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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0091
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Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

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Die schönsten und wichtigsten der Handschriften gehen also auf Johann von Neumarkt zurück.
Ist das ein Zufall?

Johann von Neumarkt war der Reichskanzler Karls. Im Jahre 1347 trat er in die Kanzlei ein.
Er war früher Pfarrer in Neumarkt und scheint irgendwie durch literarische Arbeiten die Aufmerksam-
keit Karls auf sich gelenkt zu haben. »Praesertim cum sit in dictaminibus promtus theutonicis et
latinis« heisst es in dem Briefe, in welchem Karl den Bischof von Breslau ersucht, Johann von Neu-
markt, den er in der Kanzlei verwenden wolle, von seinem Pfarramte zu beurlauben.1

Die Reichskanzlei war nicht mehr jene einfache rechtliche Institution wie im frühen Mittelalter.
Man reichte nicht mehr aus mit einer Reihe von conventionellen Rechtsformularen. Und dennoch
Concentrin sich besonders seit dem XIII. Jahrhundert sowohl fast die gesammte Gesetzgebung als auch
die gesammte Buchung der Rechtssachen in der Kanzlei. Es müssen fachmännisch geschulte Kräfte
herangezogen werden, Juristen und Leute, welche in der Ars dictaminis bewandert waren, also Lite-
raten im Allgemeinen.

In der Kanzlei nahm die Carriere Johanns den gewöhnlichen Verlauf. Er bekam Präbenden und
in den letzten Tagen des Jahres 1353 wurde er Kanzler und Bischof von Leitomischl. Als Kanzler
begleitete er den Kaiser nach Italien und sonst auf seinen Reisen. Im Jahre 1364 wurde er Bischof
von Olmütz; zehn Jahre später verliess er, wir wissen nicht, ob freiwiliig oder unfreiwillig, den kaiser-
lichen Dienst. Er übersiedelte nach Olmütz und kümmerte sich um sein Bisthum.

Dem Literarhistoriker sind diese Daten nicht unbekannt.2 Johann von Neumarkt scheint sich
zunächst als gewandter deutscher Stilist einen Namen gemacht zu haben. Karl selbst bat ihn, als er noch
Bischof von Leitmeritz war, Augustins Soliloquia ins Deutsche zu übertragen,3 und für den Markgrafen
Jost von Mähren und seine Gemahlin übersetzte er, wie gesagt wurde, das Leben des heil. Hieronymus.4
Umgekehrt übertrug er deutsche Gedichte ins Lateinische.5 Doch seine Bedeutung liegt weniger in
der eigenen Production als darin, dass er, wie wir uns heute ausdrücken würden, moderne, europäische
Strömungen nach Böhmen brachte. Er liest, sammelt und verbreitet Bücher, die in den literarischen
Centren des Westens gelesen, interessirt sich für Fragen, welche dort erörtert wurden. Unter seiner
Leitung wurde die Kanzlei ein Mittelpunkt literarischer Bestrebungen und einer literarischen Gesell-
schaft, die für die Geschichte der Bildung im mitteleuropäischen Osten ungemein wichtig ist.

Das grosse Novum in dem Leben des Kanzlers, die Quelle und das Ziel seines literarischen
Strebens waren die Lehren der modernen Italiener, denen er sich mit der maasslosen Bewunderung
eines provinzialen Entdeckers und Vorkämpfers zuwendet. Im Jahre 1350 kommt Cola di Rienzo nach
Prag und schreibt hier seine phantastisch-antikisirenden Streitschriften an den Kaiser, an den Erz-
bischof, die auf die nordischen Kanzleistilisten wie eine Offenbarung wirken mussten. Und zwei Jahre
spater schreibt Johann von Neumarkt seinen ersten Brief an Petrarca und bittet ihn um eine Epistel.6
Das unbegrenzte Selbstbewusstsein Petrarcas und seiner Freunde und der bis zu jener Zeit bei-
spiellose Ruhm des Dichters bei den Zeitgenossen, welcher auf Werken beruht, die für uns kaum in
Betracht kommen, wird erst dann völlig verständlich werden, bis einmal die Geschichte des prosaischen
Stiles im Mittelalter geschrieben sein wird. Es war die Suprema vis einer neuen Form in der Sprache
des Gedankenaustausches, welche so schnell die literarische Welt des XIV. Jahrhunderts eroberte.

Die frühmittelalterliche Literatur stammt auch dem Stile nach von der spätantiken; doch konnte
sich die wunderbare persönliche Form der Schriften Augustins ebensowenig lange unverändert erhalten

1 Mencken, Scriptores III, 2023.

2 Eine ausführliche Biographie Johanns von Neumarkt schrieb Tadra (Böhmische Musealzeitschrift 1886). Doch erst
Burdach hat den grossen Einfluss des Kanzlers auf die Geschichte der humanistischen Bewegungen im Norden dargelegt
(Vom Mittelalter zur Renaissance, S. 74 ff.).

3 Hofier, Aus Avignon, Prag 1868. Die Uebersetzung steht im Cod. germ. 3goo der Münchner Hofbibliothek.

4 Vgl. die Einleitung bei Benedict, a. a. O.

5 So ein Gedicht des Johann Frauenlob; vgl. die diesbezügliche Urkunde in dem Formelbuche Summa cancellariae
des Johann von Neumarkt, publicirt von Tadra, S. 44.

* Der Brief ist uns in der Summa cancellariae erhalten (Tadra, S. 367).

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