine so frühe Zeit handgreiflich entgegen.
 
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