Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.
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Es gibt eine Reihe von Handschriften aus den nächstfolgenden Jahrzehnten, deren Maler direct
als Schüler unserer Illuminatoren erscheinen. Wir machen dabei die merkwürdige Beobachtung, dass
Arbeiten, welche in Mähren, in Brünn oder in Olmütz, entstanden sind, dem Missale des Nicolaus von
Kremsier und dem Evangelium des Johann von Troppau nahestehen, wogegen Codices, welche in
Prag illuminirt wurden, weit mehr an das Prager Missale und an das Orationale erinnern. So ist z. B.
das Missale Nr. 12 in der Bibliothek der St. Jakobskirche in Brünn, welches für eine
Brünner Kirche geschrieben wurde, obwohl es aus den letzten Jahren des Jahrhunderts
stammt, wie die scharfen, eckigen Formen von einzelnen Ornamenten beweisen, dem
Missale des Nicolaus von Kremsier so ähnlich, dass man an eine unmittelbare Descen-
denz denken muss.
In ähnlicher Weise und vielleicht noch mehr sind Handschriften — wie z. B. die
Vitae sanctorum XIV. A. 7 der Prager Universitätsbibliothek, die wahrscheinlich für
die St. Galluskirche in Prag geschrieben wurden, oder der bekannte Codex XVII. A. 6
derselben Bibliothek, welcher die »Belehrung der christlichen Wahrheit« des Thoma von Stitn^
enthält und wahrscheinlich im Jahre 1376 in Böhmen geschrieben wurde, — dem Prager Missale
und dem Orationale verwandt. Es sind keine Werke ersten Ranges und von den Arbeiten,
welche von den Illuminatoren des Johann von Neu-
markt ausgeführt wurden, unterscheiden sie sich durch
den neuen, einheitlichen, provinzial-derben Stil der Mi-
niaturen und durch die sichere, doch schematische und
geistlose Behandlung der Decoration.
In jener Zeit, in welcher diese Handschriften illu-
minirt wurden, haben sich die Verhältnisse in Böhmen
bereits verschoben. Der Samen, welchen Karl und seine
Rathgeber gesäet hatten, hat bereits Früchte getragen,
vielfach andere Früchte, als die Säer erwartet haben
mochten. Die in Prag aufgestapelte fremde Cultur be-
ginnt sich weiter zu entwickeln. Die wichtigste — nicht
die einzige — Rolle spielt dabei die Universität. Die
führenden Geister und die Universitäten der vergan-
genen Periode haben das vorhandene Material alter und
neuer Erkenntnisse formal bewältigt. Nun treten neue
Universitäten und vor Allem neue Nationen auf den
Schauplatz und gehen in den Aufgaben weiter. Man
begnügt sich nicht mehr mit einer scholastischen Be-
handlung der Dogmen sondern fängt an, die Prämissen
zu untersuchen. Es beginnt jenes leidenschaftliche Eingehen auf speculative, in dieser Zeit
theologische Fragen, welches den nichtromanischen Völkern des Nordens eigentümlich ist und welche
zu einer Reformation führen musste. Im Osten übernimmt die erste Universität auf dem Reichsboden
die Führung.
Karl, der phantasielos und bigott gewesen ist, hat aus Opportunismus und aus Mangel einer
anderen Einsicht bei seinen Gründungen in erster Reihe für das Nächstliegende, für die Hebung des
kirchlichen Lebens und der kirchlichen Bildung gesorgt, wie es wohl jeder normal talentirte Politiker
damals gethan hätte. Das hatte zur Folge, dass theologische Fragen auch aus diesem äusseren Grunde
auf der Universität und in der Literatur in Böhmen im Vordergrunde der Interessen stehen. Unter
Urban V. konnte man bereits die Forderung aufstellen, dass in sämmtlichen Augustiner-, Dominikaner-
und Carmeliterklöstern in Böhmen nur Doctoren der Theologie als Lehrer angestellt werden sollten.1
Fig. 24. Miniatur und Randleiste aus dem
Missale des Johann von Neumarkt in der Bi-
bliothek des Prager Domcapitels.
1 Bulaeus IV, 396.
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Es gibt eine Reihe von Handschriften aus den nächstfolgenden Jahrzehnten, deren Maler direct
als Schüler unserer Illuminatoren erscheinen. Wir machen dabei die merkwürdige Beobachtung, dass
Arbeiten, welche in Mähren, in Brünn oder in Olmütz, entstanden sind, dem Missale des Nicolaus von
Kremsier und dem Evangelium des Johann von Troppau nahestehen, wogegen Codices, welche in
Prag illuminirt wurden, weit mehr an das Prager Missale und an das Orationale erinnern. So ist z. B.
das Missale Nr. 12 in der Bibliothek der St. Jakobskirche in Brünn, welches für eine
Brünner Kirche geschrieben wurde, obwohl es aus den letzten Jahren des Jahrhunderts
stammt, wie die scharfen, eckigen Formen von einzelnen Ornamenten beweisen, dem
Missale des Nicolaus von Kremsier so ähnlich, dass man an eine unmittelbare Descen-
denz denken muss.
In ähnlicher Weise und vielleicht noch mehr sind Handschriften — wie z. B. die
Vitae sanctorum XIV. A. 7 der Prager Universitätsbibliothek, die wahrscheinlich für
die St. Galluskirche in Prag geschrieben wurden, oder der bekannte Codex XVII. A. 6
derselben Bibliothek, welcher die »Belehrung der christlichen Wahrheit« des Thoma von Stitn^
enthält und wahrscheinlich im Jahre 1376 in Böhmen geschrieben wurde, — dem Prager Missale
und dem Orationale verwandt. Es sind keine Werke ersten Ranges und von den Arbeiten,
welche von den Illuminatoren des Johann von Neu-
markt ausgeführt wurden, unterscheiden sie sich durch
den neuen, einheitlichen, provinzial-derben Stil der Mi-
niaturen und durch die sichere, doch schematische und
geistlose Behandlung der Decoration.
In jener Zeit, in welcher diese Handschriften illu-
minirt wurden, haben sich die Verhältnisse in Böhmen
bereits verschoben. Der Samen, welchen Karl und seine
Rathgeber gesäet hatten, hat bereits Früchte getragen,
vielfach andere Früchte, als die Säer erwartet haben
mochten. Die in Prag aufgestapelte fremde Cultur be-
ginnt sich weiter zu entwickeln. Die wichtigste — nicht
die einzige — Rolle spielt dabei die Universität. Die
führenden Geister und die Universitäten der vergan-
genen Periode haben das vorhandene Material alter und
neuer Erkenntnisse formal bewältigt. Nun treten neue
Universitäten und vor Allem neue Nationen auf den
Schauplatz und gehen in den Aufgaben weiter. Man
begnügt sich nicht mehr mit einer scholastischen Be-
handlung der Dogmen sondern fängt an, die Prämissen
zu untersuchen. Es beginnt jenes leidenschaftliche Eingehen auf speculative, in dieser Zeit
theologische Fragen, welches den nichtromanischen Völkern des Nordens eigentümlich ist und welche
zu einer Reformation führen musste. Im Osten übernimmt die erste Universität auf dem Reichsboden
die Führung.
Karl, der phantasielos und bigott gewesen ist, hat aus Opportunismus und aus Mangel einer
anderen Einsicht bei seinen Gründungen in erster Reihe für das Nächstliegende, für die Hebung des
kirchlichen Lebens und der kirchlichen Bildung gesorgt, wie es wohl jeder normal talentirte Politiker
damals gethan hätte. Das hatte zur Folge, dass theologische Fragen auch aus diesem äusseren Grunde
auf der Universität und in der Literatur in Böhmen im Vordergrunde der Interessen stehen. Unter
Urban V. konnte man bereits die Forderung aufstellen, dass in sämmtlichen Augustiner-, Dominikaner-
und Carmeliterklöstern in Böhmen nur Doctoren der Theologie als Lehrer angestellt werden sollten.1
Fig. 24. Miniatur und Randleiste aus dem
Missale des Johann von Neumarkt in der Bi-
bliothek des Prager Domcapitels.
1 Bulaeus IV, 396.