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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0099
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Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

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alter und neuer Elemente besteht. Am deutlichsten sieht man es in den grossen Vollblattinitialen, welche
der Maler wie in den karolingischen und Ottonischen Evangelienhandschriften den einzelnen Evan-
gelien vorgeschickt hat (Taf. XVI und Fig. 22). Dafür gab es keine neuen Vorbilder und so sind es
Experimente.

Wir haben oben geschildert, welche Rolle die Fleuronee-Ornamentik in der Ausschmückung der
böhmischen Handschriften aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts gespielt halt. Capillarmotive, in
Gold und Silber ausgeführt, bilden einen unentbehrlichen Schmuck kostbarer Codices. In dem Liber
viaticus und in dem Brünner Missale fehlt diese Art der Bücherdecoration ganz; denn sie fehlte sowohl
in allen gleichzeitigen reicheren italienischen, wo sie durch einen rein malerischen Stil, und in den
französischen Handschriften, wo sie durch eine neue Kalligraphie verdrängt wurde. Johann von
Troppau nimmt jedoch, wie man auf Abbildung 23 sehen kann, die eingebürgerte Ornamentik wieder
auf und versucht sie mit Motiven der neuen Schule zu verbinden. Aehnliche Versuche finden wir im
Mariale Arnesti und noch in den Wenzelshandschriften wird eine ähnliche kalligraphische Ornamentik
mit grosser Vorliebe verwendet.

So erscheint uns das Wiener Evangelienbuch als ein Compromisswerk der alten Ueberlieferung
und der älteren Geschmacksrichtung mit dem Formenschatze der neuen fremden Schule. Da es jünger
ist als das Reisebrevier, bietet es einen neuen Beweis für die Richtigkeit unserer Ausführungen.

Von einem Werkstattgenossen oder Schüler des Johann von Troppau ist das etwas rohe und un-
behilfliche Missale in Olmütz hergestellt. Demselben Entwicklungsstadium der Schule wie das Wiener
Evangeliar gehört auch das Mariale Arnesti an. Es ist auf den analogen Unterschied dem Reisebrevier
gegenüber bereits hingewiesen worden. Ausserdem stimmen die Miniaturen des Mariale mit jenen des
Evangeliars in den Typen, in der Faltenbehandlung und in der Farbengebung auffallend überein. Man
vergleiche z. B. die Köpfe der Madonna und des heil. Johannes aus der Miniatur des Evangeliars auf
Taf. XIV mit den Köpfen des Simon und der Anna auf der Miniatur aus dem Mariale auf Taf. XVII, 1
oder die kurzen plumpen Hände auf den beiden Bildern. Eine Identität des Illuminators scheint mir
sehr wahrscheinlich zu sein.

Die reichste Arbeit nach dem Viaticus ist das Missale des Johann von Neumarkt. An den Viaticus
erinnert es im Format und in der Art der Ausschmückung. Der Maler des Missale war ein Schüler des
Meisters des Reisebreviers, er arbeitet in derselben Technik, verwendet dieselben oder ähnliche Com-
positionen und Ornamente. Dennoch hat seine Kunst bereits ein ganz anderes Gepräge (Taf. XI, XIX
und Fig. 24). Die Abhängigkeit von den ursprünglichen Vorbildern ist bereits ganz lose geworden.
Es blieben, wenn man sich so ausdrücken darf, nur die constituirenden Grundlagen des erlernten
Stiles; doch der Stil selbst ist anders geworden. Von dem italienischen Charakter der Miniaturen des
Reisebreviers und des Brünner Missale findet man sehr wenig Spuren. Die giottesk-dramatischen und
sienesisch-lyrischen Gestalten und Compositionen und die kecke malerische Sicherheit in den Bildern
und Ornamenten verschwinden fast ganz. Die alte Freude der gothischen und nordischen Kunst an
liebevoller und naturgetreuer Behandlung des Details gewinnt wieder das Feld und die eingewurzelte
Neigung zur kalligraphischen Ausführung tritt wieder mehr zu Tage. Die mit kunstgewerblichem
Fleisse ausgeführten Rankenornamente nehmen die schwere, etwas monotone Form an, welche wir
aus den Wenzelshandschriften kennen, und der sentimental-poetische Geist, welcher die gesammte
nordische Kunst des XV. Jahrhunderts beseelt, beginnt sich zu regen. So wird z. B. die in Italien con-
ventionelle Darstellung der Geburt Christi in einer Gebirgslandschaft, wie sie auch im Liber viaticus
vorkommt, wieder im Anschlüsse an den einheimischen gothischen Typus zu einer einfachen nor-
dischen Scene umgestaltet, der feierlich-mystische Vorgang der sienesischen und giottesken Ver-
kündigungsbilder wird durch die Darstellung einer naiv-traulichen Vorstellung — der Engel überreicht
der Gebenedeiten einen versiegelten Brief — ersetzt u. s. w. Dabei werden die Figuren derb und er-
innern an Typen aus gleichzeitiger böhmischer Tafelmalerei.

Aus der Werkstatt des Malers des Missalbuches dürfte auch das Orationale stammen, wie so-
wohl aus der Uebereinstimmung der Miniaturen als auch aus einigen Eigenthümlichkeiten der Orna-

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